Stets exzellente Musik, doch selten der richtige Hit: DEL AMITRI bleiben melancholische Poeten der Tragikomik
Justin Curries Blick schweift vom Fenster des Plattenfirmen-Büros aus über den berüchtigten Krisen-Stadtteil St. Georg und den Hamburger Hauptbahnhof. Ein bißchen erinnere es ihn an seine Heimatstadt Glasgow, sagt er. Glasgow sei auch so eine Stadt, deren Schönheit sich erst bei näherer Betrachtung offenbare. Dabei regt sich kein Schmunzeln im Mundwinkel des Del Amitri-Sängers, der in Hamburg weilt, um „Some Other Suckers Parade, das fünfte Album seiner Band, zu promoten. Ironie gehört nicht zu den Stilmitteln der eher melancholisch gestimmten Band, der ihre Company trotzig den Erfolg wünscht, „weil sie ihn verdient hat“. Bloß einklagen kann man ihn leider noch nicht.
Merkwürdig gerafft klingt dieses Album, vollgestopft mit dreiminütigen Momentaufnahmen, die einem keine Zeit zum Luftholen lassen. Verschwunden sind die ausschweifenden Gitarren-Passagen von „Twistet!“, wegrationalisiert der unterschwellige Groove von „Change Everything“.
„Nach der letzten LP waren wir 18 Monate auf Tournee und stellten fest, daß wir immer wieder in die Folkrock-Ecke gestellt werden. Das hat uns am Ende so genervt, daß wir uns über den US-Charterfolg von ‚Roll To Me‘ kaum noch freuen konnten. Als dann die Plattenfirma Druck machte und meinte, wir müßten uns mit dem nächsten Album beeilen, war uns das nur recht.“
Als das Ergebnis präsentieren Currie und sein Songwriter-Kollege Iain Harvie harte Fakten. Auf akustische Gitarren wurde weitgehend verzichtet, und altbekannte Del Amitri-Einflüsse wie Byrds und Beatles sind wieder unschwer zu vernehmen. Knapp, melodieselig und sentimental. Die Rückkehr zu „Waking Hours“ von 1989, das sie bekannt machte und bis heute unerreicht bleibt? „Nein“, sagt Currie vehement, „eher eine Art Gesundschrumpfung, wenn man die Songs von künstlerischem Beiwerk befreit, bleibt die pure Essenz übrig – der schnellste Weg zum Selbstausdruck.“
Stimmt, denn taucht man mal hinter die launige Gitarrenpop-Fassade, landet man prompt in der ätzenden Säurelösung aus Curries Alltagsbetrachtungen, die sich stets ums große Lebensspiel zwischen Gewinnen und Verlieren drehen. Sones wie „Make It Always Be Too Late“, „Won’t Make It Better“ oder das hämische Titelstück verführen zu der Frage, ob sich die vom Britpop-Hype übergangenen Schotten in ihrer Rolle als Kritiker-Lieblinge nicht mehr wohl fühlen. „Ach was“, winkt Currie ab, „immerhin sind wir seit über zehn Jahren im Geschäft, das soll uns eine dieser neuen Bands erst mal nachmachen. Außerdem wäre ich mir als Songschreiber für langweilige Beatles-Imitate viel zu schade.“
Der stets unrasierte Sänger versteckt indes lieber selbstmitleidige Lamenti in vordergründig humorigen Texthäppchen, wo er ein ums andere Mal durchblicken läßt, wie es um seinen Seelenzustand wirklich bestellt ist. „Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich unterwegs bin. Diese ganze Gefühlsduselei über Familienzusammengehörigkeit und Liebe geht an mir vorbei. Zugegeben, meine Kindheit war nicht rosig – warum sollte ich also ein guter Vater sein? Schließlich bin ich Musiker geworden, um jeglicher Verantwortung für mein Leben möglichst aus dem Weg zu gehen“, sagt er über „No Family Man“.
Statt dem Mann eine Therapie nahezulegen, bedankt man sich für ein weiteres Album voll Melancholie und Bitterkeit, das kraft seines naßforschen Tons jedoch nicht in zäher Depression versinkt. Del Amitri hatten nie ein großes Thema, aber immer einen Sound und eine Stimme. Vermutlich bleiben sie auch so unscheinbar, weil sie hinter dem Perfektionismus ihres Song-Handwerks verschwinden – viele gute und sehr gute Songs, aber keiner gewagt und keiner zum Erinnern. Selbst der groß angekündigte Versuch, die Anmutung von Folkrock durch die Benutzung elektrischer Gitarren zu vermeiden, hat etwas Unbeholfenes, wenn sie sich andererseits von modischen Bands distanzieren, mit denen sie nie etwas zu tun hatten. Die Tragikomik ist eben ihr Fach. Sehr sympathisch.