Still Working for Your Smile – Grüße aus dem Tower of Song: Leonard Cohen in Lörrach
Das „Hotel Binoth“ hat auch schon mal bessere Tage gesehen. Die einst weiße Fassade ist ergraut, durch Milchglasscheiben glimmt trübes Licht nach draußen. Nebenan machen Eisverkäufer das Geschäft ihres Lebens, und in der Ferne leuchtet dunkelgrün ein Kaufhaus. Es ist Zeit zum Abschiednehmen: „Goodnight, my darling, I hope you’re satisfied!“, knurrt der Mann mit dem unerhörten Bassbariton. Wie so oft an diesem Abend zieht er seinen Hut, breitet seine Arme aus und scheint jedem einzelnen der 5000 Fans auf dem Lö’rracher Marktplatz tief in die Augen zu schauen, wenn er mit „I Tried To Leave You“ zum Schluss kommt.
Als sich der Blues tiefer und tiefer in die Nacht gräbt, gesteht Leonard Cohen, ein Mann zu sein, der immer wieder zurückkommt. Und obwohl es verdammt schwer ist, eine Liebe über viele Jahre nicht erkalten zu lassen, verspricht er, sich weiterhin alle Mühe zu geben: „Here’s a man and he’s still working for your smile“, singt er und genießt grinsend den Applaus.
14 Jahre war Leonard Cohen nicht mehr auf Tour, und uoch ist er nun auf die Bühnen zurückgekehrt und gab beim Stimmen-Festival im badischen Lörrach einen Vorgeschmack auf das, was man bei der kleinen Deutschland-Tournee im Herbst erwarten darf.
Das Abschiednehmen liegt dem kanadischen Song-Poeten tatsächlich nicht. Auch nicht an diesem Abend. Drei Stunden dauert der Auftritt des Einzelgängers. Ob „Suzanne“ oder „I’m Your Man“ – kaum einen der Klassiker, die Cohen seit Ende der 60er Jahre geschrieben hat, lässt er mit seiner neunköpfigen Band aus. Nur „Lover Lover Lover“, die einzige Nummer, die es tatsächlich mal vor 24 Jahren in die deutschen Top Ten schaffte, fehlt.
Noch immer betören diese Songs of love and hate mit einer durchdringenden Poesie, die Schwermut und Verlangen, Spiritualität und Bitterkeit miteinander verbinden – auch wenn die Erotik in Cohens Songs allmählich von der altersweisen Erhabenheit des Vortrags überlagert wird. Geschickt setzt Cohens musikalischer Leiter Roscoe Beck das Repertoire der Show in Szene, lässt Songs wie das düstere
Still Working for Your Smile Bjyselaus dem Tower of Song: Leonard Cohen in Lörm Cohen mit Band und Chorsängerinnen auf der Bühne beim Stimmen-Festival in Lörrach „The Future“ oder das melancholische „The Gypsy’s wfte aus einem filigranen Geflecht aus Neil Larsons Hammond-Orgel und Javier Mas‘ Bandurria-Gitarre entstehen. Mal verwandelt sich die Band in eine 8Os-Pop-Combo („Ain’t No Cure For Love“), mal in eine Wiener Schrammelkapelle („Take This Waltz“), mal wird groovend mit dem Soul („Boogie Street“), mal rockig mit dem Country („Closfng Time“) geflirtet.
Zwar verliert sich hin und wieder die musikalische Inszenierung im atmosphärisch Entrückten. „So Long Marianne“ verliert sich sogar im Schunkeln, und „Hallelujah“ kommt so andächtig-spirituell daher, dass die Brüchigkeit dieses Song-Meisterwerks leider ein wenig verloren geht. Doch meistens gibt es pointierte Versionen der Klassiker zu hören. Das seltsam entschleunigte „Bird On The Wire“ zum Beispiel, das der zweite Gitarrist Bob Metzger mit Blues-Licks verziert. Oder „Who By The Fire“, das sich allmählich aus einem Flamenco entfaltet.
Cohen genießt den Auftritt offensichtlich, sorgt dafür, dass seine Musiker nach jeder Soloeinlage beklatscht werden, albert mit den Background-Sängerinnen herum, kokettiert charmant mit seinem Alter und versetzt seine Lieder mit Selbstironie. Wenn er etwa in „Tower Of Song“ wieder mal den selbstmitleidigen Alleinunterhalter mimt („Well my friends are gone and my hair is grey/ I ache in the places where I used to play“) und den Applaus nach seinem Ein-Finger-Synthesizer-Solo mit dem sarkastischen „Thank you, music lovers!“ kommentiert.
Und während er seine Sängerinnen am Ende der Nummer dazu nötigt, in einer Endlosschleife „Du dam-damdam-dam, du dam-dam“ zu singen, behauptet er, endlich den Sinn des Lebens zu kennen. Nach einigem Zögern verrät er, die Antwort auf das große Mysterium der Existenz laute ganz einfach: „Du dam-dam-dam-dam, du dam-dam.“ Und während nebenan die Eisverkäufer das Geschäft ihres Lebens machen, in der Ferne dunkelgrün das Kaufhaus leuchtet, verwandelt sich das „Hotel Binoth“ vor unseren Augen in das „Chelsea Hotel“.