Studio-Souverän

Mit Gespür für Pop, einem Gehör für Sound-Finessen und dem nötigen Durchsetzungsvermögen gelangen dem Produzenten Hazlewood einige Klassiker

Im Alter von 25 Jahren war Lee Hazlewood ein etablierter Radio-DJ in Phoenix, Arizona. Und ein frustrierter Songwriter, der es leid war, alle paar Wochen mit dem Greyhound nach Los Angeles zu fahren, um bei Musikverlagen vergeblich die Klinken zu putzen. „Sie sagten mir nicht einmal, was ihnen an meinen Songs nicht passte. Irgendwann hatte ich die Schnauze voll, und ich beschloss, selbst Platten aufzunehmen.“ AI Casey, damals gerade 17 und bereits gefragter Gitarrist, erinnerte sich später: „Lee war verdammt ehrgeizig. Er ahnte, dass das Plattenproduzieren vielleicht die einzige Möglichkeit war, groß herauszukommen.“

Lee nahm lokale Country-Acts auf und Rockabilly-Sänger, in einem winzigen Studio mit rudimentärem Equipment. Doch er wollte mehr. Im Vorjahr hatte er als DJ hautnah die Hysterie erlebt, die ein gewisser Elvis Presley auslöste, wenn er nur im Radio zu hören war. Was er dringend benötige, teilte er Casey mit, sei „a real goodlooking kid who thinks he can sing“. Dem fiel prompt ein Kumpel aus Highschool-Tagen namens Sanford Clark ein, der die Songs von Hank Williams und Lefty Frizzell draufhatte und bei den Ladies ankam. Hazlewood ließ ihn „The Fool“ singen, eine dunkle Folk-Ballade aus eigener Feder, die er aus Vertragsgründen unter dem Mädchennamen seiner Frau verlegte, und die Al Casey mit einer Abwandlung jenes Riffs unterlegte, das Howlin‘ Wolfs „Smokestack Lightnin'“ so unwiderstehlich gemacht hatte. Clark sang düster-melancholisch, Hazlewood sorgte für gerade so viel Hall, dass es nach Sun Records klang, nicht aber wie eine Elvis-Kopie. Die Single erschien im Mai’56 auf dem kleinen MCI-Label, eroberte die Country-Stationen, die Popwellen, die Plattenläden. So gewaltig war die Nachfrage, dass nur eine national operierende Plattenfirma sie befriedigen konnte, Hazlewood lizensierte „The Fool“ an Dot. Wo man kaum glauben konnte, dass eine so fantastisch klingende Aufnahme unter primitiven Bedingungen in Phoenix entstanden sein sollte. Hazlewood wurde als Hausproduzent verpflichtet und perfektionierte, nun gut bezahlt, seine Produktionskünste. Indem e rviel Zeit in Experimente steckte, Klangquellen testete, das Studio-Personal und die an den Versuchsanordnungen beteiligten Musiker unter Strom setzte. Keineswegs immer auf die freundliche Art. Im Studio habe manchmal eine gespannte Atmosphäre geherrscht, so Casey, „Lee konnte laut werden, wenn etwas nicht so lief, wie er wollte“. Doch sei es nicht zuletzt diesem Druck geschuldet, dass die Aufnahmen so bahnbrechend geworden seien.

Hazlewoods nächste Großtat hieß „Rebel Rouser“. Mit Duane Eddy hatte er schon öfter gearbeitet, doch schwebte ihm ein neuer Sound vor, den herzustellen ein paar Tricks erforderte. Lee ließ den Gitarristen kräftig in die tiefen Saiten greifen bei gleichzeitiger Betätigung des Tremolo-Arms, unter Beimischung jeder Menge Reverb. Der Duane-Eddy-Twang war geboren und wurde berühmt als Hitgarant mit enormem Wiedererkennungswert. Als Echokammer diente anfangs der Schacht eines Getreidespeichers, später verdiente man an einem patentierten Effektgerät.

