Die wichtigsten Alben von Sonic Youth

Ein Überblick über die bedeutendsten Platten jener Band, die Pionierarbeit in vielen Stilen leistete.

Essenziell

Evol (1986)

Das Cover zierte Elisabeth Carr alias Lung Leg, Star der semi-pornografischen 8-Milli­meter-Filme der Cinema-of-Transgression-Vorreiter Richard Kern und Lydia Lunch. Das Motiv war erstaunlich, weil Sonic Youth sich für das dritte Album von ihrer brutal klingenden Variante des No Wave verabschiedeten. „EVOL“ war fast schon Pop, der 1986 auch nach Hüsker Dü hätte laufen können.

„Star­power“ hieß die ironisierende Sin­gle, so groß, dass die Band sie 2009 für die Serie „Gossip Girl“ neu aufnahm. „Expressway To Yr. Skull“ war jener Meilenstein, der ihre spätere Signature-­Dramaturgie vorführte: Alle Instrumente vereinen sich zu einem wiederholenden Motiv, das sich mit zunehmendem Tempo ins Crescendo steigert.

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Daydream Nation (1988)

Die erfolgreichsten Alben des Jahres hießen noch immer „Hysteria“ und „Appetite For Destruction“. Dieses aber war das Wichtigste. Sie wollten es „Reagan Nation“ nennen, als Anspielung auf die „Reaganomics“ des US-Präsidenten, der durch verkürzte Sozialleistungen immer mehr Menschen in die Armut trieb. „Teen Age Riot“ war Aufruf zur Revolte, viele Songs drehten sich um unerträgliche Zustände, die sich beim Tritt vor die Haustür in Manhattan zeigten.

Die „Trilogy“ aus den Einzelstücken „The Wonder“, „Hyperstation“ und „Eliminator Jr.“ ist wie ein Spaziergang in den Tod: „Smashed-up against a car at three A.M./ Kids just up for basketball, beat me in my head.“ Niemand war mehr sicher in New York – Moore hatte dem Ausdruck verliehen.

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Dirty (1992)

Gerade die Hit-Platte war eine ihrer mutigsten, weil die Band einem ersichtlichen Schema folgte – Nirvana-Produzent Butch Vig sollte sie verjüngen: Feedback wurde sorgfältiger eingesetzt, die Lieder kürzer und groovy. Ein Klangbild wie das von „Nevermind“, doch enthielt jedes Spektakel auch ein Anliegen. „Swimsuit Issue“ parodierte Männermagazine, „100%“ behandelt den Mord an einem Freund, und aus „Youth Against Fascism“ spricht die Verzweiflung, dass die Menschen nichts gelernt haben: „It’s the song I hate.“

Das Album sollte Sonic Youth weit tragen, bis zum Ende des Jahrzehnts blieben sie Festival-Headliner. Und Kim Gordon war mit 39 endlich Popstar, im „100%“-Video trat sie neben Skateboardern auf. An den Seattle–Bands kamen sie jedoch nicht vorbei. Das Cover gestaltete US-Künstler Mike Kelley.

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A Thousand Leaves (1998)

Erstmals sprach aus ihren Songtiteln eine Schönheit, die zugewandt statt abwehrend erschien. „Hits Of Sunshine (For Allen Ginsberg)“ und „Wildflower Soul“. Die Musik klang auch so: poetisch, schillernd, blumig, gelb. Sie enthielt die längsten Instrumentalpassagen und ein fast schon jazziges Zusammenspiel, „Snare, Girl“ war eine Meditation für die vierjährige Tochter von Moore und Gordon.

17 Jahre nach Bandgründung entdeckten Sonic Youth ihre Art von Free Form. Passenderweise erschienen parallel die EP-Eigenveröffentlichungen der „SY Recordings“, Annäherungen an Neue Musik.

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Lohnend

Sister (1987)

Das Lieblingsalbum der Lo-Fi-Anhänger und nach dem Pop-Rock von „EVOL“ die Rückkehr zum Noise. „White Kross“ und „(I Got A) Catholic Block“ verwiesen auf Moores problematische religiöse Erziehung. „Paci-fic Coast Highway“ ist, als Schilderung einer mörderischen statt malerischen Autofahrt entlang der Westküste, ein Anti-Kalifornien-Statement, das auch The Velvet Underground gefallen hätte.

Die Band war selbstbewusst genug, Huldigungen an Punkbands als LP-Tracks zu veröffentlichen, wie das Crime–Cover „Hot Wire My Heart“. Aber, bei aller Street Credibility: Einen Tonmeister wie hier -Howie Weinberg konnte sich 1987 auch nicht jeder leisten.

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Goo (1990)

Als Sonic Youth zum Majorlabel Geffen wechselten, rief man: „Ausverkauf!“ Ein alberner Vorwurf, denn die Kreissägengitarren wurden sogar noch lauter – es gab einen Song, der nur aus Lärm bestand („Scooter And Jinx“). Sicher suchte die Band nach ihrem Platz in der Popkultur, widmete sich Roman-figuren („Mildred -Pierce“) und Karen Carpenter („Tunic“).

Wegweisend die Zusammenarbeit mit Chuck D, den Kim Gordon in „Kool Thing“ fragt: „Are you gonna liberate us girls from male white corporate oppres-sion?“. Dem Public-Enemy-Chef fiel dazu immerhin ein „Tell it like it is!“ ein. Das Mod-Cover von Raymond Pettibon kennt heute jeder, Hipster tragen es auf T-Shirts durch die Welt, es ziert Caféwände. (Siehe auch: das heute ikonische Cover zu „Daydream -Nation“ von Gerhard Richter.)

