Sophie Hunger im Interview: „Ich brauche kein Zuhause“
Endlich frei! Die Schweizerin Sophie Hunger hat die Heimat hinter sich gelassen, um ihre furchtlosen Popsongs in die Welt zu tragen. Sie reist ohne Gepäck, aber mit starkem Willen.
Sophie Hunger ist ein wandelnder Widerspruch. Ein anmutiger, hochtalentierter Widerspruch. Sie ist Schweizerin und doch auf der ganzen Welt zu Hause. Sie ist 32, aber ihr Blick wirkt so neugierig wie der eines Mädchens, das gern die Schule schwänzt, um etwas Spannenderes zu erleben. Sie macht geheimnisvolle
Musik, die sie selbst kaum erklären kann, über alles andere redet sie allerdings offen. Sie lacht gern und viel und schreibt dauernd Lieder über den Tod und die Einsamkeit. Sie hasst Pläne, fehlenden Ehrgeiz kann man ihr jedoch nicht vorwerfen: Ende April erscheint mit „Supermoon“ bereits ihr viertes Album.
Eigentlich wollte die Songschreiberin nach sieben Jahren Nonstop-Musikmachen eine Pause einlegen. 2013 veröffentlichte sie noch das Live-Album „The Rules Of Fire“, dann zog sie nach San Francisco – und fand dort statt der angestrebten Ruhe so viel Inspiration, dass sie nicht an sich halten konnte: „Nach einer Woche habe ich eine Gitarre gekauft und wieder gearbeitet, ohne es richtig zu merken. Da erkennt man, wie dämlich es ist, das Leben theoretisch anzugehen. Was man tut, ist immer stärker als das, was man denkt.“ Weg von zu Hause, von der Schweiz und von Europa, genoss sie es, niemanden zu kennen, auf keinerlei Erinnerungen zu stoßen und einfach ihren Gedanken nachzuhängen: „Ich war drei, vier Monate ganz allein, auf Straßen, in Wohnungen und Ländern, die mir vollkommen unbekannt sind – und denen ich auch vollkommen unbekannt bin. Das war gut.“
Sie bekam wieder richtig Luft. In den vergangenen Jahren hat Sophie Hunger immer noch an ihrer Wohnung in Zürich festgehalten, merkte aber schon, dass diese halbherzige Sesshaftigkeit gar nicht mehr zu ihr passt. In Kalifornien konnte sie endlich loslassen – und eine konsequente Entscheidung treffen. „Ich reise viel. Da lohnt es sich nicht, ein Zuhause aufzubauen. Es tut eher weh, eines zu haben, weil man dann immer das Gefühl hat, man versäumt etwas, wenn man nicht genug dort ist. Das brauche ich nicht mehr.“ Sie wurde zur Airbnb-Expertin, mietet sich manchmal wochenlang bei Fremden ein, und ihr Leben in den nächsten 20 Jahren stellt sie sich genauso vor: mal hier, mal da, vielleicht eine Wohnung in Berlin – wo sie momentan ihre Basis hat – oder in Paris, aber niederlassen will sie sich nicht.
„Ich wohne nirgends wirklich“, sagt sie und meint damit auch: „keine Gegenstände mehr, außer vielleicht eine Gitarre und einen Computer. Kein Gepäck!“
In Liedern wie „Queen Drifter“ singt sie von dieser neuen Lebensform, sie hat abgeschlossen mit „dieser Heimat-Frage“, die sie lange quälte. „Ich liebe meinen Beruf, ich kann nichts anderes machen. Also frage ich mich nicht mehr, was ich dabei versäume – das ist nur negativ. Ich akzeptiere die Umstände und kultiviere sie sogar ein bisschen. ,Queen Drifter‘ war zuerst ein etwas weinerliches Lied. Dann habe ich gemerkt: Das fühle ich doch eigentlich gar nicht!
Ich bin stolz darauf, gerade auch als Frau, dieses Leben zu haben. Den ungebundenen Cowboy finden immer alle cool, aber eine Frau wird bedauert, wenn sie kein Zuhause hat. Dabei kann Einsamkeit auch eine Kraft sein, stark machen.“ Frei und unabhängig von der Meinung anderer sein – das hat Hunger früh gelernt, vor allem von den Musikerinnen, mit denen sie auf Tour war: Bei Camille oder Madeleine Peyroux hat sie sich abgeguckt, wie man der Heimat entkommen kann, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren.
Tochter eines Diplomaten und einer Politikerin
Denn natürlich bleibt die Schweiz, diese komische kleine Alpenrepublik, immer ein Teil von ihr – sie
attestiert sich zum Beispiel ein „riesiges Sicherheitsbedürfnis“, kämpft aber vehement dagegen an. Als Tochter eines Diplomaten und einer Politikerin hat Hunger kein blauäugig-sentimentales Verhältnis zu den Traditionen ihres Landes, zu denen eben auch das Dogma gehört, der Wahrung des eigenen Wohlstands oberste Priorität zu geben. „Man muss sich vor Augen führen, dass einen das System da hineindrängt“, sagt Hunger, sie wählt ihre Worte mit Bedacht.
„Unsere Ängste werden gebraucht, damit wir noch mehr Versicherungen kaufen und noch mehr Geld damit gemacht wird. Statt den Institutionen sollte man lieber seiner eigenen Gesellschaft vertrauen – der Familie, den Freunden … Aber ich komme her, wo ich herkomme. Ich würde durchdrehen, wenn ich ein Minus auf meinem Bankkonto hätte. Mit mentaler Disziplin kann man sich allerdings zwingen, immer wieder darüber nachzudenken, warum man so tickt, und sich ein bisschen davon befreien.“