Süchtig nach Stax
Stefan Gwildis singt Soul-Klassiker in knuffigem St.-Pauli-Deutsch und hat riesigen Erfolg damit
Ich bin ein Kind der Siebziger“, sagt der silbergraue Stefan Gwildis.“Da hab ich meine Pubertät verlebt und auch Haare an bestimmten Stellen bekommen. Wenn man in dieser Zeit die entsprechende Musik hört, ist das besonders intensiv.“
Trotz seiner großen Leidenschaft für den klassischen Soul ist der Hamburger Sänger und Gitarrist ein Spätzünder. Erst vor zwei Jahren, mit 45, hat er sein Debütalbum veröffentlicht Naturgemäß kein pubertär spritziger Funkystuff, eher ein mit sonorer Stimme vorgetragenes Balzen. Für „Neues Spiel“ hatten Gwildis und sein Freund Michy Reinke 13 Soul-Klassiker mit deutschen Texten versehen – Neuinterpretationen, keine Übersetzungen. Das klingt nach einer pfiffigen Geschäftsidee, um ein paar ältere, Soul-affine Sleeper abzugreifen. Dem Talent von Gwildis tut man mit dem Vorwurf allerdings Unrecht. „Der Text der Originale ist für mich nur eine Grundlage. Wenn man das 1:1 übersetzt, kommt man schnell in Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Gefilde. Ein Text gehört auch in seinem Kulturkreis. Was in New York seine Wirklichkeit und Funktion hat, muss in Deutschland nicht funktionieren.“
Auf seinem neuen Album „Nur wegen dir“ hat Stefan Gwildis deshalb die Hälfte der Lieder selbst geschrieben. Der Rest sind wieder neubetextete Klassiker: „Das kann doch nicht dein Ernst sein“ statt „I Heard It Through The Grapevine“.
Dass sich das alles unpeinlich und sehr gekonnt anhört – wenn auch nicht gerade innovativ -, liegt an Gwildis‘ Persönlichkeit. 30 Jahre lang hat er „einen musikalischen Gemischtwarenladen“ angeboten. Er hat in Musik- und Musiktheater-Projekten der Hamburger Alternativ-Szene mitgespielt, 1982 die Theaterfabrik Kampnagel mitbesetzt, eine Weile die Reifenfabrik seines Vaters geführt und jede Jobs als Hafenarbeiter hinter sich gebracht Eine Karriere hat er dabei nie verfolgt – aber Gelegenheiten beim Schopf gepackt: „Als ich noch ziemlich jung war, bin ich durch Zufall am Hamburger Thalia-Theater vorbeigegangen. Da hab ich einfach mal den Pförtner gefragt: Ich würde gern Schauspieler werden, wo muss ich mich denn hier melden? Er guckte mich an – ich hatte damals lange Haare und Bart und sagte: Na, komm mal nächsten Dienstag, da haben wir ein Casting für ,Die drei Musketiere‘. Das passte wie der Arsch auf’n Pott. Ich konnte mich gut bewegen, war sportlich drauf, also bewarb ich mich und wurde auch tatsächlich angenommen.“
Stefan Gwildis gibt sich gern einen proletarischen Touch, auch seine Texte profitieren von der lebendigen Sprache echter St. Paulianer und erzählen Geschichten von erwachsenen Söhnen, die sich damit abfinden müssen, dass ihre Mutter einen neuen Kerl zu Hause hat. Rocko Schamoni mag musikalisch ein ähnliches Terrain beackern, doch wo der Chef-Ironiker des Golden Pudel Clubs auf Distanz und Abstraktion setzt, ist Gwildis mitten drin. Und man glaubt ihm den sympathisch altmodischen Traum von der „Großen Freiheit“, wo’s hinter dem Horizont immer weitergeht.