Solange der Vorrat reicht
Spätestens, wenn der Mann im Fernsehen sagt, die 5-CD-Box mit den Hits der sechziger Jahre („Der Sound einer ganzen Generation“ oder ähnlicher Mist) gebe es in keinem Geschäft und nur auf telefonische Bestellung, müsste der Fall klar sein. Man könnte doch keinen Plattenladen-Besitzer davon abhalten, einen Artikel einzukaufen, den er interessant findet. Deshalb gibt es mit wenigen Ausnahmen alle guten Tonträger auch in irgendeinem Geschäft dieser Welt, zumindest theoretisch.
Sogar das letzte Bon Jovi-Album „Bounce“, erschienen im Herbst 2002. An einem ganz normalen Samstag, 12. April dieses Jahres, muss das öffentliche Interesse an „Bounce“ eigentlich zwischen gering und null gelegen haben, aber an diesem Tag meldete der britische Shopping-Sender QVC, man habe eben 21000 Exemplare davon verkauft. Im Rahmen einer sicher köstlichen Dauerwerbesendung beantworteten die Bandmitglieder Zuschauerfragen, und wer anrief, bekam für umgerechnet 20 Euro CD und DVD. Attraktiv. Auf zwei Wochen verteilt würden 21 000 derzeit wohl reichen, um zwei Mal Nummer eins der Charts zu sein. QVC verkaufte die Bon Jovi-CDs in zwei Stunden.
Solchen Werbeaufwand kann man selten treiben, trotzdem haben selbst die Marktführer im so genannten stationären Handel (also den gewöhnlichen Läden) bei dieser Nachricht Angst gekriegt. Bis der Wirtschaftsaufschwung, das große Phantom, irgendwann richtig schwingt, wird in Deutschland wenig gekauft, schon gar keine Tonträger – doch in diese Minus-26-Prozent-Stimmung der Plattenbranche hinein melden die Musik-Mailorder insgesamt steigende Marktanteile. Ein paar Zahlen müssen hier sein (es wird wieder lustiger): 15 Prozent aller Platten wurden im deutschen Handelsjahr 2002 per Post gekauft, rechnete die Zeitschrift „Musikwoche“ kürzlich hoch. Allein der Anteil der Internet-Versandhäuser (neun Prozent) sei das Ergebnis einer zehnfachen Steigerung im Lauf der letzten vier Jahre, und – Obacht! – es könnten bald noch mehr werden.
Offiziell lachen die hünenhaften Elektromärkte über solche Pipifax-Zahlen, aber es ist ihr empfindlichster Punkt: Die großen Ketten schlagen die lieben kleinen Konkurrenten an der Straßenecke ja vor allem damit tot, dass bei ihnen alles billiger ist. Die Onliner kriegen sie auf die Art nicht klein, denn die haben Tag-und-Nacht-Service, länger als die späteste Ladenschlusszeit, sie sind leichter zu erreichen und besorgen auch absurdes Zeug, das sich die Großen nie ins Lager stellen würden, das sich aber mancher Bon Jovi-Käufer noch in den Warenkorb klickt, um die Portofreigrenze zu überhüpfen. Wenn Internet-Verkäufer wachsen, verliert also nicht nur der Pluto-Markt ein halbes Prozent, sondern der stationäre Handel an sich mit all seinen Prinzipien. Ebay mit angeblich zehn Millionen deutscher Kunden ist noch nicht mal drin in der Statistik.
Ein musikalisch wenig interessierter Konzernherr, der in den neunziger Jahren vom CD-Boom las und deshalb vom Seifengroßhandel in den Tonträgermarkt gewechselt ist, kriegt von solchen Entwicklungen schlechte Träume. Dem Liebhaber ist es erstmal egal. Der erinnert sich daran, dass man ihm schon vor zehn Jahren orakelt hat, es gebe bald keine Plattenläden mehr. Und obwohl es für viele Geschäfte zu eng wurde und wird, existieren die klug gemanagten Nick-Hornby-Paradiese noch immer. Auch in diesem Pop-Mikrokosmos, wo statt Prozenten höchstens Promille des Marktes umgesetzt werden, ist der Mailorder für die Versorgung unverzichtbar, über Internet oder Papierkatalog.
