Kritik: Warum Stephen King die „Doctor Sleep“-Verfilmung gar nicht hätte gefallen dürfen
Stephen King ist kein Freund seiner Vergangenheit als Vater. Seinem alter ego Jack Torrance schenkte er im „Doctor Sleep“-Roman deshalb den Frieden – warum gab er dann dieser unbefriedigenden Verfilmung seinen Segen?
Die Kritik enthält Spoiler.
Am Ende des Romans „Doctor Sleep“, der Fortsetzung des Bestsellers „Shining“, winken sich der erwachsen gewordene Danny Torrance und sein Vater Jack, mittlerweile ein Geist, ein letztes Mal zu. Frieden für die Familie! Das war auch dem Autoren der Geschichte, Stephen King, wichtig. Gerade aus persönlichen Motiven. Die Geschichte des erfolglosen Schriftstellers und gelangweilten Hausmeisters, vor allem aber Alkoholikers Jack war auch seine eigene, frühe, vor dem Durchbruch als Autor. King ging zwar nie ins biografische Detail, deutete aber an, dass er im Suff seine Kinder schlecht behandelt haben könnte, nicht nur psychisch. Umso wichtiger also, dass er nicht nur dem traumatisierten Danny, 36 Jahre später, sondern auch dem toten Patriarchen im Roman die Chance zur Versöhnung gibt.
„Doctor Sleep“ – die Review:
In Mike Flanagans „Doctor Sleep“-Verfilmung taucht Jack Torrance auch auf, aber in einer ganz anderen Rolle. Er nimmt die Position des Barkeepers Lloyd im stillgelegten Overlook-Hotel ein und will seinen Sohn, einen trockenen Alkoholiker, zu einem Drink überreden. Er spricht von oben auf ihn herab, und seine Worte lassen keinen Deutungsspielraum zu: Danny ist ein Nichts, kein Mann – er solle sich seinen Dämonen ergeben. Jack „Here’s Johnny!“ Torrance ist also noch immer von den Geistern des Overlook besessen, auch im Jenseits. Jack bleibt getriebener Alkoholiker. Und damit bleibt auch Stephen King getriebener Alkoholiker.
Es ist erstaunlich, dass sich King in PR-Auftritten, die er gemeinsam mit dem „Doctor Sleep“-Team absolvierte, geradezu begeistert von dieser Interpretation des Romans zeigte. War doch sein Buch „Doctor Sleep“ für ihn vor allem ein Ausdruck davon, dass jeder eine zweite Chance kriegen sollte, egal, wie zerstörerisch oder selbstzerstörerisch man agierte. Es ging King natürlich um die eigene zweite Chance. Aber woran denkt Danny in seinen letzten Sekunden auf dieser Welt? An seine Mutter Wendy. Sie schenkt ihm Frieden. Jack spielt da längst keine Rolle mehr; er war der Nicht-Vater, den es auszumerzen galt.
Das Verhältnis zu Wendy Torrance war aber nie das Problem, nicht in „Shining“, auch nicht hier. Mutter und Sohn waren bis zum Ende eine Einheit gegen den Vater. Unklar, worauf dieser Film hinauswill: dass Danny stets um die Anerkennung Wendys gekämpft hatte?
Schon kurios, wie Stephen King über Jahre damit kokettierte, dass ihm ausgerechnet die „Shining“-Version Stanley Kubricks, den manche für den genialsten Regisseur aller Zeiten halten und „Shining“ für den besten Horrorfilm aller Zeiten, übel aufgestoßen sei. Die Fehde zwischen damals jungem Autor und arriviertem Filmemacher hat fast schon Legendenstatus. Dabei zeigte Kubrick Jack Torrance als genau denjenigen Mann, wie ihn nun auch Kings gelobter Mike Flanagan darstellt: Es war nicht die Droge, die ihn schleichend umkrempelte – die Geister des Overlook erledigten das in Zeitraffer.
Als Schriftsteller hat Stephen King, 72, womöglich seine besten Jahre hinter sich, aber als Figur der Popkultur ist er so begehrt wie nie: Wenn die aktuellen Bücher keinen Stoff fürs Kino mehr hergeben könnten, so läuft doch zumindest die Remake-Maschine („Pet Sematary“, „Carrie“, „Es“) auf Hochtouren, und im Fernsehen landen die Mehrteiler („Mr. Mercedes“, „Der Anschlag“) auf prominenten Plätzen. Auffallend ist, dass ihm mittlerweile wirklich jede Umsetzung gefällt. Auf Twitter gibt er am laufenden Band Thumbs up. Und wenn ihm ein Film mal nicht gefällt, wie die „Dunkle Turm“-Umsetzung, dann ist er auffallend ruhig. Wann hat er das letzte Mal getobt, dass seine Stoffe missbraucht würden?
Im Roman hat Stephen King der Versuchung widerstanden, viele auch durch Stanley Kubricks Version in die Filmgeschichte eingegangenen „Shining“-Elemente wiederaufleben zu lassen: das Hotel, den Schnee, die Axt, die Zwillinge (ausgerechnet der Bär aber fehlt!). Dass Regisseur Flanagan die ganze Armada nun wieder auffährt, ist nicht unbedingt Zeichen guten Zutrauens in das Ausgangsmaterial der Fortsetzung. Kein Wunder, dass die einzig neue Antagonistin, eine Hexe mit Hut, neben diesen „Classic Monstern“ verblasst.
Der Roman „Doctor Sleep“ verdeutlichte den Fokus, den King ausrichten wollte: Dass die Gabe des „Shining“ Verantwortung für denjenigen bedeutet, der überlebt und Gutes tun will. Um den blamablen deutschen Titel des Films, „Doctor Sleeps Erwachen“ – Danny muss ja nicht erwachen, vielmehr hilft dieser „Doktor“ seinen Patienten keine Angst vor dem Tod zu haben und sanft „einzuschlafen“ – muss man gar nicht mal so viel Aufhebens machen. Ist halt doof betitelt, das „Erwachen“ ein ungelenker Trigger-Versuch, die Leute ins Kino zu locken, Superhelden-Touch-Titel, The Rise of Doctor Sleep usw.
Viel bedauerlicher ist, dass der „Doctor Sleep“-Film eben nicht damit endete, wie Danny den todkranken Patienten des Altersheims weiterhin zur Seite steht.