„Doctor Sleeps Erwachen“: Verleihfirma blamiert sich mit neuem Titel

Manchmal kann es nicht schaden, die Buch-Vorlage auch gelesen zu haben. Aus „Doctor Sleep“ wird im deutschen Kino „Doctor Sleeps Erwachen“ – das klingt toll, ergibt aber keinen Sinn

Der deutsche Verleih der Stephen-King-Verfilmung hat den Titel der „Shining“-Fortsetzung, die am 21. November in den Kinos anläuft, geändert: Aus „Doctor Sleep“, wie in der Buchvorlage, als auch im amerikanisch-sprachigen Kino, wurde nun „Doctor Sleeps Erwachen“.

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Das klingt ja erstmal gut. Nicht so einschläfernd, sondern aktivierend: Jemand erwacht, das lockt die Leute vielleicht noch mehr ins Kino. Die jüngere Filmgeschichte ist voll von Power-Riegel-Titeln. „The Dark Knight Rises“, „The Force Awakens“, „Age of the Resistance“, „The Rise of Skywalker“ – alles Namen, die auf Bewegung bis Auferstehung hinweisen. Soll ja keiner die Gelegenheit für Wortspiele kriegen, sollte der „Doktor Schlaf“ langweilig sein und drohen ein Flop zu werden.

Nur: Bei „Doctor Sleep“ ergibt das „Erwachen“ keinen Sinn. Mit dem „Erwachen“ soll anscheinend gemeint sein, dass der trockene Alkoholiker und Ex-Junkie Danny Torrance (Ewan McGregor) einen Sinn im Leben findet und Gutes mit seiner Gabe des „Shining“ anzustellen weiß.

Aber das wäre falsch gedacht. Der Beiname „Doctor Sleep“ bezieht sich eben nicht auf einen Mann im Tiefschlaf, der seine Potentiale zu nutzen lernt. Den Namen „Doctor Sleep“ erhielt der Krankenpfleger Torrance, weil er mit seinem „Shining“ alte oder kranke Menschen tröstet, ihre Schmerzen zu lindern versteht, gerade auf deren letzten Metern. Der „Doktortitel“ hat also mit seiner Persönlichkeit nichts zu tun, sondern mit dem, was andere in ihm sehen, weil er ihnen geholfen hat. Da muss nichts in ihm erwachen – er selbst schon gar nicht. Die Leute nennen Torrance „Doctor Sleep“ ab einem Zeitpunkt, als er seine Sucht längst besiegt hat.

Das macht „Doctor Sleeps Erwachen“ zu einem falschen Filmtitel.

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Lesen Sie hier unsere Rezension zum Roman von „Doctor Sleep“ von ROLLING STONE auf Platz 46 der besten King-Bücher gewählt:

46. „Doctor Sleep“ (2013) ★★★

Gab es jemals eine King-Fortsetzung, die sehnlicher erwartet wurde? Hat er überhaupt je eine Fortsetzung zu einem abgeschlossenen Roman veröffentlicht? Und das nach fast 40 Jahren im Literaturbetrieb?

Der „Shining“-Nachfolger erschien 36 Jahre später und wurde aufwendig beworben. Der Mann aus Maine machte sich sogar zu seiner ersten Lesereise in Deutschland auf, besuchte Hamburg, trat in Red-Sox-Fankleidung, Käppi, Sneakers und Holzfällerhemd, gutgelaunt wippend vor öffentlich-rechtliche Kameras. Und er besuchte die Sendung von Lanz, was für ihn natürlich wie Wellness sein musste, da er bewundert wurde, aber keine Befürchtung haben musste, dass ihm echte Fragen gestellt werden. Dort scherzte ihn Lanz, nicht wirklich mit einem Sinn für kluge journalistische Betrachtungen gesegnet, erwartungsgemäß zu: „Wovor hat denn der Meister des Horrors selbst Angst?“

Auf seiner Website hatte King zuvor ein Voting errichtet: Er ließ darüber abstimmen, ob er ein zweites „Shining“-Buch schreiben solle oder ein achtes vom „Dunklen Turm“. Bemerkenswert, dass die Torrence-Saga nur mit knappem Vorsprung gewann. Womöglich hofften viele Leser, er möge sein gigantisches, für einige Hardcore-Fans aber zu offenes „DT“-Finale von 2003 nochmal übertreffen bzw. aufklären (mit „The Wind Through The Keyhole“ gab es dann ein achtes Werk, jedoch eine Art „Mid-Quel“, also eine mitten in der Saga angesiedelte Erzählung. Ob die Leser sich mit diesem Buch zufrieden gegeben hätten, wenn der „Turm“ im Voting gewonnen hätte? Es ist egal, wer das Abstimmungsergebnis gewann: „Doctor Sleep“ wäre wohl auch so erschienen).

Hier gab es die erstmalige Gelegenheit, King bei der Konstruktion einer nie beabsichtigten Fortsetzung zuzusehen. Welche Figuren, welche Schauplätze würde er aufgreifen? Kommt das Overlook-Hotel vor? Danny und Wendy? Dick Hallorann? Der Geist von Jack? Mrs. Massey, die Heckentiere? Der Mann im Kuschelbär-Kostüm? REDRUM? Tony?

Die Sucht

Zum Wiedersehen zwischen den telepathisch begabten Freunden Danny und Overlook-Koch Hallorann kommt es nicht mehr, auch Wendy Torrance taucht im „Doctor Sleep“ nur ganz zu Beginn auf. Sie stirbt, gebrochen, an Krebs.

