Stalin, Sturmreif
Zuletzt hatte Diedrich Diederichsen in einer Abhandlung „Politische Korrekturen“ angebracht – und wurde allenthalben korrigiert („Einer muß ja den Müll runterbringen“). Doch der Pop-Theoretiker und Amokschwätzer läßt sich davon nicht runterbringen. In seiner Stammzeitschrift „Spex“ publiziert Diederichsen längliche Gaga-Aufsatze, und seine Lehrtätigkeit am „Art-Center Pasadena“ (der Prophet gilt im eigenen Land nichts!) läßt ihm genügend Zeit, um im neuen Jahr beim bislang als eher konventionell bekannten Hannibal-Verlag die Revolution auszurufen.
Der im glücklichen Österreich ansässige Buchverlag ist auf leichtverständliche Biographien und Texte zur Musik spezialisiert. In der aktuellen Verlagsinfortnation („The beat goes on“) stellt sich nun aber Diederichsen überraschend als Herausgeber vor und hebt beängstigend an: „Seit einigen Monaten wird im deutschsprachigen Raum zunehmend intensiv über neue und bisher vernachlässigte Paradigmen der Kulturforschung diskutiert.“ Jawohl, im deutschsprachigen Raum! In St Andrä-Wördern! Am „Art-Center Pasadena“! Und gleich im ersten Satz das schönste, das umfassendste Diederichsenwort: Paradigma! Kein Pop ohne Paradigmen, und der Paradigmenwechsel folgt: „Es scheint, daß nun auch bei uns die in den angloamerikanischen Ländern längst gefallene Unterscheidung zwischen High und Low oder E und U sturmreif geschossen worden ist“, meldet der Oberstleutnant Diederichsen unter einem Porträtfoto, das ihn selbst als sturmreif geschossen zeigt.
„Sei es der von Gramscis Theorien beeinflußte Jugend- und Subkultur-Forschungsansatz der Birmingham School…“ schwadroniert er in der Etappe weiter – egal, bald wird D. D., früher „Stalin“ gerufen, „internationale Debatten (…) gewährleisten“, wir aber melden uns ab. Und morgen Birmingham!