„Sounds Of The Univerese“: 12 treffende Ansichten zu Depeche Mode
Die neue Depeche Mode-Platte "Sounds Of The Univererse" wird auch von den härtesten Fans mit eher verhaltener Gefühlslage aufgenommen. Doch Depeche Mode sind so einfach nicht zu greifen - denkt sich ein kluger Autor und kommentiert das Phänomen treffend.
Twelve Memories, und beinahe jede trifft ins Ziel – wir sind begeistert und veröffentlichen den Text mit freundlicher Genehmigung des Autors Klingeltonk. Und ja: Viel Spaß!
1) Sprich und buchstabier. Seit fünfundzwanzig Jahren finde ich Depeche Mode nicht mehr so gut. Ich müßte damit einer der ältesten Ex-Fans sein. Eigentlich gehört man schon zu den schrulligen Altkatholiken, wenn man nichts nach VIOLATOR gelten läßt. Mich hatte „People Are People“ verstört, im März 1984, durch diesen komischen metallischen Sound. Das mochte ich nicht so gern, und deshalb habe ich mir SOME GREAT REWARD erst gar nicht mehr gekauft. Fehler.
2) Ein zerbrochener Rahmen. Mein Gott, das darf doch nicht wahr sein, fünfundzwanzig Jahre. Ich muß ganz ehrlich sagen, daß ich immer häufiger erschrocken bin, wie lange Dinge her sein können, an die ich mich noch ganz gut erinnern kann. Die Schlacht im Teutoburger Wald, die Krönung Karls des Grossen und dann kamen gleich Depeche Mode. Bei der ersten Platte noch mit Gustav Mahler an den Trommeln.
3) Bauzeit, wieder. In den amazon-Rezensionen, in den Foren und auf den Seiten erzählen sich die Fans, wie oft man sich ein Lied von der neuen Platte anhören muß, bis es einem gefällt, und wie die Platte so einzuordnen ist, und daß die anderen wieder zu himmelhochjauchzend und warum die Kritiker so kritisch sind, und so weiter usw. usf. Die andere Seite ist, daß es zu viel Geschwätz in diesem Netz, auf dieser Welt gibt (welches ich hiermit noch vermehre). Wir leben nicht mehr mit den Kunstwerken im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Wir leben im Zeitalter der technischen Geschwätzigkeit über unsere eigenen künstlichen Reproduktionen. Chat.
4) Irgendeine große Belohnung. Depeche Mode ist der seltene Fall, dass eine Band sowohl Single-Band als auch Album-Band ist. So kann man, je nach Temperament und eigenen Fähigkeiten, zu den Single-Kompilationen greifen oder sich durch die Alben hören. Bei den Alben sind SOME GREAT REWARD und VIOLATOR zwingend. Die ersten drei Platten sind eher für Historiker interessant, der Rest ist Geschmackssache. SONGS OF FAITH AND DEVOTION kommt auch noch aufs Stockerl, finde ich.
5) Schwarzes Feiern. Ich könnte mein ganzes Leben entlang der Depeche-Mode-Alben erzählen. Allerdings könnte ich das auch entlang der BMW-Modellwechsel, zu den Fußball-Weltmeisterschaften, anläßlich der Frankfurter Buchmessen, documentas oder Bundesgartenschauen. Völlig beliebig, fast: 1981, 1982, 1983, 1984, 1986, 1987, 1990, 1993, 1997, 2001, 2005, 2009. Also die letzten vier Platten immer im Jahr vor der Fußball-WM.
6) Musik für die Massen. Depeche Mode und die Pet Shop Boys haben überlebt. Das hat sogar der Rolling Stone offiziell festgestellt, aber sich auch nicht getraut, so eine Beatles-vs.-Stones-Sache daraus zu machen, was auch völliger Blödsinn wäre. Die Pet Shop Boys mochte ich gar nicht so besonders, trotzdem habe ich fast alle ihrer Platten. Das ist das, was ich früher einmal unter „wohlhabend“ mir vorgestellt habe: auch von den mittelguten Bands die Platten zu besitzen. Ich mochte die Ironie bei den Pet Shop Boys nicht beziehungsweise ich habe sie bis heute nicht verstanden. Depeche Mode sind ironiefrei, immerhin.
7) Gewalttäter. Ich finde, es wird kritisch, wenn das Gesamtwerk eines Künstlers oder einer Band das Dutzend Alben übersteigt. Dann wird es unübersichtlich, halt, nein, das meine ich jetzt gar nicht, ich meine Geschwätzigkeit. Diese Geschwätzigkeit liegt aber nicht unbedingt beim Künstler selbst oder in seinen Werken, sondern darin, weil so unanständig viel Zeit vergangen ist. Beispiele: Bob Dylan, Neil Young oder Frank Zappa. Also, ein Bob Dylan, der hat doch jetzt wirklich schon jede Straße in den USA weggesungen, inklusive Sackgassen und Gewerbegebiete.
8) Lieder vom Glauben und Unterordnung. Ich quäle mich weiter mit der Liste Jünger-als-Depeche-Mode-und-trotzdem-seit-Äonen-zu-Staub-verfallen: The Smiths, Prince, Pixies, Nirvana, Blur, ich hör schön auf.
9) Drüber. Den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören finden. Einige böse Beispiele, wo es nicht geklappt hat: Queen nach 1980, Led Zeppelin nach 1975, The Cure nach 1992, U2 direkt nach der Gründung. Das schlechte Spätwerk kontaminiert das großartige Frühwerk, so eine Art Hofmannsthal-Effekt, dem man offenbar nur durch Tod entkommt. Oder es so machen wie Scott Walker: über Mussolinis Geliebte singen und dazu auf Schweinehälften herumkloppen. Darauf sind auch die Pet Shop Boys nicht gekommen.
10) Aufreger. Dave Gahan wird seit 10 Jahren immer jünger, Martin Gore sieht mittlerweile alt aus. Das war auch schon mal andersherum. Gekreuzt haben sich ihre Alter ungefähr bei EXCITER. Noch einmal 10 Jahre, dann hat sich Martin Gore in einen sehr späten Neil Diamond verwandelt und Dave Gahan in Bill Kaulitz. Übrigens ist EXCITER ein spitzes, unangenehmes Album, als würde man auf Alupapier beißen. Und es enthält ausgerechnet mit Goodnight Lovers das wärmste und fluffigste Werk von DM überhaupt, ein Lied wie Granini Pfirsichsaft.
11) Den Engel spielen. Vor Jahren einmal hörte ich zufällig WDR Eins Live und dort einen kleinen Wettbewerb, eine Strophe aus Somebody von Depeche Mode live vorzusingen. Ein Mädchen rief an, sang es herunter und es war wirklich bezaubernd, und dazu muß man sagen, daß Somebody außerordentlich lange Strophen hat, 20 Zeilen, was locker eineinhalb Minuten dauerte, und sie sang es wie ein Kirchenlied, but at the end of it all she will understand me. Sie hat natürlich gewonnen.
12) Geräusche des Universums. Nicht nur die alten Griechen, sondern noch Kepler nahm an, daß die auf ihren Bahnen umhersausenden Planeten laute Geräusche machen, und das Geheimnis war, daß diese Geräusche Musik sind. Tröstlich ist, daß sie das schon immer gemacht haben und machen werden, auch wenn keiner mehr zuhört. Das neue Album von Depeche Mode erscheint am 17. April.