Street Fighting Man

Morello ist ein Störfaktor. Eine dicke schwarze Fliege in der Suppe der Macht. Wann immer er mit Rage Against The Machine oder solo als The Nightwatchman bei Kundgebungen, Demonstrationen oder Kongressen auftritt, bohrt er mit beiden Zeigefingern in den überklebten Wunden der Ungerechtigkeit, praktiziert Widerstand und Freiheitskampf und argumentiert seinen Standpunkt mit dem rhetorischen Geschick eines Spitzenpolitikers.

Glücklicherweise kautn ernst zu nehmende. Trotz der Tatsache, dass ich meine links gelagerte Meinung in diesem rechts gerichteten Land äußere, so oft es geht. Gerichtsklagen kommen gelegentlich vor, aber viel häufiger kämpfe ich mit Verletzungen, wenn mich mal wieder jemand für meine Meinung über die Regierung mit körperlichen Sanktionen bedacht hat.

So ist das eben, wenn man sich viele Feinde macht.

Wer keine Feinde hat, macht was falsch. Du musst die Federn von Leuten durcheinander rütteln, ansonsten bist du zu zahm. Eine meiner Lieblings-Textzeilen von Joe Strummer stammt aus dem Song „Clampdown“ und lautet: „You grow up and you calm down“. Als ich diese Worte zum ersten Mal hörte, habe ich mir geschworen: Das wird niemals auf mich zutreffen.

Morello ist Robin Hood. Klar, seine Band gilt als das vielleicht einflussreichste musikalische Geschehen der neunziger Jahre, Drummer Brad Wilk und Basser Tim Commerford grooven unnachahmlich, Morello definiert den Sound der E-Gitarre neu und wird fortwährend als „Der Hendrix der Neunziger“ oder „DJ der Gitarre“ bezeichnet, Sänger Zack de la Rocha spuckt mit echter Wut Parolen ins Mikro, und all das zusammen gießt die Heldenstatue von Rage Against The Machine und deren Plattenverkäufe in Gold. Das weiß man. Was man als Musik-interessierter Mitteleuropäer jedoch nur sehr begrenzt kapiert, sind die Inhalte.

Du hast im Laufe deiner Karriere an unzähligen politischen Aktivitäten teilgenommen oder sie selbst initiiert. Welcher war dein größter Erfolg?

Wir haben wichtige Siege für die Bauern eingefahren, die unter sklavenhaften Bedingungen für Taco Bell und Burger King schuften. Aber unser Kampf für überregionale wirtschaftliche Gerechtigkeit ist in vollem Gange – erst gestern haben wir einen massiven Treffer gelandet: Vor der Democratic National Convention in Denver sind wir bei einem von Kriegsveteranen organisierten Festival aufgetreten, um gegen den Irakkrieg zu protestieren und uns für nötige soziale Maßnahmen für Kriegsheimkehrer stark zu machen. Direkt im Anschluss an das Konzert sind wir mit 8.000 anderen Demonstranten bis vor die Pforten des Pepsi Centers marschiert, in dem die Convention stattfand, wo uns eine Legion von Polizisten den Zugang verwehrte. Das muss man sich mal vorstellen: Genau den Männern und Frauen, die ihrem Land gedient haben, sagt man, es sei ihnen verboten, an einem Kongress dieses Landes teilzunehmen. Durch die große Masse an friedlichen Menschen, die uns den Rücken stärkten, erreichten wir, dass die Veteranen im Endeffekt doch noch in die Convention gelassen wurden, um ihr Anliegen an Barack Obama zu richten.

Ist die Beendigung des Krieges dein akutestes Anliegen?

Den Krieg stoppen, Folter beenden, der US-Außenpolitik Vernunft einhauchen und Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen.

Morello ist ein Stratege. Er beobachtet aufmerksam, plant präzise, arbeitet unermüdlich und schlägt wirkungsvoll zu. Der energetisch peitschende Rhythmus, die knallenden Riffs und die universal einsetzbaren Texte seines Sondereinsatzkommandos elektrisieren die Massen, öffnen Augen, geben Impulse, zerrütteln Federn, brechen Knochen. Seine Meinung ist bei den Machthabenden so willkommen wie ein Bildausfall beim Super Bowl, denn Rage Against The Machine bilden seit 1992 den faulen Zahn im weißen Lächeln der US-Regierung. Das Medley ihrer aufsässigen Aktionen, das sich über Jahre selbst komponiert, ertönt packender als jede andere Bandbio: Für das Cover ihres Debütalbums wählen Rage den mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Schuss von Malcolm Browne aus dem Jahr 1963, der einen vietnamesischen Mönch zeigt, der sich aus Protest gegen die Ermordung von Buddhisten durch das Regime des Präsidenten Ngo Dinh Diem selbst verbrennt. Von hier an ist klar: Diese Band hat ein höheres Anliegen als Plattenverkäufe und die Vorzüge des Rockstarlebens.

