Subversion und Erbauungslieder: Die Kirche als besonderer Auftrittsort
Rock The Church: Für viele Musiker ist es ein Ereignis, ein Konzert in einer Kirche zu spielen. Doch so mancher US-Rockstar scheint mit der göttlichen Erleuchtung zu fremdeln.
Ein Rock-Konzert in einer Kirche, Verstärker vor dem Altar und Jubelschreie von den Bankreihen, auf denen sonst gebetet wird. Darf man das? Verstößt das nicht gegen irgendein heiliges Gebot? Als Mitteleuropäer muten solche Fragen beinahe lachhaft an. Für einige US-Amerikaner sind Auftritte in Gotteshäusern jedoch nicht selbstverständlich.
Lucinda Williams etwa war derart verblüfft, als sie in der Berliner Apostel Paulus Kirche spielte, dass sie immer wieder in ungläubige Begeisterung ausbrach und des Öfteren ein „Oh my God!“ ausstieß. Der ließt sich zwar nicht blicken, dafür wurde der Abend aber zu einem wahrhaft göttlichen Vergnügen.
Jeff Tweedy wiederum fühlte sich in selbigem Ambiente spürbar unwohl, als er mit Sohn Spencer die Stücke ihres gemeinsamen Albums, „Tweedy“, präsentierte, während Conor Oberst gar nicht wahrzunehmen schien, wo er sich befindet. Auf einem Stuhl sitzend, den Kopf wild hin und her schüttelnd und mit dem Beben in der Stimme, das man von frühen Bright-Eyes-Songs kennt, sang er sich in Ekstase, als gelte es noch immer, den Schmerz der Jugend hinauszuschreien.
Mit der Unterhose auf der Kanzel
Den wohl unverkrampftesten Umgang mit den räumlichen Gegebenheiten pflegte Will Oldham, der gleich zwei Konzerte dort gab. Als jemand im Publikum einen anderen Besucher, der ein paar Reihen weiter vorn stand, bat, sich doch bitteschön hinzusetzen und ihm nicht die Sicht zu versperren, fühlte sich Oldham angesprochen – und tat, wie ihm geheißen. Selten wurde ein Spießer so charmant entlarvt. Dass er nicht gerade der frommste Evangelist vor dem Herrn ist, zeigte Oldham, indem er auf den „Dude“ da hinter sich deutete und damit unzweifelhaft den gekreuzigten Jesus meinte.
Wie man es schafft, die Geduld des Pfarrpersonals endgültig auszureizen, demonstrierte Rufus Wainwright in der Berliner Passionskirche, wo er sich, nur mit einer modischen Unterhose bekleidet, auf die Kanzel schwang. Stephin Merritt von den Magnetic Fields bedauerte bei seinem Auftritt, dass nach dieser Ankunft des „Gay Messiah“ eine Performance auf der Kanzel untersagt sei.
In den USA werden meist nur entweihte Kirchen für Pop-Veranstaltungen genutzt. Der Legende nach spielten R.E.M. ihr erstes Konzert in der früheren St. Mary’s Episcopal Church in Athens zur Geburtstagsparty eines Freundes. Rickie Lee Jones nahm ihr neues Album „The Other Side Of Desire“ in einer Kirche in New Orleans auf, die seit 2013 die Esplanade Studios beherbergt.
In gediegenem Rahmen hat die Popmusik längst weltweit und konfessionsübergreifend Einzug in heilige Hallen erhalten.
Wer einmal einen Kirchentag besucht hat, wird nicht überhört haben, dass sich Bibelverse immer häufiger in Melodien kleiden, die manchmal eine frappierende Ähnlichkeit mit Chart-Hits haben. Wie man junge Menschen erreicht, haben moderne Pfarrer und Kantoren clever erkannt. Ihre zum Mitsingen einladenden Refrains sind oft auch nicht schlechter als die Erbauungsschlager von Xavier Naidoo und Hartmut Engler. Und dass sich das Wort des Herren in eingängigen, emotionsgeladenen Liedern besser an kommende Generationen weiterreichen lässt als durch lange Litaneien, weiß man nicht erst seit Gospel.
Vorbild DDR
Ein seltenes Beispiel dafür, dass sich Kirche nicht nur dem Mainstream annähert, sondern umgekehrt auch Subkulturen und Subversion gedeihen lassen kann, bildet die ehemalige Deutsche Demokratische Republik. Unter dem Schutz evangelischer Gemeinden konnten Rockbands proben und auftreten, deren Mitglieder vom Ministerium für Staatssicherheit bespitzelt und unter Druck gesetzt wurden.
Einen lebendigen Eindruck dieser Zeit vermittelt der wunderbare Dokumentarfilm „Ostpunk! Too Much Future“. Nach dem Fall der Mauer zerbröckelte die Szene, weil plötzlich die lange verwehrte Musik aus Großbritannien und den USA frei zugänglich war. Und weil die hiesige Pop-Landschaft Anfang der Neunziger keine Punks mehr brauchte. Übrig blieben Einzelakteure wie der Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz, der mit seiner Band Rammstein bald neue Wege musikalischer Provokation beschreiten sollte. Bis diese kirchenkompatibel ist, wird es wohl noch ein Weilchen dauern.