Wenn man mit Plattensammlern redet, bekommt man sogar den Eindruck, dass ein Kunde im Versandladen mehr interessante Dinge erlebt. Einer erinnert sich mit roter Freude daran, wie er das Paket aufreißt und feststellt, dass er eine der 500 Farbvinyl-Pressungen des ersten Bis-Albums erwischt hat. Oder: Am Telefon sagt ein barscher Mitarbeiter, die einzige Pavlov’s Dog im Klapp- cover sei schon weg gewesen – und sie kommt trotzdem an. Lustig: vertauschte Lieferungen und der voyeuristische Spaß, zu sehen, was ein anderer bestellt hat. Zum Klagen: Die Karte kommt einen Tag zu spät an, die höheren Preise des nächsten Katalogs gelten schon.
Plattenbestellen ersetzt nicht den Laden, es ist eine Kultur für sich. Weil es Importe, Restposten und auf dem Landweg Unerreichbares gibt, solange der Vorrat reicht, fast wie bei den Fernseh-CD-Boxen. Und weil es jeder halbwegs
analfixierte Sammler liebt, wenn nach einer durchgemachten Nacht über dem Katalog die Spannung weiter andauert. Wann kommt die Post? Was war wirklich lieferbar?
Und warum kommt das Päckchen vom Soundhouse-Versand im ostwestfälischen Brakel nicht an? Soundhouse-Chef-Einkäufer Detlev von Duhn bekam die Frage monatelang gestellt und durfte sie nicht wahrheitsgemäß beantworten. Erst Anfang des Jahres, als alles offiziell war, setzten sie die Insolvenz-Meldung auf die Homepage. Die zweite innerhalb von zwei Jahren, damals war Rettung gekommen, dieses Mal nicht. Man erwartet nun, dass von Duhn zur Rechtfertigung die gewohnte Litanei über Brennerei, MP3s und Umsatzrückgänge darbietet, die meistens „drastisch“ sind, doch er sagt: „Sicher spielt das eine Rolle, aber wir und die anderen kleinen Mailorder sind längst nicht so massiv betroffen wie viele Läden. In 2002 hatten wir bis Ende September zwar Rückgänge um die 15 Prozent, aber das lag mehr daran, dass wir keine Werbung schalten konnten und der Service nicht mehr optimal funktionierte. Ohne die Probleme hätten wir vielleicht sogar Zuwächse gehabt.“
Woher die Probleme kamen, dazu später. Von irgendwoher müssen ja auch die bis zu 20 000 Stammkunden gekommen sein, die Soundhouse am Ende hatte.
Von Duhn, 47, Typ aufgeweckter Hobbythek-Moderator und Sammler, der sein 5000er Plattenregal daheim als relativ klein bezeichnet, war seit der Firmengründung 1991 dabei. Es war die Zeit, als deutsche Mailorder noch ganzseitige Anzeigen in den Pop-Zeitschriften schalteten: Aus dem legendären Govi war Groovers Paradise hervorgegangen, es gab Malibu, ein paar Nummern größer jpc, Zweitausendeins und Disc Center, den europäischen Marktführer, der mit seinen 49-Pfennig-Singles als Lockmittel täglich frische Adressen aus dem eben befreiten Osten reinbekam.
Soundhouse fand seine Nische. Vertrieb man erst noch vor allem die über Gesetzeslücken legalisierten Bootlegs des „Swingin‘ Pig“-Labels, kam man bald auf das bewährte Programm aus Progressive Rock, Blues, Folk und Indie, Reguläres, Importe, Raritäten. Tauchten in irgendeinem Lagerhaus prähistorische Joy Divison-Singles auf oder in den USA Neues aus dem Grateful Dead-Verließ, erfuhren die Soundhouse-Kunden das spätestens zum Monatsersten. Man überlebte einige Konkurrenten, bekam neue dazu. Malibu verendete Ende der Neunziger: Missmanagement. Disc Center: das Gleiche, zu schnell zu groß geworden. Als die Insolvenzverwalter dort das Lager öffneten, trauten sie ihren Augen kaum. Von manchen Platten standen hier 30 000 Exemplare, ein Beispiel für den Irrsinn, alle Vorteile des Mailorder-Betriebs für minimale Stückpreise zu opfern.
Vorteil 1: Ein Mailorder muss nicht alles da haben. Er wäre blöd, denn Lagerflächen kosten viel, und normal erhältliche Platten bekommt er von den Vertrieben innerhalb weniger Tage. Ein kundenpsychologisches Phänomen auch: „Die Leute bestellen in der Regel nicht im Plattenladen“, sagt Reinhard Holstein von Glitterhouse, „beim Mailorder haben die eher das Gefühl: Die haben das.“ Was die Versandhäuser wirklich im Lager haben: Importe oder Vinyl mit langen Lieferzeiten. Restposten, die nicht mehr gepresst werden. Und die neuen Platten, bei denen sie vermuten, dass der Ansturm groß ist. Einige kleine Häuser, so hört man, machen ihre Deals sogar direkt mit den Plattenlabels und umgehen so die Vertriebe – worüber die sich ärgern, weil sie nichts dran verdienen.
