Sticheln wider das Larifari der Zeit
Seit mehr als 20 Jahren produzieren XTC kunstvolle britische Popmusik. Der Wandel ficht sie nicht an - auch personelle Schrumpfung haben Andy Partridge und Colin Moulding überstanden
Gescheit parlieren die zwei Gentlemen. Andy Partridge im braunen, kleinkarierten Landjunker-Aufzug. Könnte als Major Domus von Chippington Castie durchgehen. Oder als spleeniger Landschaftspfleger eines Lords. Partridge redet wie ein Buch. Colin Moulding ist zurückhaltender. War einmal ein Mädchenschwarm. Vbr 20 Jahren, ab XTC noch extensiv tourten. Bevor Partridge darob einen schweren, bis heute therapierten psychischen Knacks davontrug, der die Band als Live-Act völlig lahmlegte.
Einmal brachte Colin die Eroberung einer Tournee quer durch den Fünften Kontinent mit nach Hause. „Wir hatten alle irgendwelche Mitbringsel“, erzählt Andy Partridge. „Meins war ein Bumerang, Colins eine australische Schönheit, die er blöderweise seiner Frau vorstellte.“ Die Gattin zeigte sich nicht amüsiert, zerschlug eine Gitarre auf des Schwerenöters Schädel und trennte fortan Tisch und Bett. Einleuchtende Maßnahmen, doch nicht für den in beiderlei Sinn blauäugigen Heimkehrer. Seine Mitmusiker rüttelten ihn wach, nannten ihn naiv, „doch das war eine grobe Untertreibung“, wie Moulding heute grinsend einräumt Andys Angst vor öffentlichen Auftritten unterwarf das protobritische Pop-Quartett über die Jahre mancher Zerreißprobe. Und einem natürlichen Schrumpfungsprozess. Denn die Studio-Sessions wurden seltener, die Plattenverkäufe sanken vom mittleren in den unteren sechsstelligen Bereich, und davon kann ein Musiker nur leben, sofern er auch Songs beisteuert. Weshalb XTC seit zwei Jahren ein Duo sind, „ohne personellen Ballast“, wie Andy Partridge dankbar registriert. Kommt die Rede auf alte Mitstreiter, schlagen die beiden eher höhnische Töne an.
Barry Andrews? „Lebt in London und ist…“, Partridge räuspert sich viel sagend, „Künstler. Arbeitet mit Metall, schweißt und hämmert. Kunst aus Schrott, angeblich gibt es dafür einen Markt.“ Dave Gregory? „He’s probably still sitting in the dark, in his living room“, schnaubt der Mann im braunen Tweed verächdich, „trying to recreate all the songs from his past“ Warum so bitter und böse, Sir? „He hasn’t spoken to me for two years.“ Der Sache sollte man auf den Grund gehen. Colin Moulding – offenbar gelassener, wenn es um den Split von Gregory geht – glaubt sich an ein Treffen zu erinnern, bei dem die musikalischen Differenzen erörtert wurden.,,Dave passte die ganze Richtung nicht, war frustriert, weil sein Material nicht mit unserem kompatibel wan Trotzdem trat er zu den Sessions für ,Apple Venus Volume One‘ an, packte sein Equipment aus und schien produktiv mitarbeiten zu wollen.“ Partridge widerspricht. „Er saß verdrießlich in einer Ecke, der Umgang mit ihm gestaltete sich schwierig. Seine Einstellung war negativ, sein Umgangston patzig. Er sagte: ,I don’t wanna do an orchestral album, I don’t wanna do acoustic stuff.‘ Alle paar Stunden wollte er wissen, wo er eine elektrische Gitarre beisteuern könnte. Die Antwort war: nirgendwo. Wir hatten Piano-Parts für ihn ausgearbeitet, doch dazu hatte er keine Lust Das Orchester war ihm zu teuer, das ganze Konzept, zwei getrennte Platten zu produzieren, die eine akustisch, die andere mit Verstärkern, ging ihm gegen den Strich. ,Why don’t you make it a solo album, Andy?‘, fragte er immer wieder. Eines Tages, wir hatten die Abbey Road Studios bereits gebucht und die Musiker verpflichtet, stand er auf und verkündete: „I refuse to be part ofthis.“ Sprach’s, packte seine Sachen zusammen, verschwand und ward nie mehr gesehen.“
