„Star Wars“ und Co: Wer Angst vor Spoilern hat, ist nie richtig erwachsen geworden
Seit Jahren sind Fans wütend über Spoiler, die ihnen wichtige Storydetails aus Serien und Filmen verraten. Dieses Verhalten ist kindisch und entlarvt ein falsches Verständnis von Unterhaltung und Kunst, meint ROLLING-STONE-Autor Marc Vetter.
In wenigen Wochen startet „Star Wars – Das Erwachen der Macht“. Schon jetzt sorgen sich viele Fans, dass sie vor oder kurz nach dem Kinostart erste Details erfahren könnten, was in der siebten Episode der Saga Entscheidendes passiert.
Wenn man bedenkt, dass die Sternenkrieger-Reihe in Episode V mit der genialen Wendung, dass Darth Vader der Vater von Luke Skywalker ist, einen regelrechten Coup landete, der einst Millionen von Kinogängern aus den Sitzen riss, könnte es durchaus auch sein, dass Regisseur J.J. Abrams auch für „Das Erwachen der Macht“ einen ähnlichen narrativen Knalleffekt parat hält.
Die Tatsache, dass Luke Skywalker trotz Ankündigung, dass er in Episode VII mitspielen werde, weder auf dem offiziellen Plakat noch im Trailer auftaucht, deutet schon daraufhin, dass die von Mark Hamill gespielte Figur im Zentrum eines klugen Story-Kniffs stehen könnte. Millionen Fans treibt die Angst jetzt schon Schweiß auf die Stirn, dass ihnen irgendjemand – im Zweifel das niemals stillstehende Netz – das Geheimnis verraten könnte. Auch deshalb sichern sie sich in Scharen auf eBay Tickets zu skandalösen Preisen.
Nichts hassen Film- und Serienfans mehr als Spoiler
Seit Jahren tobt im Internet die kollektiv geteilte Wut über die so genannten Spoiler, bei denen dreist verraten wird, was in einer Serienepisode oder in einem Blockbuster-Streifen passiert. Journalisten überlegen sich inzwischen zweimal, was sie über einen neuen Film erzählen, um ja niemanden zu verschrecken. Andere Medien spielen gerade mit der Neugier vieler Fans und lancieren geschickt – vor allem in den sozialen Netzwerken – Artikel, die so viel wie möglich verraten, oder wenigstens so tun.
Das kann so nicht weiter gehen.
Es ist doch lächerlich, wenn sich erwachsene Menschen beleidigt fühlen wie ein Kind, dem man den Lutscher wegnimmt, nur weil sie schon vorzeitig ein Handlungsdetail erfahren. Der Wert eines Kunstwerks oder Unterhaltungsstücks bemisst sich nun einmal nicht nur an den Plotpoints.
Natürlich ist es ärgerlich, wenn das Filmvergnügen – das ja zu einem großen Teil seinen Reiz aus überraschenden Wendungen oder erschreckenden Enden zieht – durch Spoiler geschmälert wird. Doch führt der Hype um die Geheimnisse einer Handlung nicht auch zu der perfiden Erwartungshaltung, dass so gut wie jeder Stoff eine Vielzahl solcher Erzähleffekte bereithalten muss, um von einem großen Publikum akzeptiert zu werden?
Das Quengeln über Spoiler ist oft einfach nur kindisch
Serien wie „Game Of Thrones“, „Breaking Bad“ und „The Walking Dead“, die von Millionen von Zuschauern weltweit gesehen werden, haben den Aufschrei um vermeintliche Spoiler nur noch vergrößert. Das liegt auch daran, dass diese Kulturereignisse, über die alle sprechen, fast nur noch über das Internet (oft über illegale Streamingportale) oder auf DVD und Blu-ray gesehen werden. Wie soll man also darüber sprechen, wenn immer davon ausgegangen werden muss, dass dieser oder jener noch nicht weitergeschaut hat?
