Songception: Songs, in denen mehr als einer steckt
Schon mal einen Song gehört und gedacht: Moment mal, das sind doch zwei Stücke? Oder drei? Oder vier?
Manchmal kommt es vor, dass einzelne Songs weitere Songs beinhalten – Songception quasi. Für diese musiktheoretische Strukturform gibt es verschiede Ansatzmöglichkeiten und Umsetzungen für Akustikschaffende. Mal werden verschiedene Teile durch Pausen unterteilt, mal sind die Wechsel durch Tonart oder Tempo so zeichnend, dass der musikalische Bruch einschneidend genug ist, um als Titelwechsel verstanden zu werden. Standesgemäß sind auch hier die Grenzen flüssig.
Viele dieser Stücke können als Medley verstanden werden; manche sind sogar als solche gekennzeichnet. Per Definition sind dies musikalische Stücke, die aus mehreren, von einander unabhängigen Kompositionen bestehen. Auch diese Begriffserklärung trifft auf die folgenden Songs zu. Allerdings sind viele der Stücke in dieser Liste unkonventioneller geformt, als man es von klassischen Medleys gewohnt ist. Demnach bilden diese Titel eine unvollständige Zusammenstellung von Songs, die eigentlich auch mehrere sein könnten.
„Warning“ von Black Sabbath
Auf dem selbstbetitelten Debütalbum von Black Sabbath aus dem Jahr 1970 ist „Warning“ der siebte Track . „Now, the first day that I met ya/ I was looking in the sky/ When the sun turned all a blur/ And the thunderclouds rolled by“. Mit diesem Album ebneten die aus Birmingham stammende Band mit Frontmann Ozzy Osbourne den Weg für ein Genre, das für massig Distortion und Fuzz bekannt ist, für Powerchords wie voll aufgedrehte Röhrenverstärker.
Bei Osbourne ist mittlerweile schwer zu sagen, ob er beim großen Publikum eher für den legendären Auftritt bekannt ist, bei dem er einer Fledermaus den Kopf abbiss, oder für seine absurde Reality-TV Show, die Anfang der Nullerjahre auf MTV startete. Er und seine Familie gaben dabei Einblicke in das eigene Privatleben und wurden innerhalb kürzester Zeit auch abseits der Musikwelt zu weltbekannten Persönlichkeiten, erfanden nebenbei das Reality-TV mit. Vor allem aber ist die Band musikhistorisch ein Brett: Vermutlich wird jede Gruppe, die bis heute im weitesten Sinne irgendwo zwischen Doom und Thrash-Metal verordnet wird, Black Sabbath als Einfluss nennen.
„Warning“ beginnt mit einer schleppenden Schlagzeugrhythmus, vielen trägen Beckenschlägen und verzertten Gitarrenriffs von Tommy Iommi. Bei gut drei einhalb Minuten endet der erste Teil des Songs, Osbourne verstummt und Iommi gibt nun den Ton an. Dann: Pause? Kurz währt Stille, die schließlich ein ausklingendes Outro mit Gitarrensolo einleitet, bis kurz vor Minute sieben der Blues beginnt. Spätestens hier wird der erste Teil für den langen Jam zunächst restlos zurückgelassen – auch durch einen Wechsel der Tonart markiert Black Sabbath hier den unbestrittenen Einschub.
Kurz vor Schluss wird das Ruder noch einmal herumgerissen, bei neun Minuten und zwanzig Sekunden manövriert sich der Song wieder zum eigentlichen Track, einem Cover von Aynsley Dunbar. Das virtuose, minutenlange Abdriften soll nicht nur wegweisend für diverse spätere Bands sein, sondern vielleicht auch für die ein oder andere aus dieser Liste.
Ein vorbildliches Beispiel dafür, wie es aussehen kann, wenn Künstler*innen mehrere Songs in einem Verpacken. In diesem Fall könnte sich der Bruch auf die Herkunft des Originals beziehen. Denn wie bereits erwähnt, ist „Warning“ eigentlich von der Aynsley Dunbar Retaliation. Black Sabbaths Version wurde allerdings um gute sieben Minuten gestreckt – der zweite Teil des Songs bleibt darüber hinaus ausschließlich Instrumental und ist damit auch umso mehr eigenes Wer als nur bloßes Cover.
