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Arne Willander schaut fernKolumne

„St. Elmo’s Fire“: Die Erfindung der 80er-Jahre

Vor 30 Jahren kam Joel Schumachers mustergültiger Film über junge Leute in die Kinos: eine Fiktion, die wirklicher als die Wirklichkeit ist

Es ist den Rezensenten damals nicht entgangen, dass „St. Elmo’s Fire“ einerseits „The Big Chill“ belehnt (Erwachsene blicken auf ihre Studienzeit zurück), andererseits „The Breakfast Club“ (Schüler müssen nachsitzen). Bei Joel Schumacher müssen Studenten nach ihrem College-Abschluss in Georgetown im Leben nachsitzen. Es gibt den Hallodri, die Flippige, die Sensible, den Normalen, den Karrieristen, den Pessimisten, die Vernünftige und die Unberührbare. Rob Lowe ist der Hallodri. Demi Moore ist die Flippige. Ally Sheedy ist die Vernünftige. Emilio Estevez ist der Normale. Andrew McCarthy ist der Pessimist. Judd Nelson ist der Karrierist. Mare Winningham ist die Sensible. Und Andie MacDowell ist die Unerreichbare. Man kannte Estevez, Sheedy und Nelson aus „The Breakfast Club“, der Regisseur John Hughes hatte die jungen Schauspieler an Joel Schumacher weitergereicht. Heute wirkt das wie die Traumbesetzung des Jahres 1985. Aber das Studio wollte sie nicht. Und es wollte den Film nicht. Acht Hauptrollen! Vergiss es.

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Später wurde bemängelt, der Film sei eine Sitcom. Ja, und aus dieser Sitcom wurde „Friends“, wurde „Party Of Five“, wurde „O.C. California“. Wurden 129 Coming-of-Age-Filme. Wurde das Brat Pack. Wurden die 80er-Jahre. Kein Mensch wusste, was das verdammte Elmsfeuer ist, nach dem eine Kneipe benannt ist, die ganz genau aussieht, als wäre sie im Studio aufgebaut (sie wurde im Studio aufgebaut) und als gäbe es sie nirgendwo auf der Welt – was natürlich heißt, dass es sie überall gibt. Rob Lowes Kopf wird in die Toilettenschüssel getaucht, und er streicht sich die nassen Haare zurück, scherzt mit Judd Nelson und fällt im Schankraum mit den anderen in ein Lied ein, während ein Mädchen spontan Saxofon dazu spielt. Nelson und  Sheedy wohnen in einem LOFT, das größer als zwei Tennisplätze ist, und als Sheedy auszieht, weil sie gemerkt hat, dass McCarthy sie liebt, verbietet Nelson ihr, die erste Pretenders-Platte mitzunehmen: Sie könne die Platten von Billy Joel haben – aber nicht „The Stranger“. Demi Moore ist, huh, drogensüchtig und dysfunktional (was sie wirklich war, weshalb sie für die Dreharbeiten eine Unbedenklichkeitsbescheinigung mitbringen musste). McCarthy wird für schwul gehalten, liebt aber heimlich Sheedy. Sie sagen clevere Sätze: „Es ist nicht einfach, ich zu sein“, „Die Ehe ist eine Illusion, die von Anwälten erfunden wurde …“ – diese Sachen, die nie, nie jemandem einfallen, bis sie zur Stanze geworden sind.

