Soll die Loveparade weitergehen?
Nach der Katastrophe von Duisburg: DJ Tom Novy glaubt, dass eine Fortsetzung der Parade das richtige Zeichen wäre, Dr. Motte dagegen findet andere Fragen wichtiger.
Pro
Meine erste Loveparade erlebte ich 1991, am Ku’Damm in Berlin. Als Teil einer Jugendbewegung, die anders als alles war, was es vorher gegeben hatte. Dass aus Techno später ein Riesenbusiness wurde, war jedoch unausweichlich. Im Nachhinein kann man sagen, dass es falsch war, die Markenrechte 2006 an den Fitnessclub-Unternehmer Rainer Schaller zu verkaufen – aber hätten die Verantwortlichen nicht gehandelt, wäre es mit der Parade schon früher vorbei gewesen. Weil die Politik im Weg stand, weil man sich mit der Stadt Berlin nicht mehr einigen konnte. Weil die Unterstützung fehlte und man daher einen Sponsor brauchte.
Ich war selbst in Duisburg dabei. Ich habe aufgelegt, während ohne mein Wissen in unmittelbarer Nähe Menschen starben – tagelang habe ich daran geknabbert. Ob es wirklich eine Panik verhindert hat, dass die Party weiterlief, darüber kann man nun endlos diskutieren.
Die Konsequenzen sind aber längst nicht so klar, wie von vielen behauptet wird. Natürlich muss erst alles aufgearbeitet werden, und die Protagonisten haben die Pflicht, die Verantwortung für den schrecklichen Mist zu übernehmen, den sie gebaut haben. Aber obwohl Rainer Schaller viel Geld für die Marke ausgegeben hat: Er hat nicht das Recht zu sagen, die Loveparde wäre nun vorbei. Das wäre so, als würde er uns erklären, unsere Jugendbewegung sei am Ende.
Die Schuldigen zu bestrafen und die Parade dann zu beerdigen – das reicht einfach nicht. Nach allem, was geschehen ist, ist es Schallers Pflicht, die Rechte an der Loveparade jetzt freizugeben. Und die Politiker, die in den letzten Wochen ihre Bestürzung geäußert haben, sind gefordert, die Parade zurück nach Berlin zu holen. Vielleicht nur für ein einziges Mal. Um auszuprobieren, ob der Spirit noch trägt. Gerade nach einer solchen Katastrophe müssen wir der Welt zeigen, dass die Ideale der ersten Stunde nicht auch in Duisburg gestorben sind.
Man könnte den brand Loveparade in einen gemeinnützigen Verein umwandeln, der sich mit Spendengeldern finanziert und an dem alle Protagonisten der Szene beteiligt sind. Natürlich brauchen wir die weitsichtigsten Sicherheitsvorkehrungen, die denkbar sind. Es wäre auch eine Parade zu Ehren der Toten und Verletzten. Eine Demo, wie damals.
Eine Veranstaltung mit so positiver Message haben wir in Zeiten wie diesen bitter nötig. Wir haben die größte Party der Welt – jetzt brauchen wir nur den Mut, sie nicht sterben zu lassen.
Thomas Reichold alias Tom Novy ist international bekannter House-DJ, Produzent und Moderator. Unter anderem legte er regelmäßig auf der Loveparade auf.
Contra
Für mich ist die Loveparade verbrannt, und zwar schon seit 2006. Damals wurde sie von McFit-Geschäftsführer Rainer Schaller übernommen. Das war die Zeitenwende, danach kam nur noch inhaltsleeres Halligalli, das hatte nichts mehr mit den Werten zu tun, die mir einmal wichtig waren und sind.
Jetzt, nach dieser ungeheuren menschlichen Katastrophe von Duisburg, ist sie endgültig gestorben. Zudem hat Schaller die Namensrechte, deren Wert er selbst einmal mit 40 Millionen Euro beziffert hat, die würde ein profitorientierter Unternehmer wie er nie einfach verschenken. Das Namensproblem ist aber unwichtig, weil der Spirit ohnehin immer in Berlin und in der Szene geblieben ist.
Aber wer sollte jetzt überhaupt noch die Verantwortung für eine Millionen Menschen übernehmen, die wahrscheinlich kämen? Wer würde mit der Stadt sprechen? Wer würde so eine Parade organisieren? Wer hat die Kompetenz dazu? Wer würde sie bezahlen? Wer würde die notwendigen rund vier Millionen Euro aufbringen? Eine sichere Veranstaltung kostet monatelange Vorbereitung und viel Geld.
Vor den Paraden in Berlin arbeiteten bis zu 1000 Leute rund um die Uhr, damit alles glatt läuft. Sicherheit muss immer oberste Priorität haben. Ich kann nur eindringlich davor warnen, so ein Event überstürzt auf die Beine zu stellen, bloß um ein Zeichen setzen zu wollen. Aber das sind sowieso alles nur technische Fragen, die vom eigentlichen Kern ablenken.
Etwas anderes ist viel entscheidender. Wir können nach diesen Entwicklungen nicht einfach weiterfeiern, wir müssen uns fragen: Was wollen wir inhaltlich erreichen? Es geht um unsere Freiräume – auch für die elektronische Musik -, die wir gegen den Staat und neoliberale Angriffe verteidigen müssen. Es geht um Freiheit und Menschlichkeit. Deswegen engagiere ich mich bei Megaspree, einem offenen Bürgerbündnis, das sich in Berlin unter anderem auch gegen den Ausverkauf Berlins einsetzt, das ist meine neue Heimat. Es geht um langfristige politische Arbeit und neue Netzwerke, bei denen möglichst viele mitmachen können.
Falls jemand aus der Szene doch so eine Veranstaltung auf die Beine stellen sollte, würde ich meine Unterstützung von zwei entscheidenden Punkten abhängig machen: Wie steht es um die Sicherheit der Besucher? Und: Was wollt ihr inhaltlich? Denn feiern alleine hat mir noch nie gereicht. Mögen alle Menschen glücklich sein.
Matthias Roeingh alias Dr. Motte gründete in Berlin 1989 die Loveparade, deren Namensrechte er und seine vier Mitgesellschafter bis 2006 besaßen.