Sounds: mit Phantom Orchard Orchestra, Spunk und Jenny Hval
Der Blues scheint verflogen, es bleiben die Sounds: unsere monatliche Kolumne von Redakteur Jens Balzer. Im Monat Mai mit: Phantom Orchard Orchestra, Spunk und Jenny Hval
Des Öfteren ist in den vergangenen Monaten an dieser Stelle von den neuen Voice Processing Girls die Rede gewesen: Von Grimes über Julia Holter bis zu Channey Leanagh von Poliça hat eine Vielzahl junger Künstlerinnen die Bühne betreten, deren wesentliches Instrument die eigene, elektronisch manipulierte Stimme ist. Gewissermaßen die Mutter dieses Trends ist die norwegische Sängerin und Komponistin Maja Ratkje:
Schon 2002 entfesselte sie auf ihrem fabelhaften Solodebüt „ Voice“ eine Polyphonie aus lieblichen Harmonien und knirschendem Krach und benutzte zur Klangerzeugung ausschließlich die eigene Stimme. Ein Album, das man auch nach mehr als zehn Jahren immer noch gerne hört: So wandlungsreich schön ist die Stimme von Ratkje, beim Kreischen und Schreien ebenso wie beim elegischen Liedgesang, beim paramusikalischen Knurren und Summen wie beim ätherisch geflüsterten Monolog.
In den verschiedensten Ensembles hat Ratkje seither musiziert. Im Duo Fe-Mail veröffentlicht sie mit der Hornistin Hild Sofie Tjaford flotte Industrial-Platten, die zum Beispiel „Syklubb fra Hælvete“ heißen: Nähklub aus der Hölle. Im Phantom Orchard Orchestra musizieren die beiden gemeinsam mit der New Yorker Extremharfenistin Zeena Parkins und der Schlagzeugerin Ikue Mori: Unter dem Titel „Trouble In Paradise“ (Tzadik) ist gerade eine sehr schöne Platte mit konzertanten Gruppenimprovisationen erschienen, in denen insbesondere die Stimme von Ratkje und das schroffe Geharfe von Parkins interessante Disharmonien erzeugen.
Das Hauptprojekt von Tjaford und Ratkje ist aber das – nach eigener Einschätzung – anarchofeministische Kollektiv Spunk; das Wort „Spunk“ wurde bekanntlich von Astrid Lindgren als Ausdruck für nichts Bestimmtes erfunden. In der Sechs-CD-Box „Das wohltemperierte Spunk“ , die auf Ratkjes Osloer Stamm-Label Rune Grammofon erschienen ist, hört man Mitschnitte von zwölf Spunk-Konzerten, die vom 20.1.2001 bis zum 20.12.2012 jeweils am 20. Tag jenes Monats stattfanden, dessen Bezifferung der aktuellen Jahreszahl entsprach. Dabei widmete sich jedes dieser Konzerte einem jener zwölf Halbtonschritte, in die sich die Oktave in der sogenannten gleichschwebenden Stimmung aufteilt. Eine gute Idee! Noch besser ist nur, dass man dem Krach gar nicht anhört, dass ein Konzept dahintersteckt.
Ebenfalls auf Rune Grammofon ist jetzt „Innocence Is Kinky“ herausgekommen, das zweite Album von Jenny Hval – einer jungen norwegischen Sängerin, die zweifellos die tollste neue Entdeckung ist, die man in dieser Saison machen kann. Ihre Karriere hat Hval als Ein-Frau-Folktronica-Band unter dem Namen Rockettothesky begonnen; unter ihrem bürgerlichen Namen singt sie nun mit hoher, enorm wandlungsreicher, manchmal binnen Sekunden zwischen den verschiedensten Registern wechselnder Stimme von voyeuristischen Sexfantasien, ödipalen Komplexen und Androgynität unter Amphibien.
Produziert wurde die Platte von John Parish, den man ansonsten vor allem als treuen Mitstreiter von PJ Harvey kennt; er spielt auch Gitarre, Banjo, Posaune und „detuned drums“. So kann man Anklänge an den Harvey’schen Blues hier ebenso hören wie den Einfluss der neuesten Laptop-Avantgarde, etwa von Laurel Halo. Grandios und schmerzhaft, wie Jenny Hval etwa in dem Song „Give Me That Sound“ ihre Kopfstimme über fies fiepende Gitarrenfeedbacks legt, bis man nicht mehr weiß, welches Störgeräusch welcher Quelle entspringt: „Ich will“, bekundet sie an dieser Stelle, „den Klang einer zerreißenden Jungfernhaut hören.“
Diesmal vorgestellt:
Phanton Orchard Orchestra – „Trouble in Paradise “: *** 1/2
Spunk – „Das wohltemperierte Spunk“: *** 1/2
Jenny Hval – „Innocence Is Kinky“: **** 1/2