Spielt Skat und prügelt euch!
Das Internet hat das soziale Leben auf dem Land abgetötet. Wir brauchen wieder Orte, an denen man gemeinsam trinken, spielen und sich streiten kann, findet unser Kolumnist. Die Lösung: Die Dorfkneipen müssen zurückkehren
Ich möchte heute zu einem Thema schreiben, das mich schon seit Jahren umtreibt. Mit Freund und Regisseur Lars Jessen habe ich bereits einen Kurzfilm dazu gemacht. Es geht um das Krug-Sterben.
In den 80er-Jahren begingen viele Gemeinden in der norddeutschen Provinz eine kollektive Dummheit: Sie ließen ihre sozialen Begegnungsstätten fallen. Sie kümmerten sich immer weniger um ihre Dorfkrüge, Kneipen, Landdiscos, Bauernhausgalerien. Das neue Angebot des Privatfernsehens und einige Jahre später des Internets schien so umfassend ablenkend und erfüllend, dass zumindest theoretisch, ein persönliches Aufeinandertreffen mit Anderen nicht mehr nötig schien.
Das Ende der Skatrunden
Nach und nach lösten sich all die Skatrunden, Tanzgruppen, Saufzirkel, Stammtische auf. Und all die Jugendtreffs mit Sex, Musik und Prügeleien, sowie viele der Kunstbegegnungen und sozialen Initiativen. Es blieben leere Gebäude übrig. Ruinen des Sozialen.
Einige dieser Krüge standen noch jahrelang wartend herum, aber niemand wollte die unmoderne Arbeit der geselligen Versorgung auf dem Land übernehmen, jeden Abend hinter dem Tresen auf die immer weniger und älter werdenden Gäste zu warten.
Und so überließ man schließlich diese Plätze Hamburger Ärzten oder Rechtsanwälten, die sie umbauten und für alle Zeiten der Gesellschaft wegnahmen. Viel zu spät bemerkte man, dass es nun in den Gemeinden keinen Ort der Begegnung mehr gab, dass man sich freiwillig und unauflösbar in die Fänge des Privatfernsehens und des Netzes begeben hatte. Einen größeren Verlust kann es für eine Gemeinde nicht geben, als das Gemeinschaftliche zu verlieren, wozu wohnt man dann überhaupt noch zusammen?
Pionierprojekt an der Ostsee
Hier an der Ostsee, in der Holsteinischen Provinz, gibt es eine schöne alte Dorfkneipe, den „Gadendorfer Krug“, den Anfang der Achtziger der Maler Henning Rethmeier gekauft hat, um ihn als Atelier und Wohnung zu benutzen. Henning, der aus gesundheitlichen Gründen einen Großteil des Jahres im Süden verbringt, hat sich nun bereit erklärt, seinen Krug in die Hände einer kleinen Initiative zu übergeben. Die Panker Kultur, ich bin auch Mitglied, möchte dort ein kulturelles Zentrum für die Region bauen. Mit der zentralen Aufgabe, den alten Dorfkrug mit seinem wunderbaren großen Festsaal wieder aufleben zu lassen.
In diesem Festsaal fanden bis in die 80er-Jahre hinein alle sozialen Aktivitäten der umliegenden Dörfer statt, und ich persönlich hatte das Glück, dort zusammen mit meinem Freund Partyschaum und unserer Punkband „Public Enemy“ den ersten Bühnenauftritt unseres Lebens absolvieren zu können (ich schrieb darüber in meinem Roman „Dorfpunks“).
Förderung des Zusammenhalts
Nach einem Bericht im NDR-Fernsehen vor zwei Monaten meldeten sich aus dem ganzen Bundesland und darüber hinaus hunderte Menschen, die helfen wollten, bereit waren zu spenden oder selber mit Hand anzulegen. Und schon nach wenigen Monaten war ein Großteil des Gebäudes entrümpelt. In den vorderen Kneipenräumen konnten erste Treffen stattfinden. (Die eigentliche Renovierung liegt allerdings noch in der Zukunft.)
Voller Interesse und Enthusiasmus strömten die Menschen zusammen, um ihren alten Krug wieder auf die Beine zu stellen. Die Sehnsucht nach einem solchen Ort scheint allerorten mehr als deutlich. Wenn alles gut geht, können eventuell bereits im Herbst erste Lesungen und Konzerte stattfinden. Dann nimmt dieser soziale Ort, nach fast fünfzigjähriger Pause, seine Arbeit wieder auf.
Ich möchte Euch darum bitten, diese Arbeit zu unterstützen, oder selber ähnlich tätig zu werden. Ich glaube, dass man dem vielproklamierten „Auseinanderdriften der Gesellschaft“ durch die Erschaffung persönlicher Begegnungsmöglichkeiten entgegentreten muss. Durch Orte, die solche Treffs wahr werden lassen, die den sozialen Aspekt in den Gemeinden wieder trainieren. Und vor allem: den Spaß zusammen zu sein. Sei es bei Konzerten, Tanzabenden, Lesungen, Theaterabenden oder auch nur einem schönen Dorfbesäufnis mit abschließender Prügelei.
Immer noch besser als ein Abend vor Netflix.
PS: Wenn Ihr die Arbeit von Panker Kultur unterstützen wollt findet ihr eine Spendenmöglichkeit auf: pankerkultur.de