Stiller Sänger ohne Botschaften
Jeder Musikjournalist kennt das Szenario: „Wen interviewst Du denn?“ – „Elliott Smith.“ – „Nie gehört. Und was macht der so?“ Normalerweise muß man dann ziemlieh weit ausholen und Dinge sagen wie „eine Mischung aus…“ oder „erinnert an…“. Zum Glück ist das bei Smith anders. In seinem Fall kann man nämlich auf den Film „Good Will Hunting“ verweisen. Die leise, zarte Stimme im Hintergrund – das war Elliott Smith. Sechs Songs von ihm sind auf dem Soundtrack. Und im März dieses Jahres trat er mit seiner akustischen Gitarre bei der Oscar-Verleihung auf. Also praktisch vor der ganzen Welt.
„Ziemlich beängstigend“ fand er diesen Abend, aber mittlerweile hat er sich wieder beruhigt. Das Hollywood-Gastspiel verdankt er seiner Freundschaft mit Gus Van Sant, dem Regisseur von „Good Will Hunting“. In Portland/Oregon, wo Smith einen Teil seiner Jugend verbrachte, lernten sie sich kennen. „Gus hat nebenbei noch ein Hobby. Er hat sich ein Heimstudio gebaut, in dem er gern rumtüftelt. Ergo reden wir häufig über Musik und Filme.“ Van Sant sei ein Mann, der die Leute machen läßt Kein Despot, sondern ein toleranter Mensch. Typ Kumpel. „Und ich habe den Soundtrack auch nur gemacht, weil ich den Film mochte.“ Das klingt, als gehe es nicht um eine millionenschwere Hollywood-Produktion, sondern um eine gemeinsam gebaute Sandburg.
Aber Elliott Smith meint es so. Koketterie ist seine Sache nicht Auch die schwarzen Haare sind nicht deswegen fettglänzend, weil er das etwa schick fände. Seit einer Woche haben sie kein Wasser gesehen.“Ich war einfach nicht in der Stimmung zum Haarewaschen.“
Macht ja nichts. „Ich werde sicher auch in der nächsten Zeit nicht dazu kommen.“ Hhm. Smith hat ein Tattoo auf dem Oberarm und trägt ein ausgeblichenes Commodores-T-Shirt Manchmal wirkt er zwar etwas träge. Aber die Antworten auf alle Interviewfragen plätschern leise und freundlich aus ihm heraus. Man lauscht ihnen so wie dem Murmeln eines Gebirgsbachs.
Und unwillkürlich denkt man an den Mondgucker Will Oldham – in gewisser Hinsicht ist Elliott Smith ihm tatsächlich ähnlich. Allerdings auf sozialverträglichere Weise. Er reist zusammen mit seiner Freundin Joanna durch Europa, hat in New York seinen festen Wohnsitz – und beim Interview gibt es keine Blackouts. Ernsthaft doziert er über den Begriff „Singer/Songwriter“ und warum er diesen für sich ablehnt: „Damit sind viele Klischees verbunden. Ich mag es nicht, wenn ein Sänger Botschaften verbreitet. Die aufdringliche Symbolik vieler Songs stößt mich ab. Bob Dylan etwa hat auch so angefangen, mit diesen moralischen, plakativen Songs – aber er hat sich davon abgewandt. In meinen Songs gibt es keine Symbole.“
Um was geht es denn dann in seinen Liedern? Jedenfalls nicht immer um mich persönlich.“ Aha, da ist sie wieder, diese Authentizitäts-Lüge. Nach Smiths Meinung ist sie mit dem Begriff des Singer/Songwriter eng verbunden. „Wenn in einem Song das Wort .ich‘ vorkommt, ist das zunächst mal als künstliches Ich gemeint“ Hier spricht wieder der Beckett-Leser und College-Absolvent aus ihm. Und so versteht man die Songs seiner dritten LP „Either/Or“, des ersten in Europa erschienenen Albums, als zarte Dokumente einer pessimistischen Weltsicht. Sie werden leise gesungen. Kaum zu glauben, daß Smith diesen Stil in vielen Jahren Tingeltour entwickelt hat Nach der Trennung von seiner Band Heatmiser, die er mit ein paar Jugendfreunden formierte, trat er in Kleinstclubs und Kneipen auf. Die Leute lungerten meist gelangweilt am Tresen rum oder spielten in einer Ekke gegenüber der Bühne Darts. Und gelegentlich brüllte einer von ihnen unter dem Gejohle seiner Kumpane mutig: „Heh, sag mal, wer bist denn Du da vorne?“ Aber Elliott Smith gab nicht auf, sondern entwickelte sich im Stillen. Fast so wie die Filmfigur Will Hunting. Denn sie beide machten ja schließlich in Hollywood Furore. Was wieder einmal beweist, daß dort wirklich alles möglich ist.