ROLLING-STONE-PORTRÄT

Songwriterin Adiam: Schwarzer Schlagring und ein Eis im Schuh

Lakritz statt Bubblegum: Der Elektropop von Adiam ist eher bitter als süß

„Natürlich glaubt mir keiner, dass ich Schwedin bin“, beschwert sich die 1982 in Uppsala geborene Adiam Dymott. „Deshalb habe ich immer schon eine lange Antwort parat für den Fall, dass mich jemand danach fragt.“ Ihre Familiengeschichte ist aber auch einigermaßen ungewöhnlich: 1976 flohen Adiams Eltern aus dem von Bürgerkrieg und Unabhängigkeitskämpfen geschüttelten Eritrea – wie viele Flüchtlinge des nord-ost-afrikanischen Landes kamen sie zuerst nach Italien und dann nach Schweden, wo Adiams Vater einen Job als Gebrauchtwagenhändler fand und ihre Mutter sich zur Krankenschwester ausbilden ließ. „Lange Zeit spielten sie mit dem Gedanken, zurückzukehren“, erzählt Adiam. „Dann nicht mehr.“

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Stattdessen versuchten ihre Eltern sie und ihre drei Schwestern so schwedisch wie möglich zu erziehen. „Im Winter fuhren wir wie alle anderen zum Skifahren. Wir waren die einzige schwarze Familie auf der Piste. Nicht immer einfach für uns Kinder! Andererseits trugen wir zu Weihnachten und an besonderen Feiertagen traditionelle eritreische Kleidung und aßen eritreische Gerichte. Heute bin ich meinen Eltern dankbar für diesen manchmal ziemlich verwirrenden Ansatz. Sie wollten uns alle Türen offenhalten.“

Nach der Flucht

Der genre- und länderübergreifenden Musiksammlung ihres Vaters hat Adiam ihr frühes Interesse für Musik zu verdanken. „Ich verbrachte Stunden mit den Kassetten, die mein Vater teilweise noch aus Eritrea mitgebracht hatte. Unter den Kopfhörern fand ich ein bisschen Frieden, meine Schwestern ließen mich aus irgendeinem Grund in Ruhe.“

(Foto: Nicolas Kantor)
(Foto: Nicolas Kantor)

Während Adiam sich immer tiefer in die Lieder von Bruce Springsteen, Marvin Gaye und Lee Perry versenkte, wurde der Wunsch, selbst Musikerin zu werden, immer stärker. Mit 16 schmiss sie die Schule und begann im berühmten Cosmos-Studiokomplex in Stockholm (heute X‑Level Studios), wo in den 70er-Jahren auch ABBA aufnahmen, als Rezeptionistin zu arbeiten. „Viele große schwedische Künstler kamen dahin. Es gab aber auch viele kleine Studios für weniger bekannte Musiker. Mein Job war die Koordinierung der Anmietungen, manchmal versorgte ich die Bands auch mit Erfrischungen als eine Art Rundumassistentin.“ Abends blieb Adiam oft länger, um in den kleineren Studios an eigenen Songs zu arbeiten oder für befreundete Bands Demos einzusingen: „So lernte ich langsam meine eigene Stimme kennen.“

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Ihr Debüt, das 2009 unter dem Titel „Adiam Dymott“ in Schweden erschien, spiegelte noch ihre alte Liebe zum Industrial-Rock der -Nine Inch Nails und dem Hardcore der Misfits wider. „Es war voll jugendlicher Naivität und Chaos“, sagt Adiam. „Mittlerweile habe ich gelernt, dass dunkle Emotionen keine harten Gitarren brauchen.“

Lakritze statt Bubblegum

Die zwölf Stücke von „Black Wedding“ sind zurückgelehnter, elektronisch grundierter R&B, der sich im Gegensatz zu dem der Laptop-Avantgardistinnen FKA twigs und Kelela nicht in zerklüfteter Kleinteiligkeit verliert, sondern zwischen der klar strukturierten Eisigkeit von The Knife und dem bunten Pop-Eklektizismus von Santigold pendelt. Im Mittelpunkt stehen Adiams eingängige Popmelodien, die in dem dunklen Setting aber eher nach Lakritze als nach Bubblegum schmecken. „Dark Pop“ nennt sie ihre Musik.

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Auch wenn man es bei den düsteren Texten und der Schwarz-Weiß-Ästhetik ihrer Musikvideos kaum vermuten würde, entstanden die meisten Songs im sonnigen Los Angeles, in Zusammenarbeit mit Dave Sitek von TV On The Radio. „Mit ihm zu arbeiten war sehr lustig und sehr intensiv. Er hat eine sehr spezielle, inspirierende Aura. Für jeden Song sind wir in einen neuen kreativen Dialog getreten.“ Ein kreativer Dialog, der weit über Musik hinausging: Eines Tages brachte Sitek eine Tätowiermaschine mit ins Studio und fragte Adiam, welches Motiv sie gern in ihre Haut gestochen haben wolle. „Ich antwortete: ‚Mach, was du willst.‘ Man wird ein bisschen seltsam, wenn man so viel Zeit zusammen im Studio verbringt“, erinnert sich die Sängerin und kichert. Das tatsächlich recht seltsame Ergebnis prangt nun auf ihrem rechten Oberarm: eine Eiskugel, die samt Waffel kopfüber in einem Schnürstiefel steckt.

Tiefschwarzer Schlagring

Das Eis im Schuh ist nur eines von vielen Kunstwerken auf Adiams Körper. Aus ihrem schwarzen Tanktop ranken Rosen und Pfauenfedern bis auf die Schultern, auf dem linken Arm schwebt ein Buddha, den rechten zieren die Namen ihrer drei Schwestern sowie ein tiefschwarzer Schlagring, der zwischen den floral-verschnörkelten Motiven martialisch hervorsticht. „Manchmal vergesse ich, dass ich es habe. Bis erwachsene Männer mich in der U‑Bahn anstarren, als käme ich direkt aus dem Knast.“

Gestochen wurde das Gangster-tattoo von einem Freund, der in einem Tattoostudio arbeitet – als Rezeptionist. „Das ist tatsächlich das einzige Motiv, das er draufhat“, sagt die Sängerin lachend und zuckt dabei unbekümmert mit den Schultern. Adiam hat schließlich auch mal klein angefangen.

Nicolas Kantor Nicolas Kantor
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