Es kommen unzählige Einsätze zusammen: Im April 1996 werden Morello & Co. bei der TV-Show „Saturday Night Live“ aus dem Studio geworfen, weil sie kurz vor dem Auftritt umgedrehte US-Flaggen über die Verstärker hängen – als Zeichen ihrer Abneigung gegen den Studiogast Steve Forbes, ehemaliger Präsidentschaftskandidat der Republikaner und Milliardär. Rage machen sich für die Freilassung des zum Tode verurteilten Black-Panther-Mitglieds Mumia Abu-Jamal und des indianischen Politaktivisten Leonard Peltier stark, für die sie Benefiz-Konzerte spielen. Am 20. Januar 1997, am Abend der Amtseinführung des wiedergewählten Präsidenten Bill Clinton, hält die Band eine Radiosendung namens „Radio Free LA“, in der u.a. Interviews sowie Berichte von und über Regisseur Michael Moore, Leonard Peltier, Mumia Abu-Jamal, Chuck D von Public Enemy und Subcomandante Marcos von der EZLN (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) vorgetragen werden. Auf dem Woodstock-Festival 1999 verbrennen Rage die amerikanische Flagge öffentlich auf der Bühne vor zehntausenden Zuschauern. 2001 startet der erste Farmarbeiter-Streik der USA – nach vierjähriger Dauer wird eine akzeptable Einigung erzielt. Eigentlich ist jedes Rage-Konzert eine politische Botschaft: Erst kürzlich, als man am 22. August 2008 das Reading Festival headlined, betreten die Vier in orangefarbenen Gefängnisanzügen und mit Säcken über den Köpfen die Bühne, bleiben minutenlang starr stehen und werden schließlich an ihre Instrumente geführt, um „Bombtrack“ ins Volk zu feuern.

Neben dem Taco-Bell-Streik ragen zwei Aktionen besonders hervor: Als die Band im Jahr 2000 bei der Democratic National Convention in LA. auftritt, kommt es zu bürgerkriegsgleichen Szenen. Die Polizei geht mit übertriebener Gewalt vor und spricht anschließend davon, mit angemessenen Maßnahmen auf eine gesetzesfeindliche Gruppe reagiert zu haben. Und: Als Michael Moore mit der Band im selben Jahr das Video zu „Sleep Now in The Fire“ vor der New Yorker Börse aufnimmt, muss diese mitten am Tag geschlossen werden. Beide Ereignisse sind packend dokumentiert und sorgen auf www.youtube.com unter den Begriffen „Democratic National Convention 2000 Killing In The Name“ sowie „Rage Against The Machine Sleep Now In The Fire“ für bleibende Horizonterweiterungen: Derartige Auswirkungen hat das gezielte Engagement einer Rockband selten erreicht.

Du hast mit Rage und Audioslave weltweit über 30 Millionen Platten verkauft, du könntest Golf spielen oder am Pool sitzen und Pina Coladas schlürfen. Warum suchst du ständig Streit?

Pina Coladas? Das klingt nach einer fantastischen Idee! Weißt du, meine Helden sind Leute wie Jimmy Page, Randy Rhoads, Che Guevara, Malcolm X oder Rosa Luxemburg. Solange nicht jeder Mensch frei lebt, kann ich nicht frei sein. Also werde ich auch weiterhin meinen musikalischen Vorschlaghammer gegen die Mauern der Ungerechtigkeit schwingen.

Woher kommt dieser Superhelden-artige Antrieb? Welche Menschen haben dich zu dem gemacht, was du bist?

Das hängt ganz sicher mit meiner Familie zusammen. Die kenianische Hälfte meiner Familie führte die Unabhängigkeitsbewegung in Kenia an, und meine Mutter war eine Bürgerrechtsaktivistin.

Um genau zu sein: Deine Mutter hat „Parents for Rock and Rap“ für die Wortfreiheit in Songtexten gegründet, dein Vater war der erste kenianische UN-Botschafter und dein Großonkel sogar der erste gewählte Präsident Kenias. Meine radikale Mutter zuhause und die äußerst konservative Gemeinde Liberty Ville in Illinois, wo ich aufwuchs, waren eine bizarre Mischung, die mich schon in jungen Jahren zum Nachdenken über Ungerechtigkeit gebracht hat. Ich war die allererste schwarze Person in ganz Liberty Ville! Ich musste lernen, mit einer gehörigen Portion Rassismus umzugehen, weshalb meine Mom mir von Martin Luther King und Malcolm X erzählte. Diese Menschen, die genügend Courage besaßen, sich gegen die Ungerechtigkeit aufzulehnen, haben mich schwer beeindruckt.

Morello ist ein Engel. Im April 2006 wird er mit dem „Eleanor Roosevelt Human Rights Award“ als Anerkennung für seinen langjährigen Kampf ausgezeichnet. Doch Toms Lohn ist der Zuspruch der einfachen Bevölkerung, denn schließlich haben Rassismus in seiner Kindheit, eine schwerwiegende Aversion gegen Ungerechtigkeit, politisch revolutionäre Eltern und ein mit Ehrengrad abgeschlossenes Studium der Politikwissenschaften in Harvard den Kenia-stämmigen Jungen im Laufe der Jahre zum Nightwatchman geformt. Und auch Superhelden haben Vorbilder: Für Tom sind dies auf der einen Seite Protestsänger wie Woodie Guthrie und Bob Dylan, auf deranderen tröpfeln ihm Che Guevara, Malcolm X, Emma Goldman oder Paul Robeson bis heute pures Öl auf die Antriebswelle. Seine zweite, musikalisch zwar nicht unersetzbare, aber bis in den Cappy-Schirm motivierte Solo-Platte „The Fabled City“ stürmte just am 30. September in die Läden und bietet neben vertonter Auflehnung und Steinwürfen auch nachdenkliche persönliche Momente.