Gerade die Fantasy-Reihe „Game Of Thrones“ lebt ja davon, dass von Staffel zu Staffel mehrere Hauptfiguren getötet werden, ohne dass man es durch Anhaltspunkte in der Handlung erahnen könnte. Das Fernsehen hatte eine lange Zeit Erfolg mit erzählerischer und inszenatorischer Gleichförmigkeit. Auch heute noch sind viele Formate, trotz komplex gehaltener Figurenentwicklung und Erzählhaltung, schlicht vorhersehbar. Und das mögen die Menschen daran. So erklärt sich schließlich der niemals verenden wollende Erfolg von Sitcoms und Soaps.
Aber: Die Qualität vieler teuer produzierter Serien, und auch die Qualität von großen und von vielen erwarteten Filmen wie „Star Wars – Das Erwachen der Macht“, erschließt sich auch beim wiederholten Sehen, wenn alles bereits bekannt ist. Und so mag es zwar ärgerlich sein, wenn die Spannung durch ein falsches Wort „abgetötet“ wird. Doch das Quengeln über derlei Spoiler ist infantil und spielt letztlich nur den Produzenten derartiger globaler Markenprodukte in die Hand, die es sich nicht nehmen lassen, mit der Erwartungshaltung der Kunden (auch mit einer inflationären Verbreitung von oftmals schlechtgemachten Teasern und Trailern) geschickt zu spielen.
Zuschauer erwarten nur noch kluge Erzählungen – und spannende Wendungen
Die Angst vor den Spoilern versinnbildlicht darüber hinaus auch die Dominanz von Narration in Film und Fernsehen, die in den letzten Jahren deutlich Überhand genommen hat. Längst steht der Erzählprozess selbst, ganz nach postmodernem Masterplan, selbst im Mittelpunkt. Experimentelle Bilder oder Geschichten, die eher von Stimmungen und Beobachtungen leben, werden immer weiter zurückgefahren. Sie wirken nicht spannend, nicht überraschend, nicht erfolgversprechend.
Heute ist es undenkbar, dass ein Film wie „Das Schweigen“ von Ingmar Bergman, der in der BRD 1964 mehr als 16 Millionen Menschen in die Lichtspielhäuser lockte, heute ähnlichen Erfolg hätte. Hier zählte das Skandalpotential und das Spiel mit moralischen Grenzen. Bei der Erregung um unnötige Spoiler beziehen sich die wenigsten Menschen auf moralische Faktoren. Es geht immer nur um die Story.
So fällt auch auf, dass das Stöhnen über Spoiler sich in der Regel nur auf die populären Serien, die fast alle gucken, und Filme, die wochenlang zuvor schon zu globalen Events hochgejazzt wurden, bezieht. Kaum einer regt sich auf, wenn etwa verraten wird, was für ein Wesen sich hinter Scarlett Johansson in „Under The Skin“ verbirgt. Ganz einfach weil es trotz der erschreckenden Pointe die Größe des Films nicht bestimmt.
Komplexe Stoffe machen Spoiler sinnlos
Selbst der noch heute bejubelte Story-Scoop in „The Sixth Sense“ ist den meisten Menschen bekannt – selbst wenn sie den Film nicht gesehen haben. Außerdem gibt es unterhaltsame Spannungsserien wie „Akte X“, deren Plot so verworren ist, dass es wenig Sinn ergeben würde, einzelne Details zu verraten. Auch wenn etwas verraten würde: Hier wären Spoiler schlichtweg ohnmächtig gegenüber der Mehrdeutigkeit der Handlung.
Kann es also sein, dass die Angst vor Spoilern nichts anderes ist als ein versteckter Hinweis darauf, dass die meisten Zuschauer längst ein Recht auf Unterhaltung und Überraschung einfordern? Dieses Recht gibt es aber nicht. Romane, Filme, Serien, Musikstücke können unterhalten, sogar überraschen. Aber ihre Qualität hängt davon nicht ab. Sonst wären Filme wie „2001 – Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick, Romane wie „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace, Platten wie das weiße Album der Beatles oder Serien wie „The Wire“ von David Simon niemals zu Klassikern ihres Mediums geworden. Sie sind bedeutsam, weil bei ihnen Spoiler zwecklos sind.