Sorglos in Seattle – Jenseits der großen Berühmtheit sind THERAPY? inzwischen zufriedener. Häuser haben sie ja schon
Da sieht man es mal wieder: Nichts geht über die muttergleiche Liebe einer Plattenfirma zu ihren Schützlingen. „Ich glaube nicht, dass Therapy? jemals so groß sein werden wie Metallica, weil der Leadsänger zu hässlich ist“, sagte beispielsweise einst ein Mitarbeiter des ehemaligen Labels der Iren – während neben ihm Andy Cairns, Leadsänger und Gitarrist, gerade ein Interview gab. Nicht sehr höflich. Aber auch nicht weit von der Wahrheit entfernt, wie Andy selbst lachend einräumt.
Erwähnte Episode aus dem bewegten Bandleben ereignete sich 1994. Das war kurz nach Therapy?s Durchbruch mit ihrem Major-Zweitwerk „Trvublegum“, an dessen durchschlagenden Erfolg keiner der Nachfolger anknüpfen konnte. „Infernal Love“ und „Semi-Detached“ enttäuschten, kommerziell wie künstlerisch. Erst mit „Suicide Pact -You First“ fand die Band 1999 zu alter Kraft zurück: „Das Album sollte klingen, als ob du mit uns in einem Raum sitzt, während wir spielen“, benennt Bassist Michael McKeegan das Ziel. Es gelang.
In alter Therapy?-Tradition setzt sich das neue Werk“Shameless“stellenweise wieder erheblich vom Vorgänger ab. Gleich der erste Song „Gimme (Back My Brain)“ offenbart starke Trash-Punk- und Metal-Einflüsse, die sich durch das komplette Album ziehen. Produzent Jack Endino, der schon Soundgarden, Mudhoney und Nirvana geholfen hatte, stand den Iren bei ihrem Vorhaben zur Seite. Aber nicht nur der Produzent, auch die sonstigen Umstände zeigten Wirkung.
Während „Suicide Pact“ in einem abgelegenen Schloss in Großbritannien aufgenommen wurde, entstand „Shameless“ in Seattle. „Zum Ende der Aufnahmen für ,Suidde Pact‘ wurden wir etwas psychotisch“, erinnert sich McKeegan. „Das Studio stand in der Mitte von nirgendwo. Da waren nur wir mit unseren Lieblingsbüchern und -filmen.“ Bei den Aufnahmen mit Endino in Seattle gab es etwas mehr Anregung von außen.
Grunge mag Vergangenheit sein, seine ehemalige Hauptstadt ist es noch lange nicht. Jedes Mal, wenn wir nach Seattle kommen, gibt’s dort eine neue Underground-Szene, die nichts mit Grunge zu tun hat und so großartige Bands wie Zen Guerilla hervorbringt“, freut sich Cairns über die vielen Inspirationsquellen.
„Wir hatten unsere Zeit in der ,corporate hell‘, und um ehrlich zu sein: Sie brachte mir ein Haus ein“, meint der Sänger schelmisch. Inzwischen auf dem kleineren Label Ark 21 beheimatet, schätzen Therapy? allerdings mittlerweile die kreative Freiheit jenseits der großen Berühmtheit, denn so frisch „Shameless“auch klingen mag: Mit Doppel-Platin rechnet keiner, die Band selbst am allerwenigsten. „Ich glaube nicht, dass wir jemals die Ambitionen dazu hatten. Auch nicht, als wir eine Menge Platten verkauften, die Presse uns liebte und wir auf Titelblättern waren. Denn wenn du einmal einen gewissen Status erreicht hast, musst du deine Persönlichkeit wohl zwangsläufig umdefinieren und zu jemandem wie Billy Corgan werden“, befurchtet Andy Cairns. Und das möchte er, mit Verlaub, auf keinen Fall.