Straßen der Sehnsucht
So sehr die Belle & Sebastian-Musiker ihre Heimat Glasgow lieben, so stark hat sich auch die Atmosphäre dieser Stadt in ihre Lieder eingeschrieben
All die bläßlichen, dünnen Jungs mit den Gitarrenkoffern. Die Kaschemmen mit winzigen Bühnen und bierverpapptem Boden, die Plattenläden mit allwissenden Käuzen an der Kasse, die Cafes mit den Gammelsofas und den Musicboxen voller Teenage Fanclub– und Josef K-Liedern. „Glasgow ist ein großer Indie-Spielplatz“, so hat Stuart Murdoch die perfekte Gitarrenmusik-Infrastruktur seiner Stadt hübsch zusammengefaßt.
Bei Belle & Sebastian hört man die Stadt, in der sie leben, nicht als diffuses Stimmungsding – sie ist in ihrer Musik ganz konkret präsent. So konkret, daß man mit ihnen eine ganze Indie-Sightseeing-Tour zusammenstellen könnte (was ein örtlicher Bierbraubetrieb zu Werbezwecken auch versucht hat): angefangen mit dem „13th Note Cafe“ in der King Street (wo sich Musiker zum verzehr von vegetarischen Burgern treffen und früher Franz Ferdinands Alex Kapranos als Thekenkraft und Booker arbeitete – vielleicht überredete Murdoch ihn hier, für ein frühes B&S-Promobild mit seinem Fahrrad zu posieren) über das „Mono“ gleich gegenüber am Kings Court (in dem es außer veganem Essen auch einen winzigen Plattenladen gibt, der von Stephen Pastel betrieben wird), schließlich das West End, wo sich das Cafe des „Dear Catastrophe Waitress“-Covers finden läßt, die Hyndland Parish Church, wo Murdoch immer noch im Chor singt, das Gemeindehaus, wo er seinerzeit als eine Art Küster arbeitete, und den Kelvingrove Park, in dem die Skateboards klacken, die Boule-Kugeln klickern und einzelne B&S-Mitglieder sich gerne zum Fußballspielen treffen.
So wichtig sind diese Orte, daß viele von ihnen auch ganz unmittelbar in die Liedtexte eingeschrieben sind. Der Ratschlag in „Like Dylan In The Movies“ etwa, nachts nicht alleine durch den Park zu gehen, bezieht sich auf nämlichen Kelvingrove Park – und die Zeile “ It’s not your money that they’re after, boy, it’s you“ auf die urban legend, dort lauerten böse Männer auf unfreiwillige Sexualpartner. Den Titel „Le Pastie De La Bourgeoisie“ entlieh Murdoch von einem Graffiti an einer Sandwichbude in der Byres Street – seine romantische Hoffnung, ein gleichermaßen betrunkener wie feingeistiger Passant hätte das hingekrakelt, wurde enttäuscht, als er später herausfand, daß John McKeown und Lawrence Worthington von Yummy Fur die wahren Schmieranten waren.
Im Cafe „Grosvenor“ beobachtete Murdoch schließlich die täppische Aushilskellnerin, die ihn zu dem Lied „Dear Catastrophe Waitress“ inspirierte, als sie eine Familie versehentlich mit heißem Tee übergoß. Für den Sunday Herold schrieb er einen Abgesang auf das Cafe, als es drastisch umgestaltet wurde – schließlich habe er dort viele Lieder erdacht „und sehr oft in die Zuckerdose geweint“.
Was Glasgow noch mehr zum perfekten Belle & Sebastian-Ort macht als seine Plätze, sind seine Posen. Die kleinen Geschichten und Gesten, die leicht schrulligen Charaktere. Vor allem im West End mit seiner angeschlagenen Schönheit gebe es viele von ihnen, sagt Murdoch, Menschen, die in vielen Dingen nicht sehr gut sind, sich so durchwurschteln. Dies sei eine große Inspirationsquelle für ihn – die allerdings nicht ewig weiterzusprudeln scheint: „Diese Menschen sind in Glasgow seltener geworden. Es scheint, als bekämen sogar die Leute im West End langsam ihr Leben geregelt.“