Spieldosensounds und Synthesizerstampfer von Bands wie Depeche Mode und New Order begründeten die Postmoderne
Auf Dauer sind zwei Plattenspieler und ein Mischpult interessanter als fünf Gitarrensaiten.“ (Neil Tennant)
1982 – England gähnte. Punk hatte abgedankt, und seine newwavigen Nachwehen waren über dem Atlantik abhanden gekommen. Aber die neue britische Mittelklasse, die es sich abgewöhnt hatte, Lachsbrötchen-Lunch oder Kaschmir-Eleganz als etwas Elitäres zu betrachten, hätte sowieso nichts mit dem wütenden Nihilismus respektive der düsteren Melancholie anfangen können. Draußen lag schließlich die schöne, neue Welt der Postmoderne – auch wenn die mit Vorsicht zu genießen war.
Aus dieser Grundstimmung entstand eine Musik, die man unter dem Titel Synthie-Pop deklarierte: campy, glamourös, intellektuell und von einer kühlen, klaren, futuristischen Ästhetik. Der Synthie-Pop war das Ende aller Unschuld: Nichts war mehr – nur – so, wie es schien, und vor allem war nichts mehr spontan. Bands wie Heaven 17, The Human League, New Order oder ABC und Spandau Ballet mögen in ihren fein ziselierten Songs permanent eine Schmerzgrenze zum Kitsch ausgelotet haben – gleichzeitig aber jonglierten sie mit Verweisen, Anspielungen und Zitaten der Pop-Geschichte. Kassenklingelnde Erfüllung des tanzsüchtigen Mainstream auf der einen, Historismus und Kontakthalten zum Dance-Underground auf der anderen Seite: Der Synthie-Pop war weit mehr als akkurater Seitenscheitel und blubbernde Beats aus dem Sequenzer.
Zudem verbarg sich hinter der optisch-rhythmischen Maskerade oft politischer Anspruch: Human League zitierten in „Seconds“ den Mord an JFK; „(We Don’t Need This) Fascist Groove Thang“ von Heaven 17 war vielleicht die politischste Single des britischen Pop. New Order (die mit ihrer Fusion von Rock und Dance ab 1985 initiierte, wofür Primal Scream und U2 später Innovationsehren zuteil wurden) dagegen mußten sich Faschismus-Vorwürfe gefallen lassen, weil sie sich nach der Armee Pol Pots benannt hatten: Die Rezeption des Synthie-Pops war alles andere als oberflächlich.
Das ganze kumulierte dann in den Pet Shop Boys. Neil Tennant und Chris Löwe bezogen sich musikalisch auf Kraftwerk, Disco und Hi-NRG und schufen so üppige, höchst tanzbare und gleichzeitig wehmütige Popsongs, die Grace Jones genauso hätte singen können wie Marlene Dietrich (Dusty Springfield tat es tatsächlich). Ihre Dance-Sensibilität verbanden die Pet Shop Boys mit ironischdistanzierter Reflexion über den Thatcherismus: „Let’s Make A Lot Of Money“!
Ahnlich wie bei der späteren Entwicklung in den Neunzigern ermöglichte der musiktechnische Fortschritt den Synthie-Pop erst wirklich: Mußten Tangerine Dream, Kraftwerk oder Pink Floyd fast wissenschaftliche Labors auf die Bühne schleppen, genügten Bands wie New Order und Yazoo Sequenzer, Drum-Machines und einige Keyboards (die man sich zur Not auch vor den Bauch binden konnte).
Bei der Technik und den Hits waren auch Depeche Mode lange vorne. 1980 als Rockband gegründet, stiegen sie bald auf elektronisches Equipment um und verkündeten auf dem Cover ihrer Debütplatte „Speak & Spelt“ das Plastik-Zeitalter, indem sie eine Ente in Zellophan verpackten. Nach dem Abgang von Vince Clarke änderten sie ihre drollige Spieldosenmusik in sadomasochistisch klappernde Industrieklänge wie auf „People Are People“. Von Massen geliebt und Kritikern geschmäht, überdauerten sie als einzige Synthie-Pop-Pioniere die Dekade.
„Are Friends Electric?“, fragte Gary Numan: Die Antwort darauf war klar. Tennants Zitat sollte sich für die Neunziger als prophetisch erweisen.