Andy Partridge vermittelt nicht den Eindruck, als weine er dem Multi-Instrumentalisten Dave Gregory auch nur eine Träne nach. „Dave hat Diabetes“, beschwichtigt Colin Moulding, „sein Stimmungs-Barometer war oft von Injektionen abhängig. Im übrigen war der Abschied von Terry James seinerzeit noch plötzlicher. Der stand mitten in einem Song von seinem Schemel auf, legte seine Drum-Sticks hin und sagte: ,I’m off.‘ Irgendwie seltsam, oder?“ – „Yeah“, spielt Partridge den Zerknirschten, „das muss dann wohl an mir liegen, ich weiß, ich weiß.“
^4pple Venus Volume One“, das opulenteste und orakelhafteste von inzwischen fast 20 XTC-Langspieiwerken, kam Anfang 1999 heraus, begeistert begrüßt von der Kritik und „weitaus freudiger angenommen vom Platten kaufenden Volk, als wir zu träumen gewagt hatten“. Die Demos und Audio-Skizzen zur Vollendeten wurden den Fans im Herbst unter dem Titel „Homespun“ zu Studium und Hörvergnügen überlassen. Und näxJVaspStar (Apple Venus Volume Two)“ folgt nun der elektrifizierte, Rock-begradigte Komplementärteil des Projekts. Dramaturgisch hochambitioniert und songtechnisch gewohnt versiert, jedoch durchaus konservativ in der Wahl der Instrumente und musikalischen Mittel. Tatsächlich lassen XTC jeden Anpassungswillen vermissen, wenn es um Instrumentation und Produktion geht Vieles au£“Wasp Star“ hätte so oder sehr ähnlich auf frühen XTC-Klassikern Platz gehabt. Auf „Drums And Wires“etwa oder auf „English Settlement“.
„Absolut“, ruckt Partridge, „und das aus gutem Grund. Natürlich könnten wir ein paar Breakbeats einbauen, mit Samples arbeiten oder einen Rhythmus-Track auf ein Techno-Gleis schieben. Das ist wahnsinnig einfach, wenn man weiß, welche Knöpfchen zu drücken sind. Eine Waschmaschine zu bedienen ist schwieriger. Aber was wäre damit gewonnen? Wäre den Songs geholfen? Nein, sie würden tendenziell destruiert durch diese sture Mechanik. Es widerspräche allem, was ich an Musik liebe. Das Organische, die Songstruktur.“ Partridge ist bei seinem Lieblingsthema. Dem Song an und für sich. Songwriter, die mit dem Faktor Pop souverän umzugehen wissen, sagt er, seien eine gefährdete Spezies und in absehbarer Zeit vom Aussterben bedroht.
„Hör dir bloß mal an, was dieser Tage als Song durchgeht. Oasis! Das ist doch lachhaft. Wie Strichmännchen malen. Oder nimm die Stones. Die haben früher solche Songs gebaut (fuchtelt mit den Händen einen Wolkenkrat-
zer in die Luft), heute hauen sie einen Riff raus, und was Jagger dann singt, ist gerade mal dies (gestikuliert eine Hügelkette). Von RAELM. mal ganz abgesehen. Michael Stipe würde einen Song nicht erkennen, wenn er ihm auf den Kopf fiele. Man höre sich ,E-Bow The Letter‘ an. Was für ein Scheiß. Kommt mir vor wie des Kaisers neue Kleider. Irgend jemand muss doch mal aufstehen und der Wahrheit die Ehre geben. Wenn es um Songs geht, sind diese Leute nackt.“ Immerhin, gibt Andy Partridge zu, treffen diese von ihm beanstandeten Bands einen kollektiven Nerv.
Etwas, worauf XTC nicht einmal hoffen dürften, meint Colin Moulding. Doch darüber beklagen, versichern sie, wollten sie sich nicht. Es gehe ihnen derzeit besser ab noch vor ein paar Jahren. Gesundheitliche Probleme und gar Scheidungen mussten durchlitten werden – Unbill zuhauf. Am schlimmsten seien die Grabenkämpfe mit ihrer alten Plattenfirma Virgin gewesen. Material für vier vollständige Alben hatten sie den Label-Oberen vorgelegt, doch fand in deren Ohren nichts davon Gnade. „Es war, als hätte uns jemand einen Korken in den Arsch gedrückt“, sagt Partridge, „eine Qual.“