Stay well, Leonard! Unser Gewinner über seine Begegnung mit Leonard Cohen in Paris
Peter Spranger hat bei unserem großen Gewinnspiel zu Leonard Cohens neuem Album "Old Ideas" eine Reise nach Paris gewonnen - zum exklusiven Pre-Listening, bei dem auch Cohen selbst anwesend war. Für uns schrieb er auf, wie er das Wochenende erlebte.
Nein, meine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Noch etwa zwei Stunden vor dem angekündigten Album-Listening, als ich mit Hanns-Peter Bushoff von der Plattenfirma Sony Music telefonierte, um abzuklären, ob ein Ausweis nötig wäre, um in die Veranstaltung mit Leonard Cohen reinzukommen, schoss mit die bohrende Befürchtung durch den Kopf, gleich würde jemand „Ätsch, reingefallen, versteckte Kamera, verstehen Sie Spaß“ rufen und den Traum jäh zum Zerplatzen bringen.
Es schien ja auch völlig unglaublich, was ich an diesem Abend noch erleben sollte. 1979 hatte ich als kaum 20-jähriger Abiturient den damals schon berühmten Sänger, Rock-Poeten und Schriftsteller Leonard Cohen auf der griechischen Insel Hydra getroffen, dessen glühender Fan ich schon damals gewesen war. Wir hatten einen Abend zusammen in der von Cohen in dem Lied „The night comes on“ besungenen „Bills Bar“ geredet und getrunken, und ich hatte mir von ihm einen Bierdeckel mit einer kleinen Widmung signieren lassen. Als für Januar 2012 ein neues Album von Leonard Cohen angekündigt war, hatte die Musikzeitschrift „Rolling Stone“ ein Gewinnspiel veranstaltet, bei dem eine Reise nach Paris zur Präsentation dieser CD aus Hauptgewinn ausgelobt war. Doch nicht eine einfache Gewinnmail oder eine SMS „Ich will gewinnen“ sollte für die Teilnahme genügen, sondern es musste schon eine „besondere Bewerbung“ sein, wenn man den Hauptpreis gewinnen wollte. Ich hatte daraufhin eine Mail mit einer Schilderung meines damaligen Erlebnisses und einem Scan des ominösen Bierdeckels eingeschickt und war tatsächlich als Preisträger ausgewählt worden.
Und so saß ich nun mit meiner Freundin Birgit, die ich in gewisser Weise auch durch oder zumindest dank Leonard Cohen kennengelernt hatte, denn wir waren uns im Juli 2008 bei seinem Konzert in Lörrach erstmals begegnet, in der Lobby eines Pariser Hotels am Montmartre und wartete auf die Fahrt zu der CD-Vorstellung.
Doch zunächst einmal lernten wir in dieser Lobby Christof Graf kennen, der mehrere Bücher über Cohen geschrieben hat, und dessen jüngstes Werk „Titan der Worte“ zufällig (obwohl es mir schwer fällt, dabei noch an Zufälle zu glauben) gerade meine aktuelle Lektüre war. Denn – so unglaublich das auch klingen mag – ich hatte dieses Buch „zufällig“ einige Tage, bevor ich von dem Gewinnspiel erfahren hatte, zu lesen begonnen. Auch Graf gehörte zu den insgesamt nur fünf Personen aus Deutschland, die an dem Album-Listening teilnehmen durften. Die beiden anderen waren Hanns-Peter Bushoff, der uns zum Ort der Veranstaltung brachte, und ein weiterer Journalist, der erst dort zu uns stieß.
Das Hotel de Crillon an der Place de la Concorde in Paris gehört zu den besten Hotels in Europa. Es handelt sich um einen im 18. Jahrhundert erbauten ehemaligen Adelspalast, vor dem 1793 der letzte Franzosenkönig Ludwig XVI. enthauptet wurde. 1907 wurde es zu einem der exklusivsten und luxuriösesten Hotels weltweit umgebaut. Auf der Getränkekarte in der Hotelbar findet sich zum Beispiel ein edler Champagner, von dem eine Flasche so viel wie ein Mittelklassewagen kostet.
Im „Salon Aigles“ dieses Luxushotels sollte Leonard Cohen einer ausgewählten Schar von rund 50 Journalisten aus ganz Europa, von Portugal bis Dänemark und von Frankreich bis Israel, an diesem Abend seine neue CD „Old Ideas“ erstmals präsentieren. Wir waren frühzeitig dort und so konnten Birgit und ich Plätze in der zweiten Reihe ergattern. Die Spannung stieg von Minute zu Minute, während sich der opulent ausgestattete Salon langsam füllte. Der Zutritt zu den Räumlichkeiten war nur über einen eigenen Lift und mit Einladung möglich. Livriertes Personal sorgte geräuschlos dafür, dass nur die geladenen Gäste zugelassen wurden und später für die exquisite Bewirtung.
