Sterne, Engel und fliegende Messen die Rückkehr von Siouxsie & The Banshees
Zugegeben, es ist entsetzlich früh. Denn wer steht nach einer endlosen, champagnertrunkenen Nacht schon gern um 11:30 Uhr Rede und Antwort? In diesem Fall zu dem zwölften Album einer bewegten Karriere, die im September 1976 im Londoner „100 Club“ begann. Begleitet von Sid Vicious am Schlagzeug, schockte die damals 19jährige Punk-Queen Siouxsie mit einer 20minütigen Brachial-Version des „Vaterunser“ – danach löste sich ihre Band, The Banshees, sofort auf.
Doch die Faszination, die von Siouxsie ausging – groß, bleich, hager, düster – war derart zwingend, daß sie sofort eine neue Version der Banshees um sich scharen konnte. Bassist Steve Baley alias Severin und Trommler Peter Clark alias Budgie bildeten fortan den Band-Nukleus für die Drama-Königin.
Heute sind Siouxsie & The Banshees nicht nur Goth-Ikonen, sondern auch gefragte Session-Kollegen (Indigo Girls) und Soundtrack-Lieferanten („Batmans Rückkehr“). Siouxsie und Budgie leben inzwischen, nach Aufenthalten in Hawaii und Südspanien, auf einer idyllischen Farm irgendwo zwischen Toulouse und Bordeaux.
Ihr südfranzösisches Refugium, das sie sich mit sechs Katzen teilen, beherbergt natürlich auch ein Profi-Studio. Und hier entstanden die ersten Songs des neuen Albums “ The Rapture“.
Der Titelsong von elf Minuten Länge geisterte als Idee eines als Trilogie angelegten Song-Gerüstes seit geraumer Zeit auf Dutzenden von Hotel-Notizblöcken herum. In sechs Wachen entstanden neun weitere Songs über Sterne und Engel, über fliegende Messer und klopfende Herzen – ganz der Phantasiewelt der Sängerin, die Friedhöfe über alles liebt, entsprechend. Doch dann war plötzlich Sand im Getriebe.
„Das Ganze wirkte zu dünn“, erzählt Budgie. „Doch dann kam uns der Zufall zu Hilfe. Wir trafen John Cale, der sich von unserem Material angetan zeigte und Zeit hatte. Die nächsten sechs Monate arbeiteten wir dann in London. ‚Oh Baby‘, die erste Single-Auskoppelung, kam als letzter Song aufs Band. Danach wurde in New York abgemischt, und so brauchten wir für das gesamte Werk schließlich zwei Jahre.“
„Für einen so ungeduldigen Mann wie Cale dauerte die Arbeit mit uns erstaunlich lang“, ergänzt der inzwischen dezent ergraute Steve, der am hellichten Mittag einen Abendanzug trägt. „Mit John zu arbeiten, ist so, als würde man in einem reißenden Fluß schwimmen. Man kann sich nie umschauen, es geht nur nach vorn.“
Und dann schließlich der Auftritt der Miss Sioux: wachsbleich, blutrot und rabenschwarz geschminkt, die perfekte böse Fee in Leder, Lady Goth höchstpersönlich. Dabei ist sie im wahren Leben warm und herzlich. „Nichts ist langweiliger als ein abgesichertes Durchschnittsleben in der Mittelklasse, womöglich noch im Häuschen am Stadtrand. Weder City, noch Land, dafür aber schön gemütlich, das ist wie der Warteraum für den Tod. Deswegen sind wir aus London weggegangen. Punk wurde lächerlich, und noch lächerlicher ist jede Form von Punk-Revival. Wie diese dämlichen Postkarten mit dem Punk-Pärchen auf der Kings Road – schöne Grüße aus dem Land des Schocks.“
Leicht betreten meldet sich Kettenraucher Steve: „Was soll ich dazu sagen? Ich lebe immer noch in London.“ – Jaja, unser Alibi-Arbeiterklasse-Mitglied aus Battersea. Du liebst doch den Krach der Stadt“ „Ziemlich ruhig bei euch auf dem Land. Verdammt langweilig, was?“