Southern Seelchen
Chan Marshall alias Cat Power haßt Interviews und spricht lieber über innere Befindlichkeiten als über ihre Musik
Natürlich könnte man mit Chan Marshall alias Cat Power theoretisch ein konventionelles Musikjournalisten-Interview führen, über Produzenten, Musiker und künstlerische Ideale. Immerhin hat die eingekehrte Indie-Heldin gerade eine Platte in den legendären „Ardent Studios“ zu Memphis aufgenommen, die ihr zerbrechlich eigenbrötlerisches Songwriting mit einem ganz traditionellen southern soimd vermengt. Ein Teil der Rhythmusgruppe von Al Green spielt die Playbacks, und heraus kommt eine in Zeitlupe schlurfende Musik, in der Cat Power besser zum Vorschein kommt denn je: Die Wurzeln der im Süden der USA aufgewachsenen Sängerin hatte man auch schon in den brüchigen ersten, z.B. mit Sonic Youth-Trommler Steve Shelley aufgenommenen Platten gehört, doch sie waren verdeckt von der Jugend, dem Klang New Yorks und einem feminin intuitiven Stil, wie ihn viele Frauen damals gerade entwickelten. Man könnte über so etwas reden! Und kann es doch nicht.
Denn Chan Marshall haßt derartige Gespräche. Irgendwie drängt da etwas im Inneren dieser nach außen eher schlichten, fast bürgerlich wirkenden Frau, die ihre Haare selbst schneidet und sich recht unauffällig kleidet, aber innerlich ein ganz und gar unkonventionelles Wesen ist. Marshall will nicht im Restaurant irgendeines Hotels in London sitzen, um „Pressearbeit“ zu machen. Sie habe gekämpft, um nicht mit der Presse sprechen zu müssen, jedoch vergeblich, und nun zahle sie den Preis – mit Übermüdung, Einsamkeit und einem generellen Gefühl des Verlorenseins. Gestern Nacht, in einem Moment der totalen Erschöpfung, habe sie durch Zufall „Rosemary’s Baby“ im TV gesehen und sich in der Titelheldin wiedererkannt, die verzweifelt versucht, für ihre Not Gehör zu finden und darüber langsam in den Wahnsinn abgleitet. Marshall verliert sich für eine Weile in einer Assoziation über Gott und den Teufel, aber so recht verstehen kann man das nicht. Nicht, daß Marshall selbst dem Wahnsinn nah ist; sie spricht von ihrer Karriere mit dem Ton einer Managerin, erzählt von wohl überlegten Immobilienkäufen und Langzeitplänen und nimmt sich viel Zeit, ihr Gegenüber möglichst gut kennenzulernen. Marshall erzählt von einer zerbrochenen Beziehung, an der sie noch sehr leide, von verlorenen Freunden und dem Fluch des ewigen Reisens, der ihr ZuSehens mehr zu schaffen mache. Und seziert dabei die vor ihr ausgebreitete Papiertischdecke mit dem Eßbesteck – hier ist alles offen, jede Emotion kommt aufs Tapet, nichts wird versteckt. „Ich bin nicht mehr 20. Ich muß mir überlegen, wie es von hier weitergeht. Ich war seit Jahren schon nicht mehr länger als vier Wochen an einem Ort. Ich muß irgendwo ankommen, verdammt.“ Ein kleiner Einschub ist so etwas, mehr nicht. Besser, wir reden übers Essen, über New York nach Giuliani, die. Liebe als solche und lauter private Kleinigkeiten. Nur nicht abgleiten ins faktische Promo-Gespräch!
Man hört ja immer davon, daß Marshall auf der Bühne schon einmal das Handtuch wirft und nur durch gutes Zureden zum Weitersingen motiviert werden kann, und auch über den Mittagstisch ist diese fragile Intensität spürbar. Aber das Erstaunliche ist die kuriose Balance aus sonderbarer, offenbar recht leidvoller Introspektion und einer durchaus lebensnahen, überaus freundlichen Bodenständigkeit.
Dieses innere Duell ist eine deutliche Entsprechung zu „The Greatest“, wo ja eben solche Welten kollidieren und sich übrigens – bei aller Schönheit auch etwas fremd bleiben. „Es war der natürliche Schritt, zurück nach Memphis zu gehen“, gelingt dann doch noch eine Unterredung über die Musik. „Ich habe immer gespürt, irgendwann die Dinge zusammenführen zu müssen.“ Natürlich war es übrigens etwas Besonderes, mit lebenden Legenden wie Mabon „Teenie“ Hodges, dessen Bruder Leroy (beide einst in der Hi Rhythm Band) sowie dem Booker T.-Trommler Steve Potts den klassischen Memphis-Sound nachzustellen, Bläsersätze und vintage twang inklusive. „Zuerst war Teenie noch distanziert und witzelte etwas über meine unkonventionellen Akkorde, aber als die Sessions dann nicht gleich so klappten, wurde er immer stiller und brabbelte: .Verdammt, warum ist es nur so schwer, diese Songs zu spielen?!‘ Für mich war das ein riesiges Lob.“