RS-History

Furioses Debüt „Suicide“ von Suicide: Eiswind des Rock’n’Roll

Suicide gelang 1977 ein epochales erstes Album, das Electro mit Rockabilly kreuzte und sogar Bruce Springsteen beeindruckte.

Es war, als würde man eine Kühltruhe öffnen, aus der ein Ventilator eisige Luft bläst. Der mechanische Elektro-Rockabilly von „Ghost Rider“ war eine Musik, wie man sie nie gehört hatte: ein monotones Scharren, ein eiliges Gehämmer, das nicht von einem Klavier oder Schlagzeug, sondern von einer Kreissäge zu stammen schien. Ein Sänger, der wie ein neurotischer Elvis klang und offenbar von einem neon blinkenden Planeten nach New York City einflog.

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„Suicide“ erschien 1977, dem Jahr, als Punk brach. Als Television, die Sex Pistols und Richard Hells Voidoids ihre Debütalben veröffentlichten. Aber keines war so radikal, so fremd wie „Suicide“. (Okay, Throbbing Gristle, aber das ist eine andere Geschichte.) Und es erging der Platte nicht anders als dem Debüt von Velvet Underground zehn Jahre zuvor: Heute ikonisch und von jeder dritten Band als Einfluss genannt, kaufte sie damals kein Mensch.

Suicide waren ein seltsames Duo. Alan Vega, der Sänger aus Brooklyn, trat manchmal mit einer Damenperücke auf, später mit einem Bandana um die Locken. In den 60er-Jahren hatte er versucht, als bildender Künstler zu reüssieren, in den 70er-Jahren machte er sich zehn Jahre jünger und behauptete, Kriegsveteran zu sein. Er traf Martin Rev, einen Free-Jazz-Pianisten aus der Bronx, der stets übergroße Sonnenbrillen trug, und ab 1970 machten sie zusammen Musik, die sie „Punk“ nannten.

(Untergrund-)Legenden unter sich
(Untergrund-)Legenden unter sich, 1978

Einzigartiger minimalistischer Sound

Rev verlegte sich schließlich ganz auf Keyboards und Synthesizer, er schuf einen minimalistischen Sound, der sowohl bedrohlich als auch süßlich klingen konnte. In „Rocket USA“ gerinnt er zu einem einzigen Ton, einer elektrischen Schwingung, als stünde man in einem Umspannwerk. Oder als hätte man Kraftwerk durch die Ruinen der Bronx gejagt.

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„The Village Voice“ verriss das Album, der ROLLING STONE auch. Der Nachruhm ist indes riesig. Es gibt zarte Momente, wie „Cheree“, wo Gospel und Rock’n’Roll zu einem Gewimmer verschmelzen, das von einem schlichten Orgelakkord und einer primitiven Beatbox gehalten wird und wo sich Vegas Stimme nach Las Vegas sehnt. Oder die leicht aufdringliche Koitus-Inszenierung namens „Girl“, bei der Rev wie ein beschwipster Ray Manzarek orgelt und eine Rumbanuss gnadenlos den Takt ratscht.

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Und es gibt „Frankie Teardrop“, eine zehnminütige, klaus­trophobische Düsternis, von der Nick Hornby schrieb, man könne sie nur einmal hören. Der Song handelt von einem unter prekären Verhältnissen leidenden Fabrikarbeiter, der erst seine Familie und dann sich selbst umbringt. Wäre ­Bruce Springsteen ein verzweifelter Nihilist, hätte er vielleicht so geklungen. (Er hat „Frankie Teardrop“ tatsächlich als wichtigen Einfluss für sein Album „Ne­braska“ genannt; gecovert hat er dann aber lieber das zarte „Dream Baby Dream“, die Suicide-Single von 1979). Was seltsam genug ist, denn Alan Vegas Schreie, die gegen Ende des Stücks immer dringlicher werden, sind so pur und wenig erträglich, dass sie Jim Morrisons manierliches Geschrei bei „The End“, das hier sicherlich ­Pate stand, wie eine putzige Girlande aussehen lassen.

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Roberta Bayley Redferns

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