Im Refrain des Black-Sabbath-Titels heißt es übrigens: „I was born without you, baby/ But my feelings were a little bit too strong“. Ozzy Osbourne soll den Text der Aynsley Dunbar Retaliation falsch verstanden haben, denn im Original heißt es: „I was warned about you, baby.“
„The Change“ von Felt
Über die US-Band Felt ist zugegebenermaßen wenig bekannt. In den späten 60ern, Anfang der Siebziger haben sie sich zusammengefunden und im Desert-Rock-geprägten Raum an der Grenze zwischen Tennessee und Alabama begonnen, Musik zu machen. Myke Jackson (Gitarre), Mike Neel (Schlagzeug), Tommy Gilstrap (Bass), Allan Dalrymple (Keyboard) und Stan Lee (Gitarre, nicht zu verwechseln mit dem Comiczeichner) gründeten gemeinsam die Band und schufen genau ein Album: Ebenfalls selbstbetitelt wurde „Felt“ 1971 veröffentlicht.
„The Change“ handelt von einer Revolution. „Well things were changing slow/ And everybody knows that this ain’t helping anybody/ We want some changes fast/ So we can leave the past“. Myke Jackson beschreibt den Drang nach Veränderung und dem Ergebnis jener umschriebenen Revolte – ein klares Motiv oder ein gewünschtes Ergebnis erfährt man jedoch nicht.
Felt steigert die Komplexität und bietet mit ihrem über 10 Minuten langen Song „The Change“ mindestens zwei, wenn nicht gleich drei trennbare Stücke. Die Band bedient mal mehr den crunchigen, Blues-basierten Rock, mal driften sie in beatlesken Psych-Rock ab. Messerscharfe Gitarrensoli, frische Orgelsounds und rasende Drums. Wenn man an einem warmen Sommerabend an der Küste entlangfährt und eine Sonnenbrille auf der Nase liegen hat, wird dieser Track automatisch vom Autoradio abgespielt.
„Sing About Me, I’m Dying Of Thirst“ von Kendrick Lamar
Im Hip-Hop ist ein ähnliches Phänomen, das hier zunächst platt als „Songception“ betitelt wurde, mittlerweile als „Beat Switch“ bekannt. Dies beschreibt den Kompositionswechsel innerhalb eines Stücks zwar etwas eindeutiger, ist aber auch zeichnend für den Stil dieses Genres. Zumindest so oder so ähnlich, denn beim Beat Switch wechselt eben der Beat; mitten im Track. Vielleicht könnte man es genreübergreifend besser als „Composition Switch“ bezeichnen. Im subkulturellen Raum geht dies vor allem von Producern aus, findet aber auch bei Künstler*innen immer mehr Anklang. Nicht immer ist die Art der Kompositionswechsel deckungsgleich mit jenen, nach welchen diese Liste erstellt wurde – manchmal aber eben schon.
Mit Titeln wie „Sing About Me, I’m Dying Of Thirst“ hat Kendrick Lamar 2012 auf „good kid, m.A.A.d city“ bereits den Vorgeschmack auf seine nächsten Platten geliefert. Das drei Jahre später folgende Konzeptalbum „To Pimp a Butterfly“ trieft vor Jazz-Einflüssen und vermischt Genres so unkonventionell wie außergewöhnlich. Aus den selbst benannten „Outtakes“, die es nicht mehr auf das Butterfly-Album geschafft haben, entstand letztlich noch „untitled unmastered.“ Unpopulären Meinungen zufolge Lamars bestes Album.
„Sing About Me, I’m Dying Of Thirst“ beginnt mit jenem Jazz-Drum-Motiv, das nicht unpassend aber unerwartet verspielt daherkommt. Mit diesem Track verschwimmen die Grenzen zum „Song im Song“ etwas, aber daran soll man das Werk nicht messen. Der zweite Part beginnt bei etwa 7:20 Minuten und wird klar durch einen Break vom vorherigen Teil abgegrenzt. Kendrick Lamar predigt fortan knapp drei Minuten am Stück. Man könnte es als sehr langes Outro betiteln oder „Sing About Me, I’m Dying Of Thirst“ in diese Liste stecken. Weil aber auch der erste Teil trotz „Beatles-Schema“ – also Strophe, Refrain, Strophe, Refrain – recht verspielt daherkommt, sollte letztere Option mehr als vertretbar sein.