Doch zunächst einmal öffnete sich pünktlich um 19.30 Uhr eine der vier Meter hohen Spiegeltüren an der Stirnseite des Salons. Und Leonard Cohen betrat den Raum, wie man ihn von seiner 2008 begonnenen Welttournee kennt – im eleganten schwarzen Zweireiher, darunter ein graues Flanellhemd, den „schwarzen Fedora“, der zu seinem Markenzeichen geworden ist, auf dem Kopf, verneigte er sich mehrmals in den Beifall über seine Ankunft hinein mit jener charismatischen Mischung aus tiefer Demut, großer Herzlichkeit und milder Altersweisheit, die ihn auch bei den Liveauftritten seiner Tournee ausgezeichnet hatte und mit der er Herzen aller erobert hat, denen das Glück zuteil wurde, ihn bei diesen Konzerten erleben zu dürfen. Christof Graf zitiert in seinem Buch den Band Aid-Gründer Bob Geldof, der Cohen 1993 erstmals begegnete und ihn als „Kombination aus großer Persönlichkeit und spirituellem Geist“ bezeichnete. Cohen lüftete seinen Hut, zeigte sein unglaublich charmantes und gewinnendes Lächeln und nach einigen einleitenden Worten seines Managers ergriff er selbst das Wort.
Er dankte allen Anwesenden für ihr Kommen, er wisse, dass sie teilweise einen weiten Weg zurückgelegt hätten, um mit ihm zusammen sein neues Album zu hören. Dies sei eine „great honour“ für ihn (was sollten da erst wir sagen, die wir diesen Abend mit ihm verbringen durften!). Es werde anschließend eine Fragerunde geben, bei der er dann an der Frontseite des Salons sitzen werde, wo zwei Biedermeiersessel für ihn und den Moderator dieser Runde bereitstanden, doch vorher wolle er mit allen Anwesenden der Musik lauschen. Und dazu nahm er vorne in die erste Zuhörerreihe Platz. Und so saß ich in der folgenden Stunde, während die „Ten New Songs“ des neuen Albums „Old Ideas“ den Raum erfüllten nur etwa einen halben Meter von ihm entfernt schräg hinter Leonard – noch etwas mehr Glück hatte meine Freundin Birgit, die ihm ohne weiteres während der Musikvorführung ins Ohr hätte flüstern können.
Ich bin kein Musikkritiker, und ein musikalisches Urteil über „Old Ideas“ kann ich mir daher nicht anmaßen – schon gar nicht nach einmaligem Hören in Gegenwart und unmittelbarer Nähe Cohens. Es ist jedenfalls ein sehr ruhiges und sanftes Album, Lichtjahre vom „Wall of Sound“ entfernt, den ein Phil Spector als Produzent der 1977er-LP „Death of a Ladies Man“ verordnen zu müssen glaubte. Die Instrumentierung wirkt aber auch sparsamer, als man sie von Cohens Konzerten zuletzt kannte. Es gibt längere Instrumentalpassagen und natürlich fehlen auch die glockenklaren Frauenstimmen im Background nicht, die beinahe ein Wesensmerkmal von Cohens Musik sind. Joan Baez hat einmal über seine Lieder gesagt, sie kämen von so tief in ihm, dass sie auch andere Menschen irgendwie tief berühren würden. Und ja, das tun diese Lieder – sie berühren einen so tief wie der Mensch Leonard Cohen einen in seiner Humanität, in seiner Weisheit, aber auch seiner Unsicherheit und Fragilität und nicht zuletzt auch mit seinem oft durchaus schwarzen Humor zutiefst berühren kann.
Nach dem Album-Listening und der anschließenden Fragerunde drängte sich alles um Cohen, um mit ihm zu sprechen oder ein Autogramm zu ergattern. Auch ich nutzte die Gelegenheit, zeigte ihm meinen Bierdeckel von 1979 (wie man auf dem Foto sieht) und sagte, er würde sich sicherlich nicht mehr daran erinnern, aber dies sei bereits unsere zweite Begegnung, und bei unserem ersten Treffen hätte er mir diesen Bierdeckel unterschrieben. Ich weiß nicht, ob ein winziger Funken Erinnerung in ihm wachwurde, als er mir das kleine Papp-Viereck aus den Händen nahm, es ein paar Sekunden betrachtete und es dann umdrehte, um auf die Rückseite eine weitere Widmung zu schreiben: „For Peter – stay well – Leonard Cohen – 2012“.
Diesen Bierdeckel werde ich nun aufbewahren bis ins Jahr 2034, dann gibt es hoffentlich wieder ein Gewinnspiel von „Rolling Stone“ mit einer Reise zur Feier des 100. Geburtstages von Leonard Cohen als Hauptgewinn, um ihn ein drittes Mal zu treffen. Stay well, Leonard!