Den dritten Geniestreich, mit dem Hazlewood seine Reputation als Studio-Magier festigte, ließ er Nancy 5inatra angedeihen. Deren Vater Frank Reprise gehörte, die Plattenfirma mithin, bei der Lee 1965 unter Vertrag stand. Dem der Produzent die Bitte, seiner Tochter eine Sangeskarriere maßzuschneidern, schwerlich abschlagen konnte. So nahm Hazlewood Nancy unter seine Fittiche. Die Idee, „These Boots Are Made For Walkin'“ aufzunehmen, hatte zwar sie, doch Lee machte ihr unmissverständlich klar, wie der Song zu meistern sei. „Get rid of this babyness. You’re not a virgin anymore so let’s do one for the truck drivers. Bite the words.“ Und Nancy schlug ihre Zähne in den Song, die Augen blitzend, die Hüften kreisend. Frank soll erstaunt gewesen sein über Töchterchens plötzliche Verwandlung in eine sexuell anzügliche Pop-Domina. Die Dominanz von „Boots“ in den Charts der Welt wurde freilich gebührend gefeiert. Wie etliche weitere ihrer Hits aus Lees Feder, klanglich kongenial umgesetzt und produktionstechnisch ihrer Zeit oft voraus.

Essential Lee Mehr als 20 hörenswerte Alben veröffentlichte Hazlewood in gut 40 Jahren, als Solist oder mit blondem Gift. Eine Auswahl.

TROUBLE IS A LONESOME TOWN (1963) Die Landkarte auf dem Cover zeigt Colorado, doch könnte mit dem f iktionalisierten Städtchen Trouble Lees Geburtsort Mannford, Oklahoma, gemeint sein. Die Bewohner scheint er jedenfalls genau zu kennen: das Diebsgesindel, den Totengräber, die erblühende Schönheit. Sonor gesprochene Skizzen dieser Figuren sind dem jeweiligen Song vorangestellt, der Gesang gemahnt an den jungen Johnny Cash. Bravouröses Debüt. 4,5 FRIDAY’S CHILD Ü965) Die 1964 erschienene LP „The N.S.V.I.P.s“ ist ein akustisches, wenig überzeugendes Sequel von“.Trouble“, doch auf „Friday’s Child“ lässt Lee seine Talente als Songwriter. Arranger und Produzent spielen. Im famosen Title-Track. Nancys spätere Hitversion antizipierend. Oder auf dem lässig fingerschnippenden, verhallten „Houston“, ursprünglich eine schnöde Auftragsarbeit für Dean Martin, der den Song croonend vergoldete. 4,0 NANCY & LEE (1968) Fast zwei Jahre lang macht Hazlewood keine Platten, weil ihn die mediale Omnipräsenz der ungeliebten Beatles anödet. Ab 1966 dann greift er wieder ins Geschehen ein, veröffentlicht erratische LPs und „Nancy & Lee“. Ein Album, das vom Kontrast zweier Stimmen lebt, von erotischer Spannung und einem halben Dutzend brillanter Tracks, darunter „Some Velvet Morning“, „Summer Wine“ und „Sand“: verstörend und betörend. 4,0 LOVE AND OTHER CRIMES (196S) Das Cover ist auf farbige Art billig, doch birgt „Love And Other Crimes“ eine Lied-Kollektion, die an dunkle Geheimnisse rührt. Der Titelsong, zweigeteilt und je eine Minute lang, klingt als hätte ihn Leonard Cohen geschrieben, „Morning Dew“ von Tim Rose wird dramatisiert, „She’s Funny That Way“ gerät zum Psychogramm. Kein Konzeptalbum, aber eines aus einem Guss, mit Könnern wie James Burton und Hai Blaine. 4,0 THE COWBOY AND THE LADY (1969) Wieder sind die Musiker erstklassig, Charlie Mc-Coy arrangiert, indes schlägt das Stimmungspendel auf diesem Duette-Album mit der Actrice Ann-Margaret in die entgegengesetzte Richtung:“.The Cowboy & The Lady“ ist amüsant, flirty. selbstironisch. Ohne Hazlewood-Material, mit Songs von John D. Loudermilk und Nat Stuckey, Jimmy Bryant und Tom Rush. Am Ende wird „The Dark End Of The Street“ beleuchtet, beinahe beschwingt. 4,0 REQUIEM FOR AN ALMOST LADY (1971) Hazlewoods Abrechnung mit seiner langjährigen Partnerin Suzi Jane Hokom. die er der Ex-Geliebten per Post zustellen lässt: brutal, bitter, reumütig. Lee spricht Intros, die Songs haben Country-Flair. sind musikalisch so verbindlich wie in ihrer Aussage unversöhnlich: „l’d rather be your enemy than hear you call me friend.“ The Jesus & Mary Chain gefiel diese Verletzung so gut, dass sie den Song coverten. Eine angedachte Kollaboration mit Lee platzte leider. 4,0

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