Spree City Roller-Girls
Judith Holofernes von Wir sind Helden und Diane Weigmann über den Sex im deutschen Pop, Hippie-Vorwürfe und dämliche Fragen nach Michael Jackson
Die eine zog als Gymnasiastin los, um mit ihren Lemonbabies dem deutschen Pop die Achtziger auszutreiben – die andere schaffte mit Wir sind Helden vor vier Jahren den nächsten Generationswechsel im Radio, Diane Weigmann, die nun ihr zweites Soloalbum „Im Zweifelsfall noch immer“ bringt, und Judith Holofernes, die mit dem dritten Helden-Album „Soundso“ aus der Babypause kommt, sind auch privat befreundet und trinken in Berlin gerne zusammen Kaffee. Oder Bionade.
Judith, Diane, als ihr euch kennengelernt habt, hatte Diane schon mehrere Alben veröffentlicht, Judith hatte noch nicht mal eine Band. Was Plattenverkäufe und Chartsplätze angeht, ist es mittlerweile andersrum: Judith hat Diane überholt. Diane: In solchen Kategorien denke ich gar nicht. Erstens mache ich das wirklich schon sehr lange, bin sehr glücklich dabei und habe viele Sachen kommen und gehen sehen. Und zweitens: Man freut sich doch, wenn gerade Musiker, die man schon länger kennt und mag, den Durchbruch schaffen. Gerade bei einer Band wie Wir sind Helden: Da ist so ’ne Leichtigkeit drin, die ganz viele andere Musiker schon längst nicht mehr haben. Dazu kommt noch, dass sie bei den deutschen Hörern etwas bewirkt haben, das auch meiner Musik wieder zugute kommt.
Judith: Wir werden oft gefragt, ob wir damit leben können, dass wir diese Tür geöffnet haben, diese Pandora-Büchse. Und ich muss sagen: Ich bi n völlig im Reinen damit. Auch die Bands, bei denen man sich immer zu wünschen scheint, dass wir über sie herziehen, finde ich zum größten Teil völlig in Ordnung.
Bei Diane wiederum ist die Besonderheit, das sie schon mit 15 bei den Lemonbabies vor Publikum stand. Die Leute haben dich also schon zu einer Zeit miterlebt, als du noch nicht besonders gut warst. Ist das ein Problem?
Diane: Es gibt wahnsinnig viele Musiker, die sich fünf Jahre lang nicht aus dem Proberaum trauen, und dann kommen sie auf die Bühne und niemand interessiert sich dafür. Wir haben damals die Gunst der Stunde genutzt, und ich schäme mich für nichts. Wir hatten wenigstens Spaß.
Bei den Lemonbabies gab es ja auch viel Kritik in die Richtung: Sie verkaufen die Musik über ihre Niedlichkeit. Diane: Ich will gar nicht daran zweifeln, dass der A&R sich damals gedacht hat: Oh Gott, sind die unbeholfen tapsig und süß, und spielen können sie wirklich noch nicht richtig, aber… Und da muss ich jetzt mal die Lanze brechen für meine drei Mitmusikerinnen und mich: Wenn ich mir heute Demos anhöre von Leuten im gleichen Alter, um die 15, 16 – die sind vielleicht instrumental besser, aber die Songs sind es nicht. Da hatten wir eindeutig eine Stärke. Und deshalb empfinde ich es auch als fair, dass wir so früh gesignt wurden.
Zu kleinen Sexsymbolen habt ihr euch aber schon aktiv stilisiert. Es gab sogar eine Plattenhülle, auf der ihr nackt zu sehen wart.
Diane: Wir waren Mädchen! Wir hatten Spaß daran, uns für die Bühne aufzudonnern, und zugegeben, wir sind zwischen Soundcheck und Auftritt noch mal zu H&?M um die Ecke gerannt, um nach coolen Bühnen-Outfits zu suchen. Mitte der Neunziger war die Zeit des Girlie-Booms, dann gab’s als Antwort die Riot-Fraktion – wir wurden so massivst von allen Seiten bedrängt, es war eine Katastrophe.
Judith, du inszenierst dich extra nicht als sexy Frontfrau.
Judith: Ich mache das Sexy-Sein nicht zu meinem Beruf. Es ist wirklich so, dass wir sehr viel Energie darauf verwenden, in jedem Foto-Shooting immer wieder zu sagen: „Das hätten wir jetzt eigentlich nicht so gern, dass Judith vorne steht.“ Man muss lernen, so etwas zu sagen, auch wenn es einem albern vorkommt. Diese ganzen Details ergeben am Ende ein Bild, über das wir schon sehr froh sind.