Vorteil 2: Ein Mailorder hat eine unbezahlbare Menge an Daten über seine Kunden. Er kennt ihre Gewohnheiten, er weiß, wo sie wohnen, kann einfach Umfragen machen. „Wir dachten ja zuerst, dass wir vor allem Kunden ansprechen, die keinen Laden in der Nähe haben, dass wir also die Großstädte vergessen können“, erzählt Detlev von Duhn. „Aber das war nicht der Fall. Wir hatten schon viele vom Land, aber auch jede Menge aus Hamburg, Berlin oder Köln. Das wundert mich bis heute.“ Es deckt sich mit dem, was die Leute von
anderen kleinen bis mittelgroßen Häusern wissen. Grob gesagt, ist der Durchschnittskunde männlich, jenseits der 30, kaufkräftig genug, um seine Leidenschaft für Originale zu stillen, und kaum in Gefahr, CDs zu brennen. Die meisten bestellen bei mehreren Versandhäusern, verteilen von Monat zu Monat ihr Budget. Auch die sprichwörtliche Ärzte- und Rechtsanwalt-Zielgruppe, die keine Zeit zum Einkaufen hat, ist dabei. Außerdem die, denen der Plattenladen weggestorben und der Verkäufer im Elektromarkt zu inkompetent ist. Wenn die sich alle dicht zusammenstellen, kann man sie in der oben zitierten „Musikwoche“-Statistik sicher erkennen.
Die Nachteile: Druck und Versand der Kataloge (die interessanterweise allen, die erst nachträglich ins Internet gingen, als unerlässlich erscheinen) ist teuer, bei manchen ein Drittel der Gesamtausgaben. Die lange Menschenkette zwischen Bestellannahme und Päckchenversand kostet Personal und ist katastrofenanfällig – zwei Leute können einen Plattenladen schmeißen, bei Soundhouse arbeiteten gegen Ende 20 Leute. Der Papierkatalog-Kunde muss die Platten ungehört kaufen, aber ausgerechnet das scheint das kleinste Problem zu sein. Kenner wissen, was sie wollen, und für die anderen Fälle sind die Heftchen von den getippten Listen, die man noch in den Neunzigern von professionellen Händlern bekam, im Lauf der Zeit zu Magazinen mit Bildern und Rezensionen pubertiert. Auch mit vertrauensbildenden Verrissen. „Wenn man von einer Platte, die keiner kennt und die null Presse hat, 500 Stück verkauft, das ist toll“, sagt von Duhn.
Das vorletzte Album von Reggae-Sänger Junior Delgado hatte er im Soundhouse-Katalog jubelnd besprochen, und obwohl dies seines Wissens die einzige deutsche Rezension war, wurde die Platte 700 Mal bestellt. Der Zomba-Vertrieb informierte ihn, dass dies 50 Prozent des nationalen Verkaufs waren. Glitterhouse-Mann Holstein sagt es hübsch: „Mailorder zu sein ist wie auf einer Insel zu leben. Wir müssen uns anstrengen, um die Leute dazu zu bringen, statt zwei CDs drei zu bestellen.“
Also ist auch Amazon eine Insel. Eine schnell aus dem Meer getauchte, große Insel, auf der andere Gesetze gelten. Auf der die Geheimhaltung so hoch ist wie in Entertainment-Konzernen. Im ersten Quartal 2003 seien die Umsätze der ausländischen Filialen im Vergleich zum Vorjahr um 68 Prozent gestiegen, meldete neulich die Zentrale in Seattle – wieviel davon auf Deutschland und den Tonträgerbereich fällt, kann man nur hintenrum herausbekommen wie die „Musikwoche“, die bei Vertrieben nachfragte, wieviel sie denn an Amazon geliefert hätten.
Man kann in die Platten online reinhören. Es funktioniert sogar. Kataloge braucht keiner. Alles, was bei den Vertrieben lieferbar ist, lässt sich bestellen, auch viele Importe. Amazon, die Internet-Dienste von jpc und WOM (die mittlerweile von der gleichen Firma geführt werden; der Metro/Kaufhof-Konzern, zu dem WOM gehört, besitzt zudem um eine Ecke herum die Hälfte des jpc-Unternehmens) und andere Online-Häuser ärgern nicht nur – siehe oben – die stationären Billigheimer, sondern haben auch noch die meisten der Mailorder-Nachteile eliminiert. Amazon konnte nach intensiver Suche sogar mehr Vorteile finden.
