Star-Spangled Singer
Das Folk-Findelkind Sufjan Stevens will jedem US-Staat eine Platte widmen, zur Not bis ans Lebensende
Der Legende nach wurde Sufjan Stevens als Säugling auf der Türschwelle seiner zukünftigen Zieheltern gefunden – in einer Milchkanne, eingewickelt in Cellophan, mit einer sonderbaren Botschaft am Handgelenk, auf der „I love you“ stand. Ob diese Begebenheit mehr ist als ein Mythos, ist unklar und wird nicht verraten. Jedenfalls stellt sie den Sänger aus Michigan ins richtige Licht.
Denn Stevens ist ein Poet, ein sympathischer Zweifler, der mit seiner Kunst im Trüben fischt und die Zwischentöne spannender findet als allzu klare Worte. Hier zu Lande wurde man erst unlängst auf ihn aufmerksam, als eine Kollaboration mit Kumpel Daniel Smith von der Danielson Family, „Seven Swans“, etwas ungelenk als europäisches Debüt veröffentlicht wurde – Stevens hatte daheim in den USA schon zwei Platten veröffentlicht und sieht den eilig aufgenommenen Spukfolk von“Seven Swans ungern als vollwertiges Mitglied der eigenen Diskografie. Hingegen ist das neue Album „Greetings From Michigan: The Great Lake State“ eine ganz reguläre Platte. Stevens spielt darauf freundlichen LoFi-Folk mit Flöten, Banjos und stillem Piano, und oft hört man kaum mehr als ein Flüstern. Je leiser du bist, desto mehr hören die Leute dir zu“, erläutert er die Strategie, „es sind momentan so viele Zirkustruppen und Marktschreier unterwegs, und alle buhlen wie wahnsinnig um Aufmerksamkeit – ich denke, dieser ständige Lärm wird die Menschen müde machen, und sie werden sich öffnen für stille, erhabenere Musik.“
Die Platte ist Beginn eines ehrgeizigen Projekts: Nach Michigan sollen alle weiteren 49 Bundesstaaten der USA Gegenstand einer musikalischen Veröffentlichung werden. „Es ist ein Witz, den ich sehr ernst nehme“, sagt Stevens kryptisch, „ich möchte versuchen, Geschichte, Mythos und Geografie mit persönlichem Storytelling zu verbinden. Eine Art metaphysischer Roadmovie, der sich damit auseinandersetzt, was es eigentlich bedeutet, Amerikaner zu sein. Wir sind eine Nation der Widersprüche und ethnischen Konflikte, deren Demokratie auf Krieg, Besitz und Macht gründet. Wir haben keine Geschichte, aber brauchen dringend eine.“
Volle 50 Platten wird Stevens nicht schaffen. „Natürlich werde ich nicht lang genug leben, um das Projekt zu beenden – ich mache, so viel ich kann, und werde den Staffelstab dann übergeben. Außerdem muss ja nicht jeder Staat ein ganzes Album bekommen. Rhode Island wird eine Single.“ In den USA gilt Stevens als neues Wunderkind der Neo-Folk-Szene. „Die Aufmerksamkeit von außen schärft meinen Blick auf die Musik. Wenn ich sehe, wie genau die Leute mir zuhören, ist das ein guter Effekt!“