Stefan Raabs Abschied: Apotheose des Absurden
Niemand hat so viele herrlich bizarre und sinnlose Sendungen erfunden wie er. Ein verfrühter Nachruf
Liebe war es nicht: Stefan Raab biederte sich nie beim Publikum an, und niemals behauptete jemand, er sei von der Herzenswärme des Mannes angerührt – was vermutlich bedeutet, dass Raab der eigentlich Herzenswarme ist in einem Gewerbe, in dem es gespielte Gefühligkeit aus vollen Kübeln regnet. Am unverstelltesten sah man FREUDE bei Raab, als er Lena Meyer-Landrut zu ihrem Triumph beim Song Contest verholfen hatte – sie war das eine Talent, das aus seiner Kandidatenkür hervorging und das vielleicht überdauern wird. Sie ein Jahr später zur Titelverteidigung in Deutschland antreten zu lassen, war eine typische Raab-Entscheidung: too much.
Bei Raab war immer alles zu viel – er machte mehr Sendungen als Günther Jauch und Oliver Geissen, und anders als Johannes B. Kerner hat er seine eigene Präsenz überstanden. Raab ist der größte Entrepreneur des deutschen Fernsehens und sein größtes Rätsel, er ist eine Rampensau, die es hinter der Bühne nicht gibt. Keine Talkshow-Auftritte, keine Filmpremieren-Besuche, keine bestellten Biografien, keine „Spiegel“-Gespräche hielten ihn von seiner berserkerhaften Arbeit ab: Als Fassbinder des epischen Fernsehens erfand er das Unterhaltungs-Imperium von ProSieben. „TV Total“, 1999 auf Sendung gegangen, machte Ernst mit dem Selbstreferentiellen des Mediums: Der Müll aller Kanäle wurde wiederverwertet und konzentriert auf den größten Schwachsinn, die Schadenfreude und die Lust am Hirnverbrannten. Es gibt diese Welt, sagte Raab, und es gibt diesen Trash, und es gibt diese Exhibitionisten, diese Kretins und Freaks, und ich zeige diesen Trash, diese Exhibitionisten, diese Kretins und Freaks. Raab blieb 16 Jahre, die Sendung blieb auch.
Seine bizarren Sportwettbewerbe wurden in ihrer monumentalen Bedeutungslosigkeit nie recht gewürdigt: die Wok-WM, das Turmspringen, das Stockcar-Rennen und die Poker-Marathons sind fünf Stunden lange Bizarrerien, wunderbar absurde Zeitvernichtungsmaschinen. Raab engagiert Leute, die es ins Fernsehen drängt und die dafür bekannt sind, dass es sie ins Fernsehen drängt, für Veranstaltungen, die in „TV Total“ als absurde Beispiele für das Fernsehen in exotischen Ländern gezeigt würden. Das Schönste an dem Treiben ist, dass Raab es vollkommen ERNST nimmt. Es gibt einen Moderator, der nicht Raab ist. Es gibt einen Kommenator aus dem Off. Es gibt einen Interviewer am Ort des Geschhens. Es gibt außerdem Musik von denen, die gerade Musik zu verkaufen haben. Stefan Raab grient. Es ist Spiel, aber es ist Konkurrenz. Der Hackl-Schorsch und Joey Kelly wollen die Wok-WM GEWINNEN.
Und Raab auch. Er badet nicht lau. Bei „Schlag den Raab“ inszeniert er das Duell in seiner reinsten Form: zwei Menschen (meistens Männer), eine halbe Million Euro. Ein Zermürbungskampf. Die Scharmützel dauern bis in die Morgenstunden des Sonntags. Stefan Raab freut sich wie in Kind, er trotzt wie ein Kind, er pöbelt wie ein Kind. Dafür, dass seine Sendungen doppelt so lang sind wie „Lawrence von Arabien“, haben sie ordentliche Quoten. Weil der Matador sich stets selbst an die Front wirft, hat er möglicherweise das Feuer verloren. Raab, der Ermöglicher, tritt nicht mit einem Wimmern, sondern mit einem Kanonenschlag ab, der sich so liest: „Ich hänge meine Fernsehschuhe an den Nagel.“ Noch in diesem lakonischen Satz tönen das Handwerkliche und das Physische, die Raabs Zähigkeit und Einzigartigkeit ausmachen. Auch als Musiker ist er nicht ingeniös, aber er weiß, wie man einen guten Song schreibt.
Der andere große Fernsehkünstler der 90er-Jahre, Harald Schmidt, macht jetzt Schwangerschaftsvertretung in der Schweiz. Früher moderierten die Platzhirsche bis zum vorletzten Atemzug: Peter Frankenfeld, Hans-Joachim Kulenkampff, Hans Rosenthal, Rudi Carrell. Thomas Gottschalk hat heute mehr Auftritte als zu seiner besten Zeit. Sie atmeten den Applaus. Stefan Raab atmet Luft. Er hat immer gewusst, was geht. Deshalb geht er.