Stephin Merritt – Klang-Fingermalerei
Stephin Merritt kündigt auf dem neuen Album von The Magnetic Fields an, beim Sterben seines Ex-Freundes zuzusehen. Dazu gibt's Bubblegum-Pop mit seltsamen Geräuschen.
Stephin Merritt dürfte Paul Simon nicht nur als kleinstem Songwriter aller Zeiten Konkurrenz machen, sondern auch als launischem Genie. Auf Fragen antwortet er nur bruchstückhaft, mit langen Pausen. Seinen trockenen Zynismus bringt er beiläufig in ein paar Nebensätzen unter.
15 Songs, von denen keiner die Drei-Minuten-Grenze überschreitet, hat Merritt für das neue Magnetic-Fields-Album „Love At The Bottom Of The Sea“ geschrieben. „Wenn man älter wird, lernt man die Kürze zu schätzen. Zumindest vermeidet man überflüssige Gitarrensoli“, presst er knapp hervor. Und nach der No-Synth-Trilogie kehrt er mit mehr originellen Elektronikklängen zurück, als die meisten Berliner DJs auf ihren Festplatten gespeichert haben. Darunter liegen jedoch die gewohnt spöttischen Miniaturparodien, zu denen sich Merritt zwischen seinen Wohnsitzen in New York und Los Angeles inspirieren lässt. Mit den treuen Gefährtinnen Shirley Simms und Claudia Gonson teilt er sich einige der schönsten Bubblegum-Pop-Ohrwürmer der vergangenen Jahre.
In „Your Girlfriend’s Face“ geht es unter anderem um Crystal Meth.
Ich kündige darin an, einen Ex-Freund zu töten, indem ich dabei zusehe, wie er an Crystal Meth stirbt. Die Erfahrung des Todes wird durch die Droge noch verstärkt. Es ist, als ob man lebend begraben würde.
Bewegen Sie sich regelmäßig in Kreisen, in denen Crystal Meth konsumiert wird?
Ich hänge oft in Schwulen-Clubs rum, da bekommt man einiges mit. Crystal Meth ist in den USA weit verbreitet. Man kann Leuten leicht ansehen, wenn sie es nehmen, weil es verdammt schlecht für die Zähne ist. Wer mal drauf war, dem fehlen meistens ein paar davon.
Nehmen Sie Drogen, um produktiv zu sein?
Nur Alkohol.
Wie lange brauchen Sie, um einen Song zu schreiben?
Für meinen kürzesten 20 Sekunden, für meinen längsten 26 Jahre – „The Dada Polka“. Ist auf „Realism“.
Auf „Love At The Bottom Of The Sea“ hört man kaum eine Gitarre. Haben Sie das Interesse an dem Instrument verloren?
Es gibt in jedem Stück Gitarren, es klingt nur nicht so offensichtlich danach. Ich habe häufig eine Technik verwendet, die man Vocal-Guitar nennt. Damit lässt sich ein endloser Halleffekt erzeugen.
Manchmal klingt es, als würden Sie versuchen, Ihre eigenen Songs zu zerstören.
Ich mag die Idee eines straff durchstrukturierten Albums mit einfachen Songs und offensichtlichen Formen, auf die ich merkwürdige Geräusche schichten kann. Wie Fingermalerei mit Sounds. Ich musste beim Schreiben an eine Kombination von Bildern denken: eins von Cy Twombly überlagert eins von Piet Mondrian.
Einer Ihrer neuen Songs handelt von einer Art Gerätefetischismus. Stört Sie die rapide technische Entwicklung im Alltag?
Ich kann mir nicht mehr vorstellen, ohne mein Handy zu leben. Aber es macht mich wütend, wenn sich Dinge nicht abschalten lassen. Wo ist der Knopf, um den verfluchten Fernseher abzustellen? Doch es gab schon mal eine Zeit, als der Geräuschpegel noch höher lag als heute: In den 20er-Jahren hat in jedem Restaurant eine Band gespielt. Irgendwann wollten viele Leute nur noch flüchten vor dieser bescheuerten Jazzmusik. So gesehen bin ich froh, wenn in Songs keine Trompeten vorkommen.
Andererseits nutzen Sie den Fortschritt für Ihre Musik.
Ja, mich begeistern einige neue Instrumente. Trent Reznor besitzt einige von denen, die ich auch verwende, aber er setzt sie ganz anders ein. Sein Soundtrack für „The Social Network“ ist großartig. Er und ich nutzen diese Technik auf einzigartige Weise.
Ein anderer Song trägt den Titel „God Wants Us To Wait“. Sind Sie plötzlich religiös geworden?
Für mich ist alles, was mit Gott zu tun hat, ein Witz. In dem Song geht es um ein Paar, das auf Sex verzichtet. Beide wollen sich füreinander aufsparen.
Haben Sie keine Angst, mit dieser Thematik konservative Christen anzuziehen?
Ich lebe in Kalifornien, wo mir religiöse Menschen Schritt für Schritt meine Bürgerrechte wegnehmen. Die hören sicher nicht meine Musik. Also spielt es auch keine Rolle, was ich über sie sage. Aber die sind sehr erfolgreich darin, Homosexuelle auszugrenzen.
In „My Husband’s Pied-à-Terre“ beschreiben Sie eine Frau, die entdeckt, dass ihr Ehemann ein Zweitleben führt. Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
Ich war nachmittags in einer Bar, als gerade die „Oprah Winfrey Show“ lief. Eine Frau erzählte davon, dass ihr Ehemann gestorben sei und sie erst kurz vor seinem Tod herausgefunden hätte, dass er eine Zweitwohnung für sexuelle Abenteuer mit anderen Frauen hatte. Zudem stand er wohl auf Minderjährige und war in zahlreiche kriminelle Aktivitäten verstrickt. Jedenfalls fiel mir dabei der Titel „My Husband’s Pied-à-Terre“ ein.
Wie diese Geschichte im Song weitergeht? Mit einer Prise Humor natürlich. Nachzuhören auf „Love At The Bottom Of The Sea“.