„Casablanca“ ist auch nicht realistisch, „Der Pate“ ebensowenig

Es ist also gar nicht überraschend, dass „St. Elmo’s Fire“ ein ganz und gar wahrhaftiger Film ist, wenn auch kein realistischer. Niemand will einen realistischen Film. „Casablanca“ ist nicht realistisch. „Der Pate“ ist nicht realistisch. „Brokeback Mountain“ ist nicht realistisch. Wir möchten glauben, dass „The Big Chill“ realistisch sei, und die Musik ist echt und die Schauspieler sehen echt aus, aber auch „The Big Chill“ ist nicht realistisch. Aber die 80er-Jahre waren sowieso nicht realistisch: Rock Hudson starb. Es gab „Live Aid“. Boris Becker gewann Wimbledon. Die jungen Leute in „St. Elmo“ haben Probleme, sie haben Arbeit (oder nicht), sie haben Familie (oder nicht), sie haben Liebe (oder nicht). Sie haben einander. Andrew McCarthys angeblich schriftstellernder Kevin stellte enttäuscht seine Bongos zur Seite und kaufte eine Schreibmaschine, und seitdem hält er Liebe für eine Lüge und sagt das immerzu, und sogar eine Prostituierte sagt ihm, er sei eindeutig schwul. Und Emilio Estevez‘ Kirby schwärmt ihm von romantischer Liebe vor, die ihm in Gestalt von Andie MacDowells Dale erschienen ist, die er vom College kennt und die jetzt in einem Krankenhaus als Ärztin wertvolle Arbeit leistet, während Kirby als angehender Anwalt kellnert. Kirby sieht gut aus, aber Dale ist die Frau, die man nicht haben kann. Irgend jemand wird sie haben, aber man selbst wird sie nie haben.

v.li.: Demi Moore, Emilio Estevez, Rob Lowe, Andrew McCarthy, Judd Nelson, Ally Sheedy und Mare Winningham
v.li.: Andrew McCarthy, Mare Winningham, Rob Lowe, Judd Nelson, Ally Sheedy, Demi Moore, Emilio Estevez

Vier Jahre später, in „Sex, Lies & Videotape“, ist James Spader sowohl Emilio Estevez als auch Andrew McCarthy, und die Frau, die er nicht haben kann, ist wieder Andie MacDowell. An unserer Schule gab es es schöne und gescheite Mädchen, die MacDowell hassten. Sie sei keine Schauspielerin. Sie sei bloß Gesicht. Sie könne nichts. Aber das konnte sie natürlich richtig gut, die Andie MacDowell, und in „Sex, Lies And Videotape“ weiß sie auch noch, was mit James Spader nicht stimmt, und sie ist neugierig auf das das, was nicht stimmt. Noch in „Groundhog Day“ ist MacDowell diese Frau, die auf den Weltfrieden trinkt und immer bloß schön ist, und Bill Murray muss sie jeden Tag wieder ertragen – aber er gewinnt sie erst, als er alles über sie weiß und sich darauf einstellt.

„Die 80er-Jahre sahen aus wie „St. Elmo’s Fire“, sie fühlten sich an wie „St. Elmo’s Fire“, sie hatten die Frisuren, die Schlipse und Anzüge von „St. Elmo’s Fire“.“

n „St. Elmo’s Fire“ sagt Kevin: „Aber das verstehst du nicht.“ Das Herz eines Mannes ist eine Mördergrube. Man versteht auch Demi Moore als Jules nicht, die bei Wikipedia als „Party Girl“ bezeichnet wird. „Warum bin ich mit 22 schon so müde?“, fragt sie. „Ich hatte immer Angst davor, dass jemand merkt, dass ich gar nicht so toll bin.“ Man versteht sie nicht, denn sie ist natürlich supertoll, aber man weiß, dass es dieses Party Girl überall gab, wenn es vielleicht auch nicht aussah wie Demi Moore. Die 80er-Jahre sahen aus wie „St. Elmo’s Fire“, sie fühlten sich an wie „St. Elmo’s Fire“, sie hatten die Frisuren, die Schlipse und Anzüge von „St. Elmo’s Fire“.

Im selben Jahr erschien der Roman „Unter Null“ von Bret Easton Ellis und zerstörte das Land der 22-Jährigen für immer. Ellis sagt: Es ist alles Oberfläche, es ist alles hohl. „St. Elmos Fire“ sagt im deutschen Untertitel: „Die Leidenschaft brennt tief.“ Aber das Elmsfeuer ist nur eine Lichterscheinung, die durch Elektrizität entsteht.

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