Sound-Geometrie über den Wolken
Um Mark Robinson kursieren viele Geschichten. Einige sind wahr, die meisten erfunden. Und der Chef von Air Miami selbst ist als letzter um Richtigstellung bemüht. Nehmen wir zum Beispiel „Nopatitos“, das zweite Album seines ehemaligen Freizeit-Projektes Grenadine. Für die Linernotes ließ er einen Freund fabulieren, daß während der Aufnahmen zum Album ein benachbartes Haus abgebrannt sei. Die Band habe den Betroffenen dann geholfen, die Wohnstatt neu zu errichten. Grenadine, so die Legende, haben einen Gemeinschaftssinn wie die Amish People. Mich hat dieses Märchen – nun ja ziemlich berührt. Mark Robinson kichert, als ich ihm davon erzähle. „Das hat da wirklich gestanden? Die Geschichte ist natürlich von vorn bis hinten erlogen“, sagt er und zeigt nicht das geringste Zeichen von Reue. Im Gegenteil er kann es als Erfolg verbuchen in seiner Strategie, sich in einem verschachtelten Arbeitsprozeß aus Label-Organisation und Musizieren, aus Produzententätigkeit und Talentforderung zum Verschwinden zu bringen. Dabei hat der Mann aus Washington D.C. unsere Aufmerksamkeit verdient. Ist er doch Drahtzieher eines verzweigten Networks, das sich aufgrund seiner Skepsis gegenüber den üblichen Mechanismen von Vermarktung oft wie ein Geheimbund ausnimmt Im Zentrum steht das Label Teenbeat Ybr gut einem Jahrzehnt gegründet, hat sich die Firma als Hort für Ami-Bands mit Neigung zum britischen Pop-Song entwickelt Zwar haben zuweilen auch Art-Core-Formationen wie Bastro oder die Noise-Rockerin Courtney Love via Teenbeat Material herausgebracht, die Richtung wird jedoch von sanften Poppern wie Vfelocity Girl, notorischen Schrammlern ä la Vomit Lunch oder Versus mit ihren warmen Soundscapes geprägt Lange Vorbereitungszeit braucht Robinson für die Veröffentlichung eines Tönträgers nicht, sein Lieblingsformat ist eh die gute alte Vinyl-Single. Und um Promotion-Konzepte schert er sich nicht Oder er überläßt sie den Kollegen der großen Indie-Firmen. Denn auch Robinson, wenn auch beizeiten ein Zauderer und Zyniker, kann sich nicht ganz den Vorteilen professioneller Organisations-Bedingungen verschließen. Das Debüt seiner neuen Band Air Miami etwa läßt er in Europa von dem Indie-Riesen 4 AD lizensieren, der wiederum in Deutschland vom Firmen-Konglomerat Rough Trade vertrieben und beworben wird; darüberhinaus hat Teenbeat inzwischen einen Kooperations-Deal mit dem renommierten amerikanischen Matador-Label. Das hat nicht wenige Vorteile. Die Britpop-Diseuse Cath Carrol durfte so nach langer Zeit wieder ein Album aufnehmen. Erinnert sich überhaupt noch jemand an die Dame? Als Journalistin führte die Engländerin, inzwischen in Santiago beheimatet, einst das erste Interview mit den Smiths für den „New Musical Express“, und ihre Band Miaow war sie einer der Sonnenstrahlen des Britpop-Sommers 1986. Daß sie mit“7ru« Crime Hotel“ nun ein Werk vorlegen kann, das en passant den Bogen von der Songwriter-Kunst der Siebziger zum englischen Schrammel-Pop des letzten Jahrzehnts schlägt, verdankt sie auch Robinsons Enthusiasmus. Der ist ja sowieso kaum zu bremsen, die Energien des Mannes scheinen schier unerschöpflich. So einer trägt wahrscheinlich nicht nur aus Stilbewußtsein eine Adidas-Jacke. Und: So einer ärgert sich natürlich darüber, daß ihm immer noch zwei Bundesstaaten der USA auf seiner Weltbereisungs-Liste fehlen. Auch in Hamburg, wo er gerade beim Italiener ein Interview gibt, ist er natürlich auch schon mal gewesen: „Ich habe das neue Album von Trains And Boats And Planes in Kopenhagen produziert; im Anschluß bin ich einfach mit der Fähre hierher gefahren. Sechs Stunden Aufenthalt hatte ich.“ Robinson ist immer im Einsatz. Eine seiner letzten Entdeckungen als Talentscout sind Tuscadero, die in Amerika schon als Breeders-Nachfolger gehandelt werden und schon die großen Hallen füllen. „Sie kommen übrigens auch aus Washington. Ich sah sie eines Tages im Vorprogramm einer lokalen Band und bot ihnen sofort an, eine Single aufzunehmen“, erinnert sich Robinson. Inzwischen hat das Quartett, ein gemischtes Doppel, mit „Step lnto My Wiggle Room“ sein zweites Album vorgelegt. Die Stoßrichtung: Noise-Pop ohne falsche Bescheidenheit. Wenn der Gehetzte nicht als Produzent im Studio ist oder im Teenbeat-Büro oder irgendwo dazwischen im Flugzeug oder auf einer Fähre, arbeitet er mit seiner neuen Formation Air Miami. Mit dem Album „Me.Me.Me“, vor einigen Monaten erschienen, hebt das Trio die Pop-Musik auf eine abstrakte Ebene. Dynamiken, Klangfarben und Harmonien – auf dem Langspielwerk perfekt ausgeknobelt dienen nicht länger als Chiffren für bestimmte Stimmungslagen. Das Statement „I Hate Milk“ hat vielleicht ein hohes Identifikationspotential, sagt aber wenig über die Befindlichkeit des Autors aus, und oft reicht dem Musiker die phonetische Beschaffenheit eines Wortes, um es in seinen Text zu integrieren. Robinson: „Der Sound ist immer wichtiger als der Song oder die Texte.“ Dieser Sound ist nicht von heute auf morgen entstanden. Gut eine Dekade experimentierte Robinson mit seiner Art-Pop-Formation Unrest; zum Schluß wurde ihnen in nicht kleinem Kreise eine Art Unfehlbarkeitsstatus attestiert. Wie die Gruppe die Grenze zwischen dem klassischen Popsong und einer waghalsigen Sound-Geometrie zum Fließen gebracht hat, ist bis dato unerreicht. Warum hat sich die Band überhaupt getrennt – zumal die wunderbare Bridget Cross, Bassistin und Co-Songwriterin, bei Air Miami wieder zu ihm gestoßen ist? „Unrest wurden zu erfolgreich, das langweilt Und wenn Air Miami irgendwann erfolgreich sein sollten, werden wir sie auch auflösen.“