Stephen King im ROLLING-STONE-Interview: Das Genie der Angst
In einem seiner seltenen Interviews blickt Stephen King auf sein eindrucksvolles Werk zurück. Der wohl bekannteste Schriftsteller der Welt spricht über seine Kokainsucht, über Gott, den Terror, das Böse – und über „Harry Potter“. Nichts für schwache Nerven!
>>> ROLLING STONE im März: Das große Interview mit Stephen King
Am 2. März erscheint Stephen Kings neuer Roman „Revival“ (Heyne). Darin erzählt er die Geschichte des Jungen Jamie und des Predigers Charles Jacobs, deren Biografien sich von den Sechzigern bis heute immer wieder verknüpfen. „Revival“ ist Kings Beitrag zum Religionsfanatismus der heutigen Zeit.
Ein Auszug aus dem Interview, das US-Autor Andy Greene mit King geführt hat:
Die überwiegende Mehrzahl Ihrer Bücher dreht sich um Horror oder das Übernatürliche. Was hat Sie zu diesen Themen gebracht?
Das war vorinstalliert, es gehörte zum Inventar. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Der erste Film, den ich gesehen habe, war ein Horror-Film, nämlich „Bambi“: Als das kleine Rehkitz im brennenden Wald eingeschlossen war, litt ich Todesqualen, war auf sonderbare Weise aber auch angenehm aufgekratzt. Ich kann’s nicht erklären. Meine Frau und meine Kinder trinken Kaffee, ich nicht, ich mag Tee. Meine Frau und meine Kinder würden eine Sardellen-Pizza nicht mal mit spitzen Fingern anfassen, ich mag sie. Die Sachen, von denen ich mich angezogen fühlte, gehörten einfach zu meinem emotionalen Haushalt.
Haben Sie sich jemals für Ihre Vorlieben geschämt?
Nein. Es hat mir immer unglaublich viel Spaß gemacht, anderen Leuten einen Schrecken einzujagen. Und da es inzwischen jede Menge Horror-Filme gab, wusste ich auch, dass entsprechende Bücher gesellschaftlich nicht mehr so verpönt sein würden wie früher. Horror-Comics wie „The Crypt Of Terror“ lieferten mir dann die ersten Inspirationen.
Und doch war der Horror-Roman ein literarisches Genre, das niemand so recht anfassen wollte.
Richtig. Es ist eins der Genres, die vom Literaturbetrieb in die Schmuddelecke geschoben wurden. Aber was sollte ich machen? Ich fühlte mich von den Sachen nun mal angezogen. Ich liebe D. H. Lawrence, die Gedichte von James Dickey, Émile Zola, Steinbeck … Fitzgerald, na ja, es geht so. Und Hemingway überhaupt nicht. Genauer gesagt: Hemingway ist für ’n Arsch. Wenn Leute diese Art von Literatur mögen – prima! Aber wenn ich versucht hätte, so zu schreiben, wäre nur hohler, gestelzter Mist dabei rausgekommen – weil ich dieser Typus nun mal nicht bin. Und, um mir selbst auf die Schulter zu klopfen: Bis zu einem gewissen Grad habe ich das Horror-Genre inzwischen ja auch auf ein halbwegs ehrbares Level gehievt.
Was wohl niemand bestreiten würde.
Es ist zumindest geachteter als damals. Ich habe mich mein Leben lang dagegen ausgesprochen, bestimmte Bereiche der Literatur als „Nische“ abzutun und ihnen damit automatisch jegliche literarischen Meriten abzusprechen. Ich möchte mich nicht wichtiger machen, als ich bin. Aber so wie ein Raymond Chandler den Kriminalroman aus der Schmuddelecke holte, gibt es einige Leute, die wunderbare Sachen geschrieben und die Grenzlinien längst verwischt haben.
Als Sie anfingen, wurden Sie allerdings von vielen Kritikern ziemlich brutal niedergemacht.
Am Anfang meiner Karriere druckte die „Village Voice“ eine Karikatur von mir, die richtig wehtat. Wenn ich’s mir genau überlege, tut sie’s sogar heute noch. Ich hatte dieses riesige, aufgeschwemmte Gesicht und fraß Geld. Die Botschaft dahinter: Wenn sich etwas in rauen Stückzahlen verkauft, muss es schlecht sein. Wenn etwas von vielen Leuten geschätzt wird, muss es dumm sein – weil die meisten Leute nun mal dumm sind. Aber das ist elitär. Und mit dieser Haltung habe ich nichts am Hut.
Wobei es diese Haltung ja noch heute gibt. Als Sie vor etwa zehn Jahren den National Book Award gewannen, griff der Literaturkritiker Harold Bloom Sie geradezu bösartig an.
Blooms Kritik hat mich nie getroffen. Es gibt nun mal Kritiker wie ihn, die auf ihre Unkenntnis populärer Kultur sogar stolz sind und sie als Nachweis ihrer intellektuellen Lufthoheit auslegen. Er könnte sich vielleicht noch dazu durchringen, Mark Twain als großartigen Schriftsteller zu bezeichnen, würde aber nie eine genealogische Entwicklung von, sagen wir, Nathaniel Hawthorne zu Jim Thompson konstruieren wollen, weil er Jim Thompson gar nicht erst liest. Er denkt sich eben: Ich habe ihn zwar nie gelesen, weiß aber, dass er ganz furchtbar ist.
Michiko Kakutani, die für die „New York Times“ schreibt, funktioniert nach dem gleichen Muster: Sie bespricht etwa ein Buch wie David Mitchells „The Bone Clocks“, was einer der besten Romane von 2014 ist – so gut wie Donna Tartts „Der Distelfink“, der sehr ähnliche literarische Untertöne hat –, aber da er nun einmal auch Elemente wie Fantasy und Science-Fiction in seine Romane integriert, will Kakutani nichts von ihm wissen. In dieser Hinsicht sind Bloom, Kakutani und einige andere graue Eminenzen fast so wie Kinder, die sagen: „Ich kann das unmöglich essen, weil sich die verschiedenen Speisen auf meinem Teller gegenseitig berühren.“
Das vollständige Interview: in der März-Ausgabe von ROLLING STONE.