Stets älter als seine Jahre, ist Lloyd Cole jetzt bei stillen, meisterlichen Songs und Solo-Auftritten angelangt – und in der Form seines Lebens
Der Mann in Schwarz ist müde. Sehr müde. Drei Stunden vor der Show im Berliner Quasimodo wartet er aufs Essen und noch zwei Interviews, als sein Kopf erschöpft in die Arme auf dem Tisch sinkt. Zu lang schon dieser Tag, nach einer langen Nacht in seinem Stockholmer Lieblingsrestaurant. Der Patron ein guter Freund, den er lange nicht gesehen hatte. Mit gutem Schnaps. Natürlich kokettiert Lloyd Cole, als „alter Mann“ könne er sich sowas halt nicht mehr erlauben. Immerhin sei er ja schon damals „mit 23 in den mittleren Jahren“ gewesen. Nie mittendrin im juvenilen Eifer um Passion und Rebellion, nur stets mit Adleraugen dabei.
The Negatives, seine letzte Band, hat er nicht gleich zu den Akten, nur erst mal auf Eis gelegt. Cole ist solo unterwegs. Sehr solo. Einzig Tour-Begleiter Dan kümmert sich um Promoter und Clubs, der Chef selbst organisiert Flüge und Hotels, damit „die Tage nicht die Hölle werden“. Und immer Zeit für eine gute Lunch-Time bleibt. Ausnahmen wie Berlin bestätigen nur die Regel. „Ich dachte nie, dass ich allein nach da draußen gehen könnte“, staunt der Exil-Brite noch immer. „Nicht aus Bescheidenheit oder Unsicherheit. Es war lange einfach keine Option. Ich konnte nie verstehen, warum Billy Bragg allein auf die Bühne wollte.“ Das neue Album „Music In A Foreign Landtage“ ist das erste, das diese Akustik-Shows reflektiert. Und doch wieder nicht „Solo ist etwas gewachsen, das ich so nicht erwartet hatte. Und das Album sollte diese Intimität wiederspiegeln. Bis mir aufging, dass nur Gitarre und Stimme das Potenzial dieser Songs nicht ausreizen können.“ Um niemanden für die Aufnahmen zahlen lassen zu müssen, motzte Cole sein kleines Mobilstudio daheim in New England digital auf. Dann machte er sich als „kleines Fake-Ensemble – mit mir als Ein-Mann-Band“ ans Werk.
Erst am Ende kamen Gäste hinzu, Ray Mason etwa, ein „Lokalstar in Massachussetts, der aussieht wie Willie Nelson„, oder die Kanadierin Lullaby Baxter, für Cole „eine komödiantische weiße Version von Billie Holiday„. So schreiben Songs wie „My Other Life“ unüberhörbar auch den Minimalismus des Instrumental-Intermezzos „Plastk Wood“ fort, das er „wie ein Hobby“ pflegte, bis Freunde ihn zur Veröffentlichung überredeten. „Diese geloopten John-Cage-Ideen habe ich jetzt für richtige Songs genutzt. Meine gesamte Astethik hat sich verändert. Es gibt Songs, die nach Virtuosität verlangen, aber ich will nur noch wie die Kraftwerk des Folk sein. Und ich habe das Gefühl, dass ich damit gerade erst begonnen habe.“ Das Ein-Mann-Kraftwerk Cole, das sich zumal in der alten Heimat „underexposed“ wähnt, läuft in Berlin zwar auf Reserve. Aber selbst die reicht für einen Abend, der sämtliche Schaffensperioden streift und in Ovationen endet, nach einem fast still schwelenden „Forest Fire“. Für „Perfect Skin“ verlangt er von einem Fan mal eben zehn Euro, die er nach getanem Job artig wieder runterreicht. „Undressed“ lässt ihn über seine Ehe witzeln, und das wunderbare „Late Night, Early Town“ wird zur Reminiszenz an Glam-Rock-Ikone Ian Hunter. Einen Moment der Irritation im herzlichen Einvernehmen gibt es nur, als Cole sagt, er schreibe ja eigentlich keine sentimentalen Songs. Um dann mit „New York Sunshine“ wirklich unverschämt sentimental zu werden, einem neuen Song, den er in Angriff nahm, „als die Skyline noch die alte war“. Auf das Album hat er ihn nicht genommen.
Das kann sich Cole noch leisten, obschon er heute „nicht mehr so viele Songs“ schreibe. „Ich setze mich nicht krampfhaft ans Klavier und denke: Oh, heute muss ich aber kreativ sein! Dem Motiv trau ich nicht mehr für einen guten Song. Da muss schon eine Idee an mir nagen.“ Hat er Angst vor dem Tag, da keine mehr nagt? „Nein, denn ich glaube nicht, dass ich dann zwangsläufig aufhören muss. Mir gefällt die Idee, nur ein Sänger zu sein.“ So wie bei seiner schlichten Version von Nick Caves „People Ain’t No Good“.