Auf dem gleichen Album befindet sich auch „m.A.A.d city“, das ebenfalls eine nennenswerte Würdigung in dieser Liste verdient. Der Party-Track endet nach zwei Minuten und 30 Sekunden abrupt und schlägt stattdessen eine völlig andere Richtung ein. Ein Paradebeispiel für einen Beat Switch. Der zweite Teile ist auch deutlich länger, was ihn zum eigentlichen Hauptteil macht.
Auf „good kid, m.A.A.d city“ erzählt Kendrick Lamar die harte und doch Zuversicht teilende Geschichte eines anständigen „Kids“, das inmitten des urbanen Wahnsinns versucht, seinen eigenen Weg zu finden. Inmitten einer irre Stadt, die von allen Lastern der Gesellschaft durchtränkt ist, findet diese albumfüllende Geschichte mit „Sing About Me, I’m Dying Of Thirst“ eine Art Höhepunkt: ein Reflektieren der Verhältnisse im städtischen Ghetto Compton, einem Stadtteil von Los Angeles, in dem Kendrick Lamar aufgewachsen ist.
Es werden Verhältnisse beschrieben, die Menschen zu verzweifelten Handlungen treiben. Rassismus, fehlende staatliche Unterstützung und auch missglückte Integration treibt Bewohner*innen in die Kriminalität. Kein selbst gewählter Pfad, sondern durch äußere Umstände dazu gedrängt. Drogen, Prostitution, Gewalt – hier wächst ein unschuldiges Kind auf, das sich sein Umfeld nicht selbst ausgesucht hat und doch lernen muss, damit umzugehen.
„In Search of Time“ von Love Machine
Aus dem wilden deutschen Westen entsprungen begab sich Love Machine 2017 mit ihrem Debütalbum „Circles“ auf die psychedelischen Reise in die inneren Kreise des eigenen Seins. „Mit Times to Come“ war klar, dass etwas folgen wird: der Schritt zurück zu den eigenen Wurzeln. Ihr drittes Werk „Düsseldorf-Toyko“ verbindet schließlich auf mehreren Ebenen Heimat und Ferne und schafft daraus eins. In der japanischen Architektur liegt die Ästhetik oft nicht im völlig Neuen, stattdessen sucht das Neue den Bezug zum Altbewährten.
Genauso ziehen Love Machine den Bogen zu ihrem musikalischen Schaffen. Nach zwei vormals englischsprachigen Platten kehren Love Machine zurück zu den Wurzeln der eigenen Muttersprache. Deutsch und Englisch vermischen sich über das ganze Album hinweg und vor allem auch innerhalb einzelner Songs. „Düsseldorf-Toyko“ hat sich zudem etwas von den verträumten Psych-Rock klängen gelöst, diese Herkunft aber nie vergessen. Ähnlich wie in Düsseldorf, wo eine der größten japanischen Gemeinden außerhalb des eigenen Landes existiert und Teile des Stadtbilds auszeichnet.
Der letzte Track ihres Debütalbums „Circles“ erinnert umso mehr an verträumten Psych-Rock-Genre, das in den 60ern und 70ern ihre Hochphase hatte. Vorsichtige Trompetenklänge leiten das Finale der Platte ein, das seinen Platz in dieser Liste bei etwas mehr als viereinhalb Minuten verdient: Love Machine startet mit massig Wah-Pedal Unterstützung ins zweite Kapitel von „In Search of Time“. Es folgen sechs Minuten gewaltigen Psychedelic-Jazz-Gewitters.
„The Bob“ von Roxy Music
Im unbestrittenen Meisterwerk „Baker 3“, das jahrzehntelang – und hoffentlich heute noch – Kids auf die eingesessenen Sofas von Skate-Shops zog, klimpert „The Bob (Medley)“ von Roxy Music in Andrew Reynolds’ Part vor sich hin. Das Full-Length-Video von 2005 ist ein Meilenstein der Skateboard-Kultur. Der darin enthaltene Song „The Bob (Medley)“ ist ein von Bryan Ferry geschriebener und mit Roxy Music aufgenommenes Stück, das 1972 auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum erschien.
Und wie der Titel schon verrät: „The Bob“ ist ein Medley. Roxy Music spoilern vorab, was Hörer*innen bei diesem Track erwartet. Ganz konventionell ist dieses Medley aber auch nicht und fällt damit vielleicht eher in die Rubrik „Composition Change“.