Wo finden sich all diese pikanten Namen und Vorbilder in deinen Songs wieder? Jeder meiner Songs soll klingen wie eine Mischung aus Johnny Cash und Che Guevara. Ich liebe die Akustik-Platten von Guthrie, Dylan oder auch Springsteen, weil sie mindestens genauso kraftvoll sind wie die härtesten Alben, die je mit Marshall-Verstärkern produziert wurden. „The Fabled City“ ist zwar kein lupenreines Folkalbum, da ich rockige Elemente eingebaut habe, aber inhaltlich findet hier eine intensive Osmose mit persönlichen und politischen Themen statt. Die Menschen, die ich beschreibe, sollen das genaue Gegenteil der momentan regierenden, rückgratlosen Politiker darstellen. Meine Helden stehen auf der anderen Seite des Zauns und werfen Molotowcocktails.

Klingt, als könntest du jede Menge Inspiration aus deinen eigenen Aktivitäten ziehen.

Definitiv! Aber diese Platte ist im Vergleich zur ersten persönlicher, weil ich in den letzten Jahren viele mir sehr nahe stehende Menschen verloren habe: Mein Onkel, meine Tante – sogar mein Hund ist gestorben. Die Suche nach Bewältigung und Hoffnung sowie der Kampf gegen die Ungerechtigkeit bestimmen meine Songs. Deswegen stehen bei mir ganz klar die Texte im Vordergrund. Erst wenn ich den textlichen Rahmen für einen Song habe, füge ich Melodie und Akkorde hinzu – andersherum würde es für mich überhaupt keinen Sinn machen. Morello ist ein Vagabund. Er predigt auf der ganzen Welt, spielt mitunter drei Konzerte pro Tag und leitet mehrere Organisationen – so zum Beispiel die Axis of Justice, die er mit Serj Tankian von System Of A Down ins Leben gerufen hat, um Musik-Fans mit lokalen politischen Organisationen zu verbinden. Und Morello rastet nicht. Er ist überall zugleich und muss höllisch aufpassen, wie er sich präsentiert. Zu groß ist die Gefahr, dass er als Rebell zweifelhaft erscheint oder falsch wahrgenommen wird. Ein steinschwerer Rucksack voll Verantwortung.

Wie muss man sich ein Leben als Rebell vorstellen?

Sehr busy. In den vergangenen 24 Stunden habe ich drei Shows gespielt, an einem Protestmarsch über mehrere Meilen teilgenommen und kaum geschlafen. Das Leben als Rebell kann dich ganz schön auslaugen.

Demnach müsstest du ein großer Befürworter der Klon-Technologie sein …

Wie man’s nimmt – zumindest könnte ich dann meinen Morello-Klon auf die Bühne schicken, während ich mir eine schwedische Massage verpassen lasse!

Welche Einschränkungen hat die Maxime „Practice what you preach“ für dein Privatleben zur Folge?

Meine einzige Verantwortung ist der Mut der Überzeugung – und diese zu meinem Beruf zu machen. Ich muss mit aller Macht, die sich mir als Künstler bietet, eine Hand an das Steuerrad der Geschichte bekommen und es in die richtige Richtung zu lenken.

Isst du bei McDonald’s?

So etwas sehe ich meist recht locker, solange ich mein Gesicht nicht verkaufe. Wenn ich seit Stunden in einer kleinen Stadt festsitze, in der ich am Abend auftrete, kurz vor dem Verhungern bin und es keine vegetarischen Restaurants in der Umgebung gibt, dann hole ich mir ein paar Pommes bei McDonald’s. Niemand kann rund um die Uhr ein Heiliger sein.

Wenn ich nach diesem Interview nach Hause komme – wie kann ich unmittelbar ein Rebell werden?

Lass deine Wertvorstellung in deine tägliche Arbeit einfließen. Wenn Umweltschutz dein Thema ist oder du den Krieg stoppen willst, werde direkt Mitglied einer entsprechenden Organisation in deiner Stadt. Folge nicht meinem Anliegen, sondern deinem!

Wie lautet die Botschaft des Nightwatchman an alle Menschen dieses Planeten – in maximal fünf Worten?

Nur fünf Worte? Gib mir zwei Sekunden… Du hast den Nightwatchman kalt erwischt… Mann, nur fünf Worte?

Darf ich etwas vorschlagen?

Moment, ich hab’s! Die Botschaft lautet: Live free or die.

Mein Vorschlag wäre gewesen: Get your asses up now.

Auch gut! Also an jeden da draußen: Warte nicht darauf, dass die Revolution zu dir kommt – sei selbst die Revolution!

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