Das dürfte nicht allen „Shining“-Fans gefallen, aber die Verzichte spiegeln mutige Entscheidungen Kings wider – denn Danny Torrance, mittlerweile erwachsen, ist derart in seiner Drogensucht gefangen, dass ihm sein Umfeld schlicht unwichtig geworden ist. Hallorann, der den Jungen einst vor der Ermordung durch den eigenen Vater rettete, verstirbt nahezu unbemerkt. Danny, dauerstoned, hat es verpasst, sich in den letzten Jahren auch nur einmal mit dem weisen Weggefährten zu treffen.

Dies ist die härteste Botschaft, die King, einst selbst Junkie, uns mitteilt: Wer an seiner Sucht scheitert, merkt zu spät, was er alles verpasst hat. Spoiler: Es kommt wenigstens zu einer Versöhnung mit dem Vater, der ihn einst mit der Axt meucheln wollte (sie demonstriert leider auch, wie wenig King der Wirkung dieses Wiedertreffens vertraut hat – er verschriftlicht tatsächlich den Druck auf die Tränendrüse, „Dan wusste, dass er weinen würde, aber noch hielt er es zurück.“)

Im „Doctor Sleep“ schildert King die eigene Gesundwerdung am Beispiel seines alter ego Danny Torrance, der wie er das Zwölf-Stufen-Programm der Anonymen Alkoholiker durchlaufen will, und, anders als erhofft (man hat ja sofort den Kubrick-Jungen im Kopf), eben kein Superman mit Prinz-Eisenherz-Frisur geworden ist, der entgleiste Züge stoppen könnte. Sondern ein Wrack. Er findet tolle Vergleiche: „Die Gedanken waren eine Schultafel. Schnaps war der Schwamm.“

Der Fokus liegt also ganz auf Danny, dem King die passende Rolle jener Berufstätigen verpasst hat, die die Gesellschaft zusammenhalten, aber schlecht bezahlt werden und stets die Menschen im Hintergrund sind: Der „Shining“-Begabte ist Krankenpfleger. Man nennt ihn „Doktor Schlaf“, weil er die Patienten beruhigen kann. Danny erkennt seinen Nutzen für die anderen, zerbricht aber fast daran, dass er sehen kann, was andere nicht sehen können.

„Doctor Sleep“ widmet sich auch dem Thema Kindesmissbrauch, und damit schließt sich für King ein Kreis. Der gewalttätige, alkoholkranke Vater Jack Torrance aus „Shining“ brach seinem Sohn Danny den Arm; King deutete immer wieder an, dass er selbst nicht immer friedfertig gegenüber seiner Familie gewesen sei. In der Fortsetzung will Danny nun eine Bande Untoter stoppen, die sich von der „Shining“-Kraft gekidnappter Kinder immer währendes Leben versprechen, und ihren Akku durch besonders bestialische Folter vor der Ermordung noch stärker aufladen können. Seit Jahrhunderten reisen die Anhänger des „Wahren Knoten“ durch die Welt auf der Suche nach Opfern, sie erinnern sich noch an die Zeit, als die Leute in Europa Bäume statt Eigentumswohnungen verehrt haben.

POLITIK!

Doch die besorgniserregende Entwicklung, die Stephen King in den Nullerjahren anfing zu durchlaufen, macht auch vor dem heiligen „Shining“ nicht halt. Kritik an den Zuständen, Amerika, nein: der Welt, verfrachtet er in seine Bösewichte. So, wie Big Jim Rennie aus „Under The Dome“ oder General Kurtz im „Dreamcatcher“ verkörpern die Wesen des „Wahren Knoten“ alles, was mit der Bush-Ära und dem Krieg gegen den Terror falsch lief.

Die Untoten überlisten den Staat und dessen Heimatschutzministerium, das sich eben nicht nur durch Schutz der Bürger, sondern Einschränkung der Bürgerrechte auszeichnet. Dass die Mitglieder des „Wahren Knoten“ sich als Trailer-Reisende tarnen, die von Campingplatz zu Campingplatz fahren, also als amerikanische, des Terrorismus unverdächtige Freizeit-Leute, ist Kings ironischer Beitrag zur Debatte – Rasterfahndung taugt da nichts.

Keine Frage, dass sich diese Freaks, stets auf der Suche nach „Steam“, also der ausgeatmeten, letzten Lebenskraft Sterbender, auch zum World Trace Center aufgemacht hatten, als es einstürzte. Politischer Bezug! P-O-L-I-T-I-K!

Nur erfüllen die Camper auch jene Klischees der Anti-Intellektuellen, über die King eben doch auch gerne spöttelt. In ihren Wagen hängen eingerahmte Fotos von Ronald Reagan, und im „New Yorker“ blättern sie ausschließlich wegen der Cartoons und Artikel, die die Welt, also alles außerhalb des eigenen amerikanischen Kontinents, also Exotika verkaufen. Dazu „Denkanstöße“ für uns Barbaren: „Ihr schlachtet Schweine, Rinder und Schafe. Ist das, was wir tun, irgendwas anderes?“

Es macht die Fortsetzung gewiss nicht zum besseren Roman. „Shining“ ist besser. Mal unabhängig davon, dass er mit den Kreaturen des „Wahren Knoten“ eine Truppe geschaffen hat, die große Pläne schmiedet, sich aber immer wieder leichter austricksen lässt als fast alle seiner anderen teuflischen Wesen.

Aber Stephen King hat der Versuchung widerstanden, viele auch durch Stanley Kubricks Verfilmung in die Popkultur eingegangene „Shining“-Elemente wiederaufleben zu lassen: das Hotel, den Schnee, die Axt die Zwillinge. „Doctor Sleep“ verdeutlichte also den Fokus, den er eigentlich ausrichten wollte: Dass die Gabe des „Shining“ Verantwortung für denjenigen bedeutet, der überlebt und Gutes tun will.

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