Der Titel des Liedes ist ein Akronym für „Battle of Britain“ (deutsch: Luftschlacht um England). Während des Zweiten Weltkriegs, genauer zwischen Sommer 1940 und Anfang 1941, versuchte die deutsche Luftwaffe nach dem Sieg über Frankreich mit Angriffen im britischen Luftraum die Kapitulation Großbritanniens zu erzwingen. Die daraus resultierende Luftschlacht war eine Serie von Gefechten, die von der deutschen Luftwaffe gegen die britische Royal Air Force geführt wurde. Im instrumentalen Break sind die Schüsse und Explosionen der Schlachtfelder zu hören.
Eben diese Schlachtgeräusche leiten den zweiten Teil des Songs ein. „Too many times beautiful/ Too many times sad“. Anders: Den Einschub eines refrainartigen Parts mit Gitarrensolo, auf den die Psych-Rock-Strophen der ersten Minuten später dann wieder folgen. Hier fehlt eine klassische – wenn man sie überhaupt so nennen kann – Unterteilung in zwei unterschiedliche Song-Abschnitte. Doch wie bereits geklärt, sind die Grenzen nicht immer trennscharf. Gerade das macht den Track zu einem äußerst interessanten und vermutlich auch zum Grund, warum Andrew Reynolds darauf Frontside Flips abliefert.
„Empire Ants“ von den Gorillaz
Wie es sich anhört, wenn zwei sich klar von einander unterscheidende Stücke innerhalb eines Titels ineinander verschmelzen, kann man bei „Empire Ants“ hören. Dieser vergleicht das Treiben der Menschheit mit dem geordneten Marsch eines Ameisenreichs, der oft nur vom Vorausberechnen der Schritte des vor einem laufenden Insekts zusammengehalten wird. Jeder Ameise, als Teil des großen Ganzen, wird von ihren eigenen Wünschen in der (nahen) Ferne angetrieben und zum Weiterlaufen animiert. „Working on the machine“.
Der erste Part der allegorisch im Song erzählten Geschichte handelt von den wenigen Gelegenheiten im Leben, in denen man einen Gang zurückschalten kann. Um anzuhalten, tief einzuatmen und das Ameisenreich von außen zu betrachten. In diesen Momenten sehen wir die Welt, wie sie wirklich ist, weil wir die Objektivität besitzen und abgesondert des Systems Frieden mit uns selbst finden.
Doch dann kommt der klassische „Montag“ und wir marschieren weiter. Dieser Bruch ist ebenso prägend für das Stück, das nun ein anderes ist. Mit kavinskyesker musikalischer Untermalung verschwimmen die Erinnerungen und der Alltag geht weiter. „Little memories, marching on/ Your little feet, working the machine“. Die surrealen Momente der Klarheit und der stillen Harmonie sind vorüber.
In Zusammenarbeit mit Little Dragon entstanden mit „Empire Ants“ und „To Binge“ zwei der schwer fassbaren und geheimnisvollsten Stücke auf „Plastic Beach“, das auch Toptracks der Gorillaz wie „Rhinestone Eyes“ und „On Melancholy Hill“ beinhaltet.
In einem Interview mit „NME“ erklärte Murdoc Niccals (Bass), der Song sei „ein Moment der Ruhe inmitten der Hektik. Vieles davon habe ich aus der Titelmusik von ‚Tomorrow’s World‘ gesampelt, und die Sängerin ist Yukimi Nagano von Little Dragon, einer schwedischen Elektronikband. Eigentlich war es 2D [Leadgesang und Keyboard], der mich auf Little Dragon aufmerksam gemacht hat. Er hat mir diesen schönen Song von ihnen namens ‚Twice‘ vorgespielt, den er zum ersten Mal in der Fernsehserie „Grey’s Anatomy“ gehört hat.“
„In the Court Of The Crimson King“ von King Crimson
Wenn es ein Treppchen in dieser Liste gäbe, wäre King Crimson ganz oben mit dabei. Über Geschmäcker lässt sich bekanntermaßen streiten. Nicht aber über Quantität: Denn mit ihrem Album „In the Court Of The Crimson King“ von 1969 schuf die US-Band das Übermaß einer Songstruktur, das zuvor spaßeshalber „Songception“ genannt wurde. Auf vier der fünf Tracks der Platte sind Beiwerke mit eingearbeitet. Bei zwei von vier sind es sogar jeweils doppelte Expansionen.
