Spice – München, Schlachthof; Nationalgalerie – Hamburg, Markthalle; Sonic Youth – Paris, Elysées Montmartre
München, Schlachthof Es heißt ja, das sich Geschichte nicht wiederholt, aber in der Musik tut sie’s manchmal doch, und dann auch noch mit Lust und Kraft und Saft. Im Falle der Hannoveraner Funk- und Groove-Combo Spiee erwischte das Publikum im gut gefüllten Münchner Schlachthof eine derartige Überraschung: Wo das Debüt-Album „Fred’s Bowling Center“ der gerade mal zwei Jahre bestehenden Senkrechtstarter-Band noch durch die relative Gleichförmigkeit der Songs über längere Strecken ermüdend wirkt, macht der gepfefferte Live-Auftritt der Niedersachsen- Schotten von der ersten bis zur letzten Sekunde glockenhellwach. Der Saal ergibt sich jauchzend der fröhlich stampfenden Zeitreise in die Siebziger. Spiee sind natürlich ein Anachronismus, da hilft auch ein zur Schau gestellter Ziegenbart am Sänger-Kinn nichts. Die Band reproduziert, auch live, Soul und Funk so detailverliebt und werkgetreu nach den großen Vorbildern, daß man sich manchmal regelrecht einbilden kann, zum „originalen“ Sound auch noch das vertraute Knacken von Vinyl-Platten aus den Boxen kommen zu hören – was natürlich die musikalische Qualität nicht schmälern muß. Und die wird bis zum Oberklasse-Niveau getrieben, vor allem in den Parts von Sänger Martin Bettinghaus: Der kann sich sogar die Nase zuhalten und hat dabei immer noch ein solches Volumen in der Stimme, daß die Mädels Gänsehaut kriegen. Was hat man nun erlebt bei Spiee? Sicher nicht die Musik, bei der der Zeitgeist den Salto mortale macht. Darum würde sich die Band wohl auch einen Dreck scheren. Aber Spiee geben die beruhigende Gewißheit weiter, daß Musik kein Verfallsdatum hat. Am Schluß johlt der ganze Saal im Refrain die simpelste aller Funk-Botschaften: „Be together!“ Michael Grill NATIONALGALERIE Als deutschsingend ernst zu nehmende (und auch genommene) Band aus Hamburg nach landesweitem Beifall dann auch in Hamburg selbst zu bestehen, ist mit der Führerscheinprüfung gleichzusetzen: Fahren (und also: spielen) sollte man bereits vorher können, wenn die Prüfung (der Auftritt) dann aber mißlingt, tritt ein Legitimations-Engpaß ein. Dann muß man nachsitzen. Vor einem Jahr scheiterten Blumfeld in der Markthalle am hohen Anspruch und am Singen vor Mitbewohnern und Ex-Kommilitonen. Zu gewinnen gab es nichts mehr, nur mußte der Auftritt trotzdem über die Bühne gebracht werden. Übernervös wie Kühe auf dem Weg zum Schlachthof war die Nationalgalerie beim Auftritt in heimischer Halle. Für anständigen Rock aber sind immer Ohren da. Und natürlich auch Beine zum Tanzen und Arme zum Klatschen und Münder zum Jubilieren und Singen. So kam es! Sänger Niels Frevert konnte seiner Band Glück gar nicht fassen. Dafür aber den Mikrophonständer, seine Gitarre und seine Haare. Daran zerrte er dann auch ständig. Dabei gab es nach einigen Takten wirklich keinen Grund mehr, sich um die Rezeption zu sorgen: Gut plazierte Rockriffs, gekonnt eingepaßter Gesang und ein amüsantes Bühnengehoppel machten Spaß und Bedenken gegenstandslos, so daß die Band für Hamburger Deutschpop-Verhältnisse gar ins Dreiste abdriftete und The Cure coverte. Als ironisches Lamento taugt dies nicht mehr, als letzte Konsequenz einer Band jedoch, die ohnehin noch nie der „Hamburger Schule“ zuzuordnen war, hat so etwas Größe. Und, wir haben es alle gehört, eine junge Dame rief mehrere Male „Du bist sexy!“ in Richtung Bühne. Wie gesagt, in Hamburg. Benjamin v. Stuckrad-Barre SONIC YOUTH Paris, Elys£es Montmartre In der Ruhe liegt die Kraft Daß sich an diesem Tag die „International Herald Tribüne“ gewundert hatte, warum die Pariser noch sorgenfrei Metro fahren und auch, daß gerade alle Welt zornig auf Frankreich blickt, kümmert an diesem Abend keinen. Kim Gordon, Thurston Moore, Lee Ranaldo und Steve Shelley lieben Paris. Hier regiert die Kultur, meinen sie, hier wollen Sonic Youth auf eigenen Wunsch in einem einmaligen Konzert ihr neues Album „Washing Machine“ auf der Bühne probieren. In aller Stille beginnt die Soiree. Barde Beck klampft einsam zur Einstimmung, doch allzu sanft verödet er im Tumult der ausverkauften Halle. Seine subversiven Zwischenansagen versteht hier sowieso keiner. Die Hauptattraktion gibt sich plakativer. „Das ist ein Song gegen Atomversuche“, weiß Moore zu einem neuen Stück zu sagen. Dafür gibt es Applaus – allerdings in Maßen. Hier ist kein Ort für große Gefühlsausbrüche: Sonic Youth spielen die falsche Musik dazu. Frühere Lärmattacken, für die die New Yorker lange die allgemeine Einschätzung ertragen mußten, Erbväter der Alternativ-Evolution zu sein, sind heute nur noch Beiwerk. Rhythmisch statisch und fast meditativ breitet sich eine Stunde ein breiter Sound-Teppich über die Pariser Säulenhalle. Die Show spielt sich im Kopf ab: Seltsam entrückt wirken Sonic Youth auf der Bühne, als wären sie auf Zelluloid gebannt. Gemeinsame Sache mit dem Publikum zu machen ist dabei nicht ihr Ding. Trotz Feedback-Chaos und Schmerzgrenze im Ohr: Hier passiert nichts zufällig. Und wenn Kim Gordon aus Versehen ins Hüpfen gerät, sprengt sie dabei fast den eigenen Rahmen. Das einzige Zugeständnis an herrschende Konventionen: Das Schlußlicht bildet ein Hit „Teenage Riot“, Sonic Youth zum Mitgrölen. Martina Wimmer