Soundgarden: Rückzug ins Private
Leben im Auge des Hurrikans: Mit "Down On The Upside" kehren Soundgarden in den Medien-Wirbel zurück
Für Chris Cornell stehen gleich sieben Flaschen Cola light bereit – anrühren wird er aber während des Interviews keine einzige davon. Es ist ihm wohl gerade nicht danach. Aber wer weiß: Vielleicht wird er ja später Lust haben, sie alle in einem Zug zu leeren.
Grunge-Gurus legen gewöhnlich Wert auf demonstrative Kumpelhaftigkeit. Bei Cornell aber liegt bereits vor dem Interview diese eigentümliche Gleich-kommt-Mick-Jagger-Atmosphäre in der Luft – damit auch hartnäckige Ignoranten wissen, daß hier definitiv die Kategorie „Rockstar“ angebracht ist Plötzlich ist er dann da. Kurzes Kopfnicken, knapper Händedruck, und schon thront er auf dem Sofa: ganz in Schwarz, noch immer mit Ziegenbart und Kurzhaarschnitt – was ihm die Unterstellung eintrug, er wolle sich schon optisch von Seattles langlockigen Grunge-Ikonen absetzen. („Blödsinn. Ich schaute eines Tages in den Spiegel und schnitt sie einfach ab. Soll das schon ein Statement sein?“) Ketten, Ringe und Armbänder sind geschmackvoll über den ganzen Körper verteilt. Seine hellblauen Augen blicken während des ganzen Gesprächs ins Leere – kein Blickkontakt, niemals ein Grinsen oder irgendein Hinweis darauf, daß er nicht allein im Raum ist. Blasiert oder kokett wirkt Cornell aber seltsamerweise trotzdem nicht. Er ist der natural born star, dessen Natur ihn schon immer von anderen entrückt hat. Ein Mann mit der Ausstrahlung eines Solitärs.
Wenn er redet, redet Cornell weit ausholend. Pausen gibt es zwischen seinen Sätzen nicht – wie Endlosschleifen laufen sie ineinander über. Soundgarden, Musik, das Business – alles ist ein unendlicher Song über das Leben inmitten des Hurrikans. Mit „Superunknown“, dem letzten, „Grammy“-geadelten Album, waren Seattles Prä-Grunge-Päpste endgültig zur großen Nummer aufgestiegen, zur archetypischen Mega-Band mit nahezu Led Zepschen-Dimensionen. Seattle im Stadion-Format. Breitwand-Grunge. Nicht zuletzt „Black Hole Sun“, der Hitmitdem MTV-kompatiblen Video, war es, der Soundgardens kommerzielle Potenz demonstrierte. Andererseits: Plötzlich saß man zwischen den Stühlen und sah sich mit der delikaten Frage konfrontiert, in welche Richtung der Zug denn nun künftig abfahren sol. „Down On The Upside“, das neue Album, deutet bereits im Titel Wiederholung und Variation an, jedenfalls keinen weiteren Superlativ. Und glücklicherweise auch keine Nabelschau: Jedwede Reflexion über das Wie und Warum des Musikmachens wurde diesmal konsequent eliminiert. „In keinem Song geht es darum, was es bedeutet, Soundgarden zu sein und die Welt zu erobern. Wir wollten die introspektive Bewältigungskiste außen vor lassen. Ich bin nicht Jackson Browne, der sich über triste Hotelzimmer verbreitet. Ich singe über persönliche Dinge, zu denen auch jeder andere eine Beziehung hat: Angst, Liebe, Depression.“
Was zwischen den Zeilen nach einem demonstrativen Rückzug ins Private klingt. Und auch nach einer Distanzierung von der gesellschaftlichen Wirkung, die Grunge zumindest zeitweise hatte. „Ein ‚Wir‘ gibt es in der Popmusik doch nur alle Jubeljahre“, meint CornelL „Zugegeben: ‚Smells Like Teen Spirit‘ wurde die Hymne einer Generation. Was aber typischerweise auf einem Mißverständnis beruhte: Wenn man genauer hinhört, kann einem nicht verborgen bleiben, daß der Song Ausdruck einer extrem kritischen Haltung gegenüber genau dieser Generation ist. Die Identifikation mit Nirvana lief doch nur über banale Äußerlichkeiten: über die Kleidung, über ihr Image. Und genau aus diesem Grunde mißtraue ich der Rockmusik: Sie ist eine verdammt oberflächliche Angelegenheit.“
Für Cornell ist Rock zunächst einmal Unterhaltung: „Machen wir uns doch nichts vor: Als gesellschaftlich relevanter Faktor ist die Rockmusik ein Witz. In den 60er Jahren gehörte es zum guten Ton, wahnsinnig politisch zu sein. In erster Linie aber haben auch diese Bands doch nur ein emotionales Bedürfnis befriedigt: Sie lieferten ihren Fans eine Identifikations-Schablone. Geistig und gesellschaftlich wurde durch Rock herzlich wenig bewegt.“
Konsequenterweise beurteilt Cornell die eigene Arbeit kaum weniger skeptisch. Auch wenn sich Soundgardens Karriere nahtlos in die Rock-Mythologie dieser Ära einpaßt (von „Sub Pop“ zu „Rock am Ring“), so resistent ist Cornell gegen die Nebenwirkungen der Legendenbildung: Er mimt nicht den Seattle-Märtyrer, er fühlt sich auch nicht als Opfer der „bösen Industrie“. Schließlich habe er bei vollem Bewußtsein den Major-Vertrag unterschrieben.
Ebensowenig verspüre er Lust, sich vom Beifall des Massenpublikum zu distanzieren: „Selbst wenn jemand ein Soundgarden-Album aus den ‚falschen Gründen‘ kauft es ändert nichts daran, daß es immer noch eine gute Platte ist.“
Was uns zurück zum neuen Album bringt. Stand „Superunknown“ im Zeichen von Differenzierung und Ausweitung, so bekennt sich Cornell diesmal zum bereits Erreichten: „Die Frage war: Wie können wir das, was wir als Soundgarden etabliert haben, aus einer anderen Perspektive variieren. Wir hatten keinen Produzenten, es gab keine Demos. Wir wollten so unkalkuliert klingen wie möglich.“
Cornell, aller Unnahbarkeit zum Trotz, ist ein illusionsloser Realist. Er spielt das Rockstar-Spiel mit der gebotenen professionellen Routine, verfolgt aber auch die Realisierung seiner Träume mit idealistischer Konsequenz. Und es gibt – in Grunge-Town selten genug – gar Momente von Stolz: „Vielleicht war Seattle 1992 wirklich so wie London 1976. Und ich war Teil einer Szene, die die Popmusik geprägt hat. Ich gebe zu, daß ich stolz bin.“ Und erhebt sich vom Sofa, um wieder dem Geschäft des Rockstars nachzugehen.
Trotzdem bleibt ein angenehmer Eindruck: daß es in Seattle noch immer Musiker gibt, die zu mehr fähig sind ab zu Wut und Selbstmitleid.