South By Southwest
Das Mammut-Programm von mehr als 800 Acts an fünf langen Tagen und noch längeren Nächten ängstigt nicht nur den Novizen des jährlichen Band-Auftriebs zur South By Southwest Music & Media Conference in der texanischen Kapitale. Auch der erfahrenste Festival-Besucher leidet unter der Qual der Wahl und sieht sich ständig neuen Zerreißproben ausgesetzt. Alvin Crow oder Asleep At The Wheel, Nick Löwe oder Richard Davies, Jerry Jeff Walker oder Chuck Prophet, für wen auch immer man sich entscheidet, es ist stets eine Einscheidung gegen einen anderen Favoriten. Von den zahlreichen Entdeckungen zu schweigen, die eher en passant anfallen, in diesem Jahr: The Jivebombers, Reckless Kelly und Kim Lenz 8C Her Jaguars, sehr junge Bands noch, aber Bands mit Zukunft Die genuinen Höhepunkte des Musik-Marathons lieferten freilich die Veteranen, allen vorn Ray Price.
Einst, zu Beginn der Fifties, hatte er Hank Williams beerbt, dessen Backing Band, die Drifting Cowboys, ebenso übernommen wie Hanks Witwe Audrey. Heite steht der mittlerweile 72jährige Country-Pionier auf der Bühne wie der Botschafter einer besseren, beinahe verschütteten Welt, einer Welt ohne Hype und Hintersinn, einer Welt, in der ein Sänger seine Songs nur mittels Stimme zum Leben erweckte, in der Show nur gebraucht wurde, um Mangel an Talent zu kaschieren. Reglos steht Price 75 Minuten lang da, läßt nur die Fingerspitzen dem Takt folgen und überläßt es dem Schmelz seiner Stimmbänder, das Publikum zu verzaubern. Wer ein Hochamt des Honky Tonk erwartet hatte, wird indes enttäuscht. Statt der patentierten Twin-Fiddles seiner Cherokee Cowboys präsentiert sich mit den Streichern des Austin Symphony Orchestra eine geschlossene Fiddle-Front, deren kollektiver Bogenstrich einschläfernd wirkt, zumindest auf jene Zuhörer, die sich wohl nur aus Neugier ins „Stubbs“ verirrten. Die anderen freilich lauschen gebannt, und Price führt sie durch sein brillantes Repertoire: Bob Wills‘ „San Antone Rose“, Willie Nelsons „Night Life“, Kris Kristoffersons „For The Good Times“ und, als Zugabe, Hank Williams‘ „Mansion On The Hill“. Der Western Swing ist gebremst, den Balladen fehlt ein wenig der Schwung, mit „Spanish Eyes“ findet gar eine indiskutable Schnulze Berücksichtigung, doch sind derlei Einwände müßig. Als würde man Frank Sinatra vorwerfen, nicht mehr die Klasse zu haben wie anno 55. Ray Noble Price (so heißt er wirklich) erteilt eine Lehrstunde in Eleganz und Elegie, in Stolz und Standfestigkeit. Wer einen Stetson trägt, möge ihn ziehen.
Zweites Highlight und dabei nicht einmal Teil des offiziellen Programms sind die hochexklusiven, frühabendlichen Singer-Songwriter-Runden auf einer winzigen Bühne hinter der Küche des „Las Manitas“. Kaum mehr als 50 geladene Gäste finden hier Platz, Künstler hauptsächlich und ein paar Journalisten. Doch was hier in familiärer, lockerer Atmosphäre geboten wird, läßt das Herz des Texas-Aficionados höher und schneller schlagen. Der erste Abend mit Rosie Flores, Joe Ely, Doug Sahm und Rick Trevino ist eine Tex-Mex-Fete mit Bajo Sexto, Akkordeon, Fiddle und Gitarren, mit dem nie um einen komischen Kommentar verlegenen Sir Doug als MC und Rosie Flores, ganz ungewohnt mit einem alten Lullaby, ab mexikanische Mama. Anderntags spielen sich in derselben intimen Abgeschiedenheit Nanci Griffith, Guy Clark, David Ball und Rodney Crowell zweieinhalb Stunden lang die Songbälle zu, letzterer mit neuem Material in bestechender Form, erstere mit einem Song von Sandy Denny etwas überfordert, Ball konzentriert und straight, Clark animiert und amüsant, gleich vom ersten Song an: „I wish I was in Austin in the Chili Parlor Bar™“
Sonntag abend, so will es die Tradition, ist es an Alejandro Escovedo und seinem fabelhaften Orchestra. die manischen Tage ausklingen zu lassen. Escovedo zelebriert das Farewell mit der ihm eigenen Souveränität und beendet sein Set mit einer exquisiten Version von Mick Jaggers „Evening Gown“: „I can still paint this town…“