King Crimsons Debütalbum „In the Court Of The Crimson King“ gilt ohnehin als wegweisend im Progressiv-Rock, aber auch Genre-übergreifend hatte die Band mit ihrem Werk auf viele Platten der 70er Einfluss. Sogar 2010 wird sie noch hochkarätig gesampelt: Manchen wird der Refrain zu „21st Century Schizoid Man“ bekannt vorkommen – Kanye West brachte ihn im Song „POWER“ recht präsent unter.
Chromatische Tonfolge, Taktwechsel, Up-Tempo-Jazz-Rock und ein musikalisches Ausklingen einer Zeit, die man heute sowohl mit „Peace and Love“ als auch gesellschaftlichen Unruhen verbindet – textlich beschwören manche Zeilen jene dystopische Zukunft herauf, die stark an den instabilen Dekadenwechsel erinnert. „Politicians‘ funeral pyre/ Innocents raped with napalm fire“.
Es heißt, die Entscheidung der Nutzung von Songs in den Songs – die eben auch in den Titeln so gekennzeichnet werden – sei eine reine PR-Entscheidung gewesen. Song fünf zum Beispiel trägt den Titel „The Court Of The Crimson King ([Including] The Return Of The Fire Witch and The Dance Of The Puppets)“, weil das Management erklärt hätte, dass sich das Album besser verkaufe, wenn letztlich mehr Songs draufstehen würden.
In der Single-Version der Tracks sowie auf älterem oder in Deluxe-Versionen enthaltenem (Zusatz-) Material fehlen die Einschübe wie „The Dream“, und „The Illusion“ bei „Moonchild“ ohnehin. Darum könnte es schon fast als Composition-Switch-Album durchgehen, wenn denn nur auch die mystische Ballade „I Talk To The Wind“ einen zusätzlichen Song beinhalten würde. Es ist der einzige Track, der kein „Including“ im Titel trägt.
Markenzeichen des Albums ist wohl unbestritten „21st Century Schizoid Man“ – das erste Stück auf „In the Court Of The Crimson King“. Im trägen wie tragenden Riff des Stücks sind auch einige der Grundsteine zu erkennen, die später zu Subgenres wie Desert-Rock oder Doom führen sollten. Der darin enthaltene Song im Song „Mirrors“ stellt die angespannt Lage jenes schizoiden Menschen des 21. Jahrhunderts dar – ein jazziges Gitarrenriff das in rasendem Tempo und teils unzusammenhängenden Rhythmen wiederholt wird und die Psyche jener gezeichneten Figur klanglich abbildet.
„Wer??“ von 2LADE
Wer?? 2LADE. Gesprochen „Blade“, spielerisch in seinen Texten auch mal wie „too late“. Der Kölner Künstler bedient sich dem aus Großbritannien stammenden Grime – musikalisch an diese Genres angelehnt, mangelt es auch an Nike-Outfits oder gefährlich aussehenden Jungs in Tiefgaragen nicht. Passend zur tief brummenden Stimme des Rappers. 2LADE hat aber noch eine Besonderheit: Die Figur, die er im öffentlichen Rahmen wie mit seinen Videos erschafft, ist – wie sein Name vielleicht vermuten lässt – an die Comic-Figur Blade angelehnt, die im Marvel Universum existiert. Er ist Vampirjäger und selbst zur Hälfte ein Blutsauger.
1998 erschien der erste Teil der letztlich entstandenen „Blade“-Trilogie mit Wesley Snipes in der Hauptrolle. Zum Glück lange bevor das Marvel-Franchise die Kinos mit Müll flutete, denn der erste Teil ist – so trashig er damals schon war, und zwei Jahrzehnte später umso mehr wurde – feinste Unterhaltung des Splatter-Genres. Man denke an die Szene, in der Snipes durch einen Club voller Techno-Halbtoten läuft, bis es schließlich Blut regnet und es kubikliterweise den Raum flutet. 2LADE spielt bewusst mit dieser Rolle und lässt dies in sozialen Netzwerke wie seinen Texte mit einfließen.
Mit „WER??“ demonstriert 2LADE, dass man zwei Songs auch in dreieinhalb Minuten unterbringen kann. Für Streamingplattformen wurde der erste Teil übrigens gekürzt. Vielleicht weil die Aufmerksamkeitsspanne der typischen Hörer*innen nicht über den ersten Teil des Tracks hinaus reicht. Als Musikvideo ist „WER??“ aber in voller Länge zu hören.