Was ihr gemeinsam habt: Ihr gebt gewisse Hippie-Signale ab. Judith: Ich habe ja schon echte Hippie-Wurzeln, durch die Art, wie ich aufgewachsen bin. Wir sind damals mit diesem krakeelenden „Guten Tag“-Lied auf der Bildfläche erschienen, deshalb ist uns oft eine Punk-Attitüde unterstellt worden. Die natürlich hochgradig schick ist, obwohl ich irgendwann eben festgestellt habe, dass ich im Herzen viel mehr Hippie bin. Das heißt am Ende, dass es einem nicht um „Destroy!“ und „No Future“ geht, sondern dass man eher versucht, sich in der Welt nützlich zu machen.
Diane: Ich finde es nur schade, wenn Leute nicht merken, dass zumindest bei mir die Naivität etwas ist, das ich mir bewusst zu erhalten versuche. Ich höre es eben nicht gerne, wenn jemand sagt: Ihre Songs sind so schön fröhlich und leicht.
Klingt wie eine bewusste Entscheidung, nicht cool oder zynisch zu erscheinen. Judith: Als Künstlerin halte ich es manchmal schon für wichtig, mein Schwert zu schwingen, und da habe ich es schon immer wieder erlebt, dass Leute sagen, wenn sie mir gegenübersitzen: „Sag mal, du willst ja gar nicht weh tun!“ Und zwischen den Zeilen hört man: „Du bist eigentlich n Weichei und meinst die Sachen, die du sagst, gar nicht ernst!“
Popmusik wird oft nicht so richtig ernst genommen und gilt in den Medien als Nebensache. Ärgert euch das? Ihr verfolgt doch einen gewissen Anspruch. Judith: Musik war für mich persönlich eh nie etwas Identitätsstiftendes, im Sinne von Szene-Zugehörigkeit und so. Ich war mit meiner Musik immer sehr eigenbrötlerisch. Und ich finde das auch toll, dass wir nicht Teil einer Jugendkultur sind und das auch nicht sein müssen. Das gibt uns die Freiheit, zu machen, was wir wollen.
Trotzdem: Normalerweise werdet ihr doch nicht so ernst genommen. Es geht um Oberflächlichkeiten, während ihr euch als Künstlerinnen seht. Judith: Wir haben das Glück, dass wir oft sehr ernst genommen werden. Aber wenn wir zum Beispiel eine Radioreise machen: Da hat man erst einen Interviewer, der sich total auf einen einstellt und fragt, ob man als Kind gerne Ringelnatz gelesen hat. Und dann geht man über den Flur, und der nächste Interviewer sagt: „Wir haben uns gedacht, dass ihr hier mal ganz flott ins Mikro sagen könntet: die geilsten Hits von 1970 bis ’72!“ Da muss man erst sein Rückgrat wieder aufrichten und sich sagen: Jetzt muss ich wieder aufpassen!
Diane: Bei unserem allerersten Fernsehinterview mit den Lemonbabies wurden wir neben tausend anderen Fragen gefragt: „Und, was sind so eure Ziele? Mal so berühmt werden wie Michael Jackson?“ – und ich: „Hmm, so berühmt werden wie Michael Jackson? Nee, mal abgesehen davon, dass das utopisch ist, bla bla bla.“ Kurz danach lief der Beitrag, und der ging so: „Und die vier flippigen Mädchen aus Zehlendorf und Spandau haben große Pläne“ – O-Ton von mir: „So berühmt werden wie Michael Jackson!“ – Schnitt! Also merke: Wiederhole niemals eine doof gestellte Frage!
Wenn man ständig aufpassen muss, passiert genau das, worüber viele Arbeitnehmer klagen: Beruf und Privatleben sind nicht mehr voneinander zu trennen.
Diane: Ich sag’s mal so: Es gibt die ungeschminkte Diane, die zu Hause in dicken Wollsocken rumläuft – und im nächsten Moment sitzt sie am Telefon und gibt ein Interview. Da ist sie aber trotzdem noch die ungeschminkte Privatfrau.
Judith: Bei uns sind viele von denen, mit denen wir arbeiten, Leute, mit denen wir sowieso rumhängen. Auf der anderen Seite muss man aber lernen, Grenzen zu ziehen. Man kommt zum Beispiel von einem Festival zurück, hat drei Tage Zeit, bis es wieder losgeht, und man fragt sich ernsthaft: Darf ich jetzt eigentlich Freizeit haben?
Diane: In schwachen Momenten hat man dann wirklich dieses Gefühl: Hallo? Ich wollte doch nur meine Lieder schreiben! Andererseits macht es einen auch unempfindlicher gegenüber Kritik. Weil man weiß: Das muss einem ein anderer erst mal nachmachen, was man da auf die Beine gestellt hat. So kann man mit gerechtfertigter Kritik viel besser umgehen.
Judith: Mit ungerechtfertigter noch viel besser, weil man sich denkt: Haha, du hast Probleme! (lacht)