Subventioniert die Buchläden!
Die Erben eines Backpulverfabrikanten haben ein Lieblingsgeschäft unseres Kolumnisten abgewickelt. In solchen Fällen muss doch der Staat eingreifen!
Die von der Politik so ersehnte Digitalisierung löst die alte Welt auf. Reißt klaffende Löcher in die Realität. KIs machen ganze Berufsklassen obsolet, von denen man noch vor ein paar Jahren gedacht hätte, dass die krisensicher sind. Journalisten und Grafiker hatte ich als völlig ungefährdet vom Zugriff der Einsen und Nullen gesehen, dafür wird man für alle Zeit Menschen brauchen, dachte ich. Nun stehen sie auf brüchigem Eis.
Das Ganze lässt sich auch im städtischen Raum spüren, am Auflösen der Buch- und Schreibwarenläden. Gerade dieser „feingeistige Bereich“ des Einzelhandels verpufft peu a peu in der Hamburger Innenstadt. Ein Geschäft nach dem anderen wird wegradiert. Oft bekommt man es gar nicht mit. Die Auflösung passiert sehr schnell und ein weiteres Loch entsteht, das nach kurzer Zeit von irgendeinem Billigschuhgeschäft geschlossen wird. Schuhe gehen immer. Oder Hörgerätestores. Oder Fitness Center. Warum aber verschwinden die Schreibwarenläden?
Trotz all der digitalen Schreib- und Postmethoden brauchen wir Menschen doch Stifte, Füller, Papier, Umschläge, Post-its, und all dieses wunderbare Zeugs. Und noch wichtiger: die Buchläden. Fünf Buchläden sind in den letzten Jahren um mich herum verpufft. Manchmal wundere ich mich darüber, dass die Betreiber dieser Buchläden Tolinos und Kindles verkaufen. Das ist so, als wenn Fichten im Wald einen Borkenkäferstore betreiben würden. Ich persönlich habe mir – getreu dem Motto „support your local Dealer“ – angewöhnt, alle wichtigen Bücher in Papier zu kaufen, allein schon, um sie verleihen oder verschenken zu können.
Am schlimmsten war für mich die Verpuffung des schönsten Hamburger Kunstbuchladens: Sauter & Lackmann. Seit Jahrzehnten gab es dieses große alte Geschäft in der Admiralitätstraße, vollgestopft mit zigtausenden von Büchern, alle über die Welt der Kunst. Ein wunderbarer staubiger Irrgarten. Man konnte sich stundenlang in den Gängen verlieren. Dort war wirklich alles zum Thema zu finden und zu jeder Festivität war Sauter & Lackmann meine erste vertrauensvolle Anlaufstelle für Geschenke.
In den letzten Jahren ließen die Kundenströme etwas nach, und man überlegte, ein kleines Café in das Buchgeschäft zu implantieren, um Kunden zum Verweilen anzuregen. Dann ging alles ganz schnell: Die Erben eines großen deutschen Backpulverherstellers übernahmen den kompletten Betrieb, versprachen, das Geschäft umzubauen und zu modernisieren. Sie fingen an, bastelten und bauten einige Monate im Geschäft herum, aber irgendwann stand der Umbau still. Dem Vernehmen nach hatte man sich mit dem Architekten zerstritten.
Die ganze Zeit warteten und hofften wir Anwohner ungeduldig darauf, dass nun endlich bald unser geliebter Buchladen wieder eröffnet, der das Wahrzeichen unserer Straße war. Nach monatelangem Stillstand entdeckten wir über Nacht große Spezialcontainer auf dem Hof hinter dem Geschäft. Sie waren zur Entsorgung der Bücher gedacht und so gebaut, dass man nur hineinschmeißen, aber nicht hineingreifen konnte. Innerhalb weniger Tage wurden Tausende Bücher entsorgt, dann die herrlichen hohen Regale aus den Räumlichkeiten gerissen und der Tresen zersägt.
Konsterniert verfolgten wir das Geschehen. Was war passiert? Die Backpulvererben hatten keinen Bock mehr aufs Buchgeschäft und waren weiter gezogen auf der Suche nach gewinnbringenderem Einsatz ihrer Keksgelder. Sie ließen keine Nachricht, keine Erklärung, sondern nur einen leeren ausgeräumten Schacht zurück. Ein Nachmieter fand sich nicht.
Es erinnerte mich an den wunderbaren Michel-Gondry-Film „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ mit Jim Carry und Kate Winslet, in dem sich die Erinnerungen der von Jim Carry gespielten Figur auflösen und Personen aus seinem Geist und der Wirklichkeit gelöscht werden, sie zerplatzen wie Seifenblasen.
Gemäß meinem neuen Motto „Mehr Staat wagen!“ möchte ich die Politik dazu auffordern die Auflösung von Buch und Schreibwarenläden zu verbieten. Ihre Existenz zu subventionieren, durch Extrasteuern, die erhoben werden von Billigschuhgeschäften, Hörgerätestores und Fitness Centern.