Stephan Eicher verließ die Überholspur und trottete um den Globus. Mit dem Album „Louanges“ startet er nun wieder durch
Es ist nicht gerade viel los in Aulnay-sous-Bois, einem Vorort von Paris ab Bilderbuchexempel träger Eintönigkeit, wie sie sich an ausgefransten Rändern urbaner Zentren festfrißt. Müde Häuser und Menschen und dazwischen ein Mehrzwecktheater in Beton gegossen. Der Abend ist heiß und staubig, doch wie auf ein unsichtbares Kommando füllen sich die Straßen. Mann, Frau, alt, jung, Kinder, Onkel, Oma, Tante, familienweise und in kleinen Grüppchen laufen sie auf das Theater zu. Stephan Eicher gibt hier ein Konzert, und das bringt sie alle auf die Beine.
Vor allem, wenn er in Aulnay-sous-Bois auftritt, nicht im fernen Paris, das eigentlich gleich um die Ecke ist, oder besser eine dreiviertel Stunde Autofahrt entfernt Nach seinem Konzert wird der Künstler sagen: „Wir sind auf dieser Tour bewußt in die Vororte und Kleinstädte gegangen. Ich habe mir gedacht, wieso sollen die Leute immer zu uns kommen, jetzt kommen wir mal zu den Leuten, denen sonst der Weg zu weit ist.“
Das Theater ist voll bis zum letzten Platz. Wir sind in Frankreich, und in Frankreich ist Eicher ein Star. Als der Vorhang aufgeht, überschlagen sich Mädchenstimmen. Schrilles, lang gezogenes Kreischen: „Stephaaaanü“ Bei großen Konzerten in den Metropolen quetschen sich die Schreihälse in den ersten Reihen, fallen auch schon mal in Ohnmacht Man kann das verstehen. Die Poesie eines Stephan Eicher liegt nicht allein in seiner Musik, sondern in seiner ganzen Erscheinung. Der steht auf der Bühne wie hingegossen, schüttelt die Haare, hält die Gitarre, als sei er damit geboren worden. Dort oben auf den Brettern des Vorstadttheaters spielt er vor dem Gemälde einer üppigen Nixe, die sich auf schroffe Feben schmiegt, von oben rieseln weiße Flocken, Licht simuliert eine Glaskuppel – Eicher und Band sitzen in einer überdimensionalen Schneekugel. Da kann auch einer vernünftigen Frau schon mal ein kleiner Seufzer entweichen.
Eigentlich will der Schweizer mit seiner rauchigen Stimme und den schönen Liedern natürlich kein Star sein. „Der rockende Bohemien aus Münchenbuchsee“, wie ihn eidgenössische Journalisten schon liebevoll spöttelnd beschrieben, hatte die Anhimmelei vor einigen Jahren satt Und noch weniger leiden konnte er sein eigenes Spiel damit: „Es war lange sehr verführerisch, den Popstar zu geben, man steht immer im Mittelpunkt, bekommt immer einen Tisch im Restaurant Doch das kostet die künstlerische Identität, führt einen weg von einem selbst.“
Zur Kur ist der Sänger um die ganze Welt gereist, hat in Afrika, Indochina und Südamerika gespielt: „Orte, wo man mich nicht kennt, wo es keine Musikindustrie gibt – das war eine gute Erfahrung.“ Die Tour um den Globus endete schließlich im stillen Kämmerlein. In einem Heimstudio in Lugano nahm Eicher sein 96er Album „1000 Vies“ so auf, wie er vor 15 Jahren seine Karriere begonnen hatte: nur Mensch und Maschine. Computer und Gesang gingen alleine auf die Rebe, Musikfreunde in aller Welt spielten zu den Soundpaketen. Er nennt das heute seinen „Exorzismus“. Drei Jahre später sitzt er nach einem umjubelten Konzert in einem lärmenden Pariser Bistro im Kreis seiner Lieben, seiner Tourfamilie, lächelt und sagt: Jetzt bin ich wieder glücklich in Europa angekommen.“
Europa – das ist für ihn weniger ein räumlicher Begriff ab ein ideeller und hat vor allem mit kultureller Vielfalt zu tun. Seine Truppe besteht aus Franzosen, Deutschen, Kanadiern, das Mischpult bedient ein langhaariger Inder aus London, der der Band jeden Abend eine Lebensweisheit mit gibt „However fast you choose to live your life – Urne does not change“, hat er ihnen in Aulnay-sous-Bois ins Ohr geflüstert.
In stiller Übereinkunft resümiert Eicher die Jahre seines schnellen Erfolgs: „Ich war auf der Überholspur einer Autobahn, nun will ich wieder auf kleineren Wege gehen, meinem Instinkt folgen.“ Für das neue Album „Louanges“ hat er die Maschinen wieder durch Musiker ersetzt und das Werk in die Hände des amerikanischen Erfolgsproduzenten Malcolm Burn gelegt, der auch die Hit-Alben der Neville Brothers geregelt hat Burn wollte Eicher nach New Orleans locken. Der liebt zwar die weite Welt, die USA aber weniger „Eine Sprache, ein Hamburger, ein Klima da ist mir nicht wohl.“ Daher kam der Amerikaner in die Schweizer Berge, nach Engelberg in einen ausgedienten Kursaal, wo schon 1991 Eichers gleichnamiges Erfolgsalbum entstand.
Damals ging die Rebe auf der Autobahn erst richtig los. Und natürlich kann Eicher nicht ewig in den Vororten bleiben. „Louanges“ bietet wieder gefühlvollen Folkrock für die Damen in den ersten Reihen. Die werden weiter „Stephaaanü“ kreischen, nicht die Umwege hören, die er gemacht hat, um wieder bei sich anzukommen. „Manchmal sagt jemand, eines meiner Lieder hätte sein Leben verändert, und ich stelle fest, daß er es anders versteht hat ab ich. Die Konsequenz ist hervorragend: Ich habe nichts zu sagen. Das machen die Leute selbst“