Stecken die Scorps in der Klemme? Oder ist alles nur Miesmacherei? Fragen an ihren Ex-Platten-Boß Louis Spillmann
„Wind Of Change“, so wird in der Branche behauptet, sei zwar ihr größter Erfolg gewesen, aber auch ihr Fallstrick: das alte Hardrock-Publikum habe man mit dem Balladen-Schmonz vergnüg die neugewonnene Wald- und Wiesen-Kundschaft aber nicht halten können. Haben die Scorpions ein Problem?
„Derartige Erfolge sind ungeheuer prägend. Die Scorpions haben früher von ihren Alben 300 000 bis 600 000 Stück in Deutschland verkauft; von ,Crazy World‘, dem Album zu ,Wind Of Change‘, waren es 1,5 Millionen. Diese zusätzliche Million rekrutierte sich nicht aus Fans, sondern einer Laufkundschaft, die sich vom Zeitgeist – Stichwort Perestroika – angesprochen fühlte. Es wäre also unredlich zu behaupten, die Scorps seien auf dem absteigenden Ast, nur weil sie diese Million wieder verloren haben.“ Nun hat sich die Band unlängst unter Mißtönen von ihrem Konzertveranstalter getrennt. Marek Lieberberg, so die Band, habe nicht professionell gearbeitet; die Scorps, so sinngemäß die Replik, sollten sich gefäUigst an die eigene Nase fassen: Sie seien ein Auslaufmodell, das heute keine Arenen mehr füllen könne.
„Von derartigen Schuldzuweisungen halte ich wenig. Auf der letzten Tour sind tatsächlich Pannen passiert, an denen keine der Parteien ganz schuldlos war, die Plattenfirma eingeschlossen. So sollte face The Heat‘ im Frühsommer erscheinen, wurde dann aber – Remixe, Hüllenprobleme – immer wieder verschoben und erst im Herbst veröffentlicht, nicht einmal zwei Wochen vor Tour-Start. Klar, daß so was negative Auswirkungen hat.
Natürlich hat eine Band, die so lange existiert wie die Scorpions, ein grundsätzliches Problem: Wie halte ich über Jahrzehnte hinweg mein Publikum bei der Stange? Wie erreiche ich junge Zuschauer, um nicht früher oder später als Berufsjugendlicher abgetan zu werden?
Dieses Phänomen konnte man in der Tat beobachten: War der durchschnittliche Konzertgänger früher Mitte 20, sah man auf der letzten Tour eher den End-30er. Und in diesem Alter hat man nun mal immer weniger Bock, sich in eine volle Halle zu quetschen. In diesem Punkt könnte es den Scorpions wirklich so ergehen wie Nazareth: Die hatten mit ‚Love Hurts‘ auch den Megaseller, konnten auch große Hallen füllen, müssen nun aber kleine Brötchen backen.
Aber: Das mag im Fall der Scorpions vielleicht für die Tourneen zutreffen, nicht aber für Plattenverkäufe. Die Scorps können nach wie vor Songs mit genialen hooklines schreiben und haben mit Meines Stimme ein Trademark, das sich nicht plötzlich in Luft auflöst Sie gelten im Ausland noch immer als die deutsche Band – egal, ob man nach Malaysia oder Australien kommt.“ Nun sind aber die Plattenumsätze offensichtlich auch reichlich mau, vor allem in den USA, wo die Band früher in der Oberliga spielte. Das neue Album stieg in den Charts auf Platz 99 ein, sackte aber gleich wieder ab.
„Was vielleicht nur damit zu tun hat, daß die Band bei einer neuen Plattenfirma unterschrieb, danach aber das Management ausgetauscht wurde. Das mag ich nicht beurteilen.“ Ist die Schieflage wirklich nur dadurch erklärbar? Ist es nicht eher so, daß es für die klassische Hardrock-Band unmöglich ist, sich neu zu erfinden? Ist es nicht eine unvermeidliche Sackgasse, in die eine biedere Band früher oder später geraten muß?
„Das sehe ich anders. Ein Bon Jovi etwa hat es – anders als AC/DC – perfekt verstanden, sich ,neu zu erfinden‘. Die Scorps sollten sich nicht irritieren lassen, sondern das machen, was sie exzellent können: Songs schreiben und Platten machen.“ Angenommen, Louis Spillmann wäre noch ihr Plattenboß: Was würde er ihnen konkret raten? Sich auf kommerzielle Balladen zu konzentrieren? Oder den Spagat zwischen Hardrock und Radio-Futter zu machen?
„Ich würde den Teufel tun, ihnen zu irgendetwas zu raten! Diese Entscheidung muß eine Band allein treffen. Wenn es nicht aus dem Bauch kommt, geht’s sowieso in die Hose. Sollten die Scorps wirklich mal an den Punkt kommen, wo sie sich den Tournee-Zirkus schenken wollen, kann ich mir vorstellen, daß Rudi und Klaus sagen: ,Okay, wir sind zu alt für Posen, wir machen Musik, die unsere Situation glaubwürdig widergibt.‘ Daß sie ihre Gitarren je an den Nagel hängen, kann ich mir nicht vorstellen. Dieses Talent kann man nicht so einfach wegwerfen.“