Sufjan Stevens – Hamburg, Knust
Sufjan Stevens findet Spuren US-amerikanischer Identität in hellen Symphonien und dunklem Folk
Sechs Musiker/innen stellt sich Sufjan Stevens auf der Bühne an die Seite, und das ist keiner zuviel. Man hatte sich schon gefragt, wie sich die Opulenz des aktuellen Albums, „Come On Feel The Illinoise“, wohl live umsetzen lassen würde, und tatsächlich haben die Illinoisemakers alle Hände voll zu tun, singen vielstimmig, spielen Posaune, Trompete, Gitarren, Banjo, Glockenspiel, Fender Rhoads, Trommeln und Baß und kommen den Vorlagen tatsächlich sehr nah.
Stevens und Band tragen auf der Bühne eine Art Cheerleader-Uniform mit großem „I“ auf der Brust, und gut ein Drittel der Songs beginnt mit einer kleinen Choreographie aus gemeinsam aufgesagten Reimen und einstudierten Bewegungen. Dazu gibt es einleitende Geschichten über Illinois, Caterpillar, kleine Städte im Nirgendwo und die Windy City Chicago. Das alles ist sehr lustig, aber nicht nur: Es verdeutlicht auch Stevens‘ Anliegen, etwas Kollektives filtern zu wollen und auf diesem Weg US-amerikanische Identität freizulegen – um nicht weniger geht es ja bei seinem wahnwitzigen Projekt, jedem Bundesstaat eine Veröffentlichung zu widmen. Michigan und Illinois sind also bereits verarztet – 48 states to go. Das wird noch spannend. Nicht nur der Randy-Newman-Freund wird sich fragen, wie Stevens ein ganzes Album mit Utah, dem freundlichen Bienenkorbstaat, füllen will. Nach den ersten 20 Minuten, in denen sich das exzellente Ensemble Stevens‘ himmlischen, Beach Boys-artigen Mini-Sinfonien widmet, geht es hinab ins unheimliche Amerika: Das folkoloristisch wippende „Decatur“, das ganz versunkene „To Be Alone With You“ und das furchtbare John Wayne Gacy, Jr“, ein erschütterndes Lied über einen vielfachen Kindermörder, sind in eine Art beschwörende Stille getaucht. Alles kulminiert im „Casimir Pulaski Day“, dem Eindruck nach eine fast unstilisierte Kindheitserinnerung, eindringlich, suggestiv, mit dem Atem Gottes im Nacken.“In the morning in the winter shade/ On the first of March on the holiday/ I thought I saw you breathing.“ Es liegt etwas Erhabenes, ja: Heiliges über diesen Liedern, die Stevens bei aller Schüchternheit sehr zielbewußt entfaltet, zu toll gesungenen Unisono-Chören und puckernden Banjos. Für diese Aufführung kann man Sufjan Stevens nur danken: Ein schöneres Musikerlebnis hatte ich in diesem Jahr nicht.