2LADE verwertet hier im Refrain auch eine alte Deutschrap-Single von B-Tight, die vor allem wegen ihres absurd niedrigen Trash-Niveaus Ende der 2010er Jahre vermutlich vor jedem mit Chips und Eistee zugemüllten Couchtischen in Deutschland im Kanon gesungen wurde.
Aufgrund der äußeren Umstände mag der erste Teil des Tracks vielleicht als Intro verstanden werden. Dafür hat er aber zu viel Struktur eines vollständigen Stücks. Sicher, eine Minute für ein Intro ist kein halber Song, bei einer Gesamtlänge und einer Algorithmus-freundlichen Durchschnittslänge von irgendwas mit zwei Minuten aber irgendwie schon.
„GLOWED UP“ von Anderson .Paak + KAYATRANADA
Noch ein Beispiel, das sich in seiner Komposition mit dem Beat Switch deckt: Bei „GLOWED UP“ findet sich wieder ein fließend eingeleiteter Bruch im Song, der das Lied nach gut drei Minuten teilt. Die Partyhymne wird im Club hier wahrscheinlich gewechselt. Tanzbar ist der zweite Teil des Stücks vermutlich auch, trotzdem rutscht „GLOWED UP“ vom basslastigen Bewegungstrainer zum verträumt Jazz-rhythmischen Augenschließer.
„Glowed up“-sein ist eine (umgangssprachliche) angloamerikanische Redewendung, die eine drastische Veränderung zum Besseren beschreibt. Zum Beispiel ist aus dem hässliche Entlein ein schöner Schwan geworden. Anderson .Paak war zusammen mit seiner Frau und Kind während den Anfängen seiner musikalischen Karriere kurze Zeit obdachlos geworden, heute ist er Multimillionär. KAYATRANADA liefert die Instrumentals, die einen die Euphorie spüren lassen, die einem mit den Lyrics ins Gesicht gepfeffert werden. Es mögen auf den ersten Blick die klassische „Dicke-Eier“-Rap-Vocals sein, aber wer kann schon von sich behaupten „started from the bottom now we here“ derart zu verkörpern?
Ohne Bezug zum ersten Part wird alles verworfen und so mit dem zweiten Abschnitt etwas Neues geschaffen. Zwei Minuten Outro oder ein neuer Track? Vielleicht. Ansichtssache. Aber was spricht dagegen, nicht zwei Songs in einen packen zu können und Pop-Konventionen wie vorgeschriebene Kommerz-Schemata zu durchbrechen?
Honorable Mentions
Klassische Medleys wären zum Beispiel „Aquarius/Let the Sunshine“. In von den Fifth Dimension aus dem Jahre 1969 – dem vielleicht erfolgreichsten Medley der Popmusik – oder „Somewhere over the Rainbow / What a Wonderful World“ von Israel Kamakawiwoʻole.
Die britische Prog-Rock-Band Camel schlägt da eher wieder etwas unkonventionellere Wege ein – auch wenn der Titel in manchen Versionen sogar das Medley benennt. Klassisch im Stil des Progressiv-Rocks nähert man sich in der Umsetzung dabei eher King Crimson oder vielleicht auch Felt aus dieser Liste an und liefert in 12 Minuten so viele unterschiedliche Kompositionen, dass man mit dem Zählen hinterherhinkt.
Auch A$AP Rocky hat mithilfe des präsenten Moby Samples, Porcelain, einen Track kreiert, der hier ehrenwert genannt werden soll. „A$AP Forever“ bedient sich verschiedener Teile des Originals und baut seine Neuinterpretation in zwei Akten auf. Auch hier unterscheidet sich das Stück im Musikvideo zu der reinen Audiodatei auf Streamingplattformen oder physischen Kopien. Das Musikvideo ist übrigens ein Meisterwerk, leider auf YouTube aber durch eine Altersfreigabe beschränkt.
Auch SICKO MODE von Travis Scott mit Drake wäre ein gutes Beispiel für einen „Beat-“ alias „Section Switch“ gewesen. Zumindest musikhistorisch, denn der Track hat immerhin im ganz grob betitelten Hip-Hop-Genre dafür gesorgt, dass mehr und mehr Produzenten aber auch Künstler*innen sich auf die unkonventionellen Pfade des Kompositionswechsels begeben. Da der Track aber wirklich nicht gut ist, reicht es nur für diese kurze Nennung – auf der Liste der neubetitelten „Composition Changes“. Songs, die eigentlich mehrere sein könnten.