Sounds: Jessie Ware und SBTRKT
Der Blues scheint verflogen, es bleiben die Sounds: unsere monatliche Kolumne von Redakteur Jens Balzer. Im Oktober mit: Jessie Ware und SBTRKT
Diesmal vorgestellt:
Jessie Ware – Tough Love ****
SBTRKT – Wonder Where We Land ****1/2
Der Londoner Sängerin Jessie Ware gelang nach ersten Gastauftritten bei SBTRKT und dem geistesverwandten Dubstep-Produzenten The Joker eine erstaunliche Solokarriere; ihr Albumdebüt „Devotion“ verband Ende 2012 die musikalischen Errungenschaften der aktuellen Clubmusik-Avantgarde mit einem eleganten, in seiner Distanziertheit umso anziehender wirkenden Soulgesang. Gegen den grassierenden Retrotrend setzte sie damit gewissermaßen die etwas verschüttete soul-futuristische Tradition von Massive Attack und Soul II Soul fort. Auf ihrem zweiten Album „Tough Love“ ist der stilistische Rahmen, ähnlich wie bei SBTRKT, noch einmal mit allerlei Bezügen auf den amerikanischen R&B erweitert beziehungsweise auf den – wie man zur Zeit so sagt – Post-R&B. Am ehesten schließt das Eröffnungs- und Titelstück mit seiner kargen Instrumentierung und den wohlig-weh drunter wobbelnden Bässen an die Ästhetik der Vorgängerplatte an; ansonsten hat Ware sich erfolgreich um eine etwas wärmere und dunklere Tönung der Stimme bemüht und ihre Arrangements von Zeitgenossen wie dem Katy-Perry-Produzenten Benny Blanco pastoser auspinseln lassen. Manche Songs – wie etwa das Duett mit dem Charts-Schmachter Miguel, „You & I (Forever)“ – unterwerfen sich mit überzüchtetem Midtempo-Schlagzeug und hymnischen Mitsing-Refrains etwas zu geschmeidig den Gepflogenheiten des gemeinen Radiopop; was aber nichts daran ändert, dass man ihre melodischen Leitmotive schon nach dem ersten Hören nicht mehr aus dem Ohr kriegen kann. (Island/Universal)
Ein außerirdischer Astronaut will die Erde erobern! Doch gedenkt er den Bewohnern des Planeten keine Gewalt anzutun; lieber möchte er die Menschen durch Freundlichkeit überzeugen und durch seine Sanftheit bezirzen. Der zärtlichste Raumfahrer des aktuellen elektronischen Pop heißt Aaron Jerome, kommt aus London und veröffentlicht seine Musik unter dem Namen SBTRKT. Sein gleichnamiges Debütalbum aus dem Jahr 2011 nutzte die rhythmischen Innovationen der Dubstep-Musik, um daraus melancholisch-eingängige Science-Fiction-Lieder zu bauen. Zu den rätselhaft verweht-warmen Klängen von Jerome, der selber nie singt, bezauberte der ebenfalls aus London stammende Sänger Sampha mit einem heiseren R&B-Crooning; die damals noch weithin unbekannte Jessie Ware schmachtete mit unterkühlter Erotik zu den tropfenden und stolpernden Beats. Ware und Sampha sind auch auf dem zweiten SBTRKT-Album „Wonder Where We Land“ wieder dabei, das die Ästhetik des Vorgängers variiert und verdichtet; es ist dabei indes perkussiver geraten und stilistisch noch bunter. Der blutjunge Südstaatenrapper Raury feuert zu einem skelettierten Niedergeschwindigkeitsbeat derart rasante Silbenstakkati ab, dass in menschlichen Ohren nichts bleibt außer einer außerirdischen Echolalie. Und auch Ezra Koenig von Vampire Weekend ist als Gast zu hören. In dem Stück „New Dorp New York“ gackert er zu einem Funk-Riff mit unentwegt sich überschlagendem Falsett Fragmente einer Big-Apple-Metaphysik und klingt dabei wie ein äußerst erregtes Huhn, das sich am jungen Prince orientiert. (Young Turks/Beggars/Indigo)