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Washing Machine (1995)

Zur Hochphase des Post-Rock dieser Kraut-Post-Rock: ein Fest aus Soundschleifen („Washing Machine“), Schnellfeuerstöhnen („Panty Lies“), mit „The Diamond Sea“ ein knapp 20-minütiges Epos, dessen Obertöne wie Meeresdiamanten funkeln. Das Booklet zeigt den Bau eines Landhauses bei Memphis; nicht mehr New York war Inspiration, sondern Tennessee.

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The Eternal (2009)

Alben brauchen 20 Jahre bis  zum Klassikerstatus, für eine Kanonisierung ist dieses noch zu jung. Dennoch funktioniert die Platte als heimliches Best-of ihrer Karriere: Garage-Punk („Sacred Trickster“) plus -Politik (die Kommune‑I-Hommage „Anti-Orgasm“), und auf der Bühne setzte sich Moore, der verdiente Songwriter, bei „Massage The History“ mit der Akustikgitarre auf einen Barhocker.

Ergänzend

Confusion Is Sex (1983)

Man darf das Debüt auch schrecklich finden, mit den Antisongs, Lautstärkewechseln und durchgehendem -Rauschen. Aber als Zeitdokument der No Wave hat es Bestand, ihr Mentor Glenn Branca war stolz auf sie.

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Made in USA (1986)

23 gute, düstere Instrumentals für ein geflopptes Kalifornien-Roadmovie. „Los Angeles passte nicht zu uns“, befand Gordon. Ein Lied trug den unfassbaren Titel „O.J’s Glove Or What?“ – was wussten -Sonic Youth neun Jahre vor dem Mordfall O. J. Simpson vom -Täter und dessen Handschuh?

Experimental Jet Set, Trash And No Star (1994)

Ihr erfolgreichstes Album ist auch eines ihrer vertracktesten: Es besteht überwiegend aus Cut-and-Paste-Songs leidlich zusammenpassender Melodien („Quest For The Cup“). Dazu Coitus-interruptus-Stücke wie „Starfield Road“, das nach zwei Strophen einfach abbricht, symptomatisch für den Zustand der Band – offiziell aufgelöst sind sie ja nicht. „Starfield Road“ wurde auch beim letzten Konzert 2011 in Brasilien gespielt.

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Schwach

NYC Ghosts & Flowers (2000)

Nachdem wichtigstes Equipment aus dem Bus gestohlen worden war, setzten Sonic Youth nicht nur im Sound, sondern auch in der Komposition auf Reset. Das elfte Album ist nicht so schlecht wie sein Ruf, aber skelettierte Songs wie „Side2 Side“ zeigen, wie schmal der Grat zwischen Experiment und schlichter Monotonie ist.

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Preziosen

10 Raritäten

„Hold That Tiger“

Das ’87er-Konzert firmiert als „Official Bootleg“, bietet Songs von „EVOL“ und „Sister“ plus Ramones-Coverversionen.

„Within You Without You“

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Lee Ranaldo ist der George Harrison der Band, nicht nur weil er die besten Soloalben veröffentlicht. Im Beatles-Lied macht er aus den Klängen der Sitar natürlich die der Guitar.

„The Whitey Album“

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Sonic Youth gründeten mit J Mascis und Mike Watt die nach Madonnas Geburtsnamen benannte Band Ciccone Youth. „Into The Groove(y)“ macht aus der Tanzfläche den Vorhof zur Hölle.

„Is It My Body“

Ihre Gesangsleistung auf der Alice-Cooper-Coverversion bezeichnet Gordon als ihre beste, und sie lobte in einem Essay die Band als „Anti-Hippies, die sich hinter hässlicher Ästhetik verstecken“.

„Anagrama“

Höhepunkt ihrer neunteiligen Experimental-EP-Reihe „SY Recordings“. Das Instrumental schwillt gleichermaßen an wie ab – ein Anagramm. Es eröffnete ihre 1998er-Tour.

„I Love You Mary Jane“

Unerträgliche Marihuana-Hymne, die aber als Höhepunkt des „Judgment Night“-Soundtracks gilt, für den 1993 Rockbands mit HipHoppern kooperierten. Gordon singt mit Cypress Hill.

„Superstar“

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Die Carpenters machten den Song von Delaney & Bonnie 1971 zum Hit. Thurston Moore interpretiert ihn fast flehentlich. Die zweite Carpenters-Hommage nach „Tunic (Song For Karen)“ von „Goo“.

„Doctor’s Orders

(T-Vox Version)“

Anders als auf dem Album singt hier Moore, nicht Gordon. Der seltene Fall, dasselbe Lied von zwei verschiedenen Bandmitgliedern zu hören.

„Bee Bee’s Song“

Auch die schlechten Linklater-Filme, wie das Slacker-Drama „SubUrbia“, haben tolle Song-Soundtracks. Kim Gordons schwarze Girlie–Fantasie sticht heraus.

„Simon Werner A Disparu“

Der instrumentale Soundtrack zum französischen Thriller über drei vermisste Studentinnen ist sozusagen das inoffiziell letzte Sonic-Youth-Album, 2009 aufgenommen, jedoch erst 2011 veröffentlicht.

Lektüre

Kim Gordon: „Girl In A Band“

Eine bisweilen etwas unsouveräne Autobiografie, da Gordon vor allem die Deutungshoheit über das Band-Ende behaupten möchte: Trennungsgrund sei Exgatte Thurston Moore als gefühlsverwirrter Mann in der Midlife-Crisis gewesen, der sich in eine Affäre flüchtete. Ausführlichere Passagen über ihren Status als Frau in der Musikszene wären interessanter gewesen.

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