SPD STATT LABOUR

Irgendwo in der Oberpfalz wird der Ingolstädter Perrecy nach einem seiner Konzerte angesprochen. Perrecy ist groß und sehr athletisch gebaut. Die Haare trägt er wie Morrissey. Und auch das Gesicht, so kantig, so hart, als könnte man damit Holz spalten, als würde Luft sich daran stoßen. Markant könnte man auch sagen, das würde aber nicht wirklich dieses Gesicht begreifen. So perfekt rasiert. Der Typ, der ihn anspricht, ist aber noch größer, jetzt nicht athletischer, aber dafür dicker. Mit einem breiten Pfälzerisch kommt die Frage: „Bist du der mit dem zweigeschoss’gen Bus?“ Perrecy überlegt jetzt, was er sagen soll. Er schluckt und sagt ja, als er in die Augen des angetrunkenen Riesen schaut, der in seiner rechten einen Bierkrug hält. „Ja, der bin ich.“ – „Super, ich bin eigentlich hergekommen, um dir ein paar auf die Fresse zu hauen. Aber du bist gut.“

Mit seiner Band interpretiert Perrecy Songs von Morrissey und den Smiths mit zwei E-Ukulelen, Bass und Schlagzeug in deutschen Versionen. Damit hat er es schon ins Vorprogramm einer Tomte-Tour geschafft. Thees Uhlmann ist ein Fan von ihm. So einer wie Thees muss Perrecys Zeilen einfach lieben:“Und wenn ein zweigeschoss’ger Bus/ fährt uns zwei zu Mus/Zu sterben mit Dir/ist so ein himmlischer Exitus.“

Da ist diese Parallelität von Perrecy und Morrissey. Morrissey, der Sohn irischer Katholiken. Der Engländer, in dem das irische Blut der Eltern fließt. Perrecy, der in Hamburg Geborene, der vor acht Jahren nach Bayern zieht. Der zum Bayern geworden ist, aber sein hanseatisches Inneres nicht verleugnen kann. „Ich träum‘ von ’ner Zeit, wenn Bayern sich mit Ekel wegdreht von der CSU und SPD/ und bei dem Namen Franz Josef Strauß reihert.“ Sicher, man kommt nicht umhin, diese Art von Sprache ein wenig kindlich zu finden. Aber in ihrer Naivität und in der Übertragung der Verhältnisse, Labour und Tories zu SPD und CSU, Oliver Cromwell zu Franz Josef Strauß, offenbart sich ein großer Genius, der nur durch so eine Schlichtheit zum Tragen kommt. Die reine Übersetzung wird von der eigenständigen Dichtung überflügelt.

Mit dem Auto holt Perrecy einen in Ingolstadt vom Bahnhof ab. Die Stadt hat 128.000 Einwohner, der Bahnhof zwei Aufpasser in Bahn-Uniformen mit Schlagstöcken, die sich demonstrativ an denen abstützen. Ein paar Säufer sitzen davor und stoßen immer auf die Deutsche Bahn an. Jedes Mal, wenn ein Zug einfährt, stoßen sie an und rufen: „Vorsicht bei der Einfahrt. Zwei Pils auf Gleis 3.“ Und wenn er dann wieder wegfährt, rufen sie: „Achtung! Achtung!“ Ein paar Türken trinken Kaffee und rauchen Zigaretten aus einem anderen Land. Ein ganz guter Empfang von der deutschen Großstadt mit der niedrigsten Arbeitslosenquote. Audi verteilt die Arbeitsplätze hier wie Freibier am Oktoberfest.

Wir laufen durch die Altstadt. Kleine Häuser mit Giebeln. Viele Kirchen. Ein Lama vor einem Wanderzirkus. Der Himmel ist blau. Da wurden die Illuminaten gegründet. Hohe Schule heißt das Gebäude, das früher mal die Universität war. Heute ist dort eine Gaststätte, und in der alten Mensa kann man Bier trinken. Dort drüben ist das Kreuztor. Das Wahrzeichen der Stadt. So ein Tor in der Stadtmauer mit Türmchen.

Oben drauf ist ein Halbmond. Niemand weiß, wie der da hingekommen ist. Ingolstadt ist eine Stadt, in der es lauter Dinge gibt, von denen keiner weiß, wie die dort hingekommen sind. Am Münster ist auch eine Marienstatue mit schwangerem Bauch.

Wir laufen also durch das Münster. In einem Glaskasten ist eine Krippenszene mit den Drei Heiligen Königen aufgebaut. Perrecy erzählt von seiner Grundschule. Das war in Hamburg. Er hatte eine Direktorin, die lebte mit ihrer Zwillingsschwester zusammen. Das Fräulein Schwere war geistig noch im BDM, meint er. Er hatte sie im Rechnen und in Religion. Und Fräulein Schwere hat das damals so erzählt. Perrecy imitiert die dünne Stimme einer alten Dame. „Der dritte der Heiligen Könige ist ja ein Neger, liebe Kinder.“ Neger hat die gesagt, wirklich. Das war damals so. Die Könige seien zum Jesuskind gegangen und hätten es gesegnet und dabei ihre Hände aufgelegt. „Und deswegen, liebe Kinder, sind bis heute die Handinnenflächen der Neger weiß.“ Und wir schauen uns an und wissen nicht, ob wir lachen oder weinen sollen. „Hammerhart!“, sagt Perrecy wieder mit seiner Stimme, „Wenn du das in der dritten Klasse erzählt bekommst „

Viel mehr wissen wir über Perrecy aber nicht. Mitte 40 ist er. In Hamburg geboren. Er will lieber seine Musik sprechen lassen. Jedenfalls kommt er von einem Morrissey-Konzert nach Hause. Vor sieben Jahren oder so. Er hat damals schon eine Ukulele, weil er Reggae-Songs auf Deutsch nachspielt. Reggae, findet Perrecy, ist nämlich die stumpfeste und dümmste Musik, die jemals erfunden wurde, textlich also. Nach dem Morrissey-Konzert nimmt er sich die Ukulele und durch Zufall greift er Akkorde eines Morrissey-Stücks. Er beginnt also, Smiths- und Morrissey-Songs ins Deutsche zu übertragen. Diese Musik hat er immer geliebt. „Morrissey ist ein Märtyrer für sein eigenes Leben. Ich bewundere ihn dafür, dass er dieses Abtrünnige benutzt, um Kunst zu schaffen.“

Perrecy ist kein Schauspieler. Er meint und lebt das alles. Das erste Stück, das er aufnimmt, heißt „Der Erste der Jungs, der starb“. Beim zweiten, „Preussisch Blut, Bayerisch Herz“ fällt er in ein Loch der Bedeutungslosigkeit. „Warum soll ich mich hinstellen und den Leuten erklären, wie es ist, in England aufzuwachsen?“ Nach einigen Tagen hat er die Idee, die Songs nach Bayern zu verlegen. Seine Band besetzt er mit Musikern der Gruppe Slut. Er geht zu einem Friseur mit einem Bild von Morrissey. Er nimmt eine ganze Platte auf, die er „Du bist das Opfer“ nennt. Nach „You Are The Quarry“. Seitdem heißt der Mann, dessen Namen wir nicht kennen, Perrecy, seitdem ist Panik in den Straßen von München und Panik in den Straßen von Ingolstadt.

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