„Bei Amazon stehe ich nicht vor einem Regal, wo jemand etwas für mich vorsortiert hat, und irgendwann ist das Regal zu Ende. Im Gegenteil, das Regal ist bei uns unbegrenzt, und es gibt zusätzlich individuelle Vorschläge und überraschende Querverbindungen“, formuliert Stephan Roppel, Director Media und Export in der Deutschland-Zentrale in München. Dort sitzt ja keine lustige Redaktion, die sich Empfehlungen ausdenkt: Das sind reine Ableitungen aus dem, was man selbst und die anderen gekauft oder angeklickt haben. Objektiver, statistisch wahrscheinlicher. Manche befürchten doch, dass ihnen der muffelhansige Plattenhändler oder Katalog-Rezensent nur seine neue Lieblingsplatte unterjubeln will.
Amazon will nicht, dass die Leute noch anderswo bestellen und ihr Budget verteilen. Bringt man im Gespräch mit den Kleineren die Rede darauf, leugnen manche mit großer Beharrlichkeit die Gefahr: Den Teufel gibt es nicht. Andere, wie der auf Garagen-Rock’n’Roll, Punk und Indies spezialisierte Flight 13, berufen sich auf eine Szene-KlienteL, die fest zu ihnen steht und ihnen jetzt schon erlaubt, über die angebliche Umsatzkrise nur zu grinsen. Andere geben leicht zerknirscht zu, dass es gegen Amazon mit der Zeit schon schwer werden könnte, und einer resümiert in freundlichem, informiertem Zynismus, dass er ohnehin gelassen auf den Branchen-Kollaps warte: Wolfgang Müller, 53, Geschäftsführer von Zweitausendeins, seit 1971 dabei.
Es stimme schon, sagt Müller, dass die mittelständischen Mailorder weniger betroffen seien, aber die sollten sich nicht zu früh freuen: „Das Prinzip ist doch: Die großen stationären Händler machen erst alle Mitbewerber platt, aber wenn sie dann immer noch nichts an ihren CDs verdienen, werden die sich gut überlegen, ob sie die nicht nach und nach rausschmeißen. Auch Indie-Labels sind darauf angewiesen, dass ihre CDs bei Saturn oder WOM stehen. Wenn nicht, können die irgendwann ihre Lieferantenstrukturen gar nicht mehr aufrechterhalten.“ Und wenn es sich mangels Nachfrage nicht mehr lohnt, Platten im größeren Stil zu vertreiben, kriegen auch die Mailorder keine mehr – außer, sie strukturieren sich aufwändig selbst zu Vertrieben um. „Wenn es so weitergeht, steht der Plattenhandel bald auf dem Niveau eines modernen Antiquariats“, meint Müller. „Deswegen bete ich ausnahmsweise darum, dass meine Mitbewerber möglichst lange durchhalten.“
Soundhouse hat nicht durchgehalten. Die Chefs wollten zu schnell expandieren, haben zu viele Adressen und Computerprogramme gekauft, mussten dann Leute entlassen und so weiter. Eine englische Firma griff rettend ein, machte dann aber die gleichen Fehler: Soundhouse sollte Zentrale eines europäischen Riesen-Mailorders werden. „Es lief gut an, dann sagten die uns im September 2001: Bis Weihnachten muss ein Katalog für England fertig sein“, erzählt Detlev von Duhn. „Da hab ich mich gefragt: Drehen die jetzt durch?“ Es gab kein neues Personal, trotzdem sollten spanische, französische, holländische Kataloge produziert werden, alles von Brakel aus gesteuert. Geld aus England kam selten, denn die Mutterfirma war gerade dabei, den Börsengang in den Sand zu setzen. Dann klingelte wieder der Insolvenzverwalter.
Von Duhn arbeitet jetzt als Journalist, wird bald auch Rezensionen für den Glitterhouse-Katalog schreiben, für das ehemalige Konkurrenzprodukt. Und vielleicht eröffnet er wieder einen Mailorder. Viel kleiner als früher, mit viel Vinyl und Sixties und nichts, mit dem er den neuen Auftraggebern in die Quere kommen könnte.“Ich weiß, dass das ziemlich verrückt und irgendwie krank ist“, grinst er verlegen. „Aber das sind wir wahrscheinlich alle. Das ist halt dieser Sammlertrieb.“
HEART of Darkness VON EUGEN SORG FOTOS: NATHAN BECK
EIN BESUCH BEI DEN KINDERSOLDATEN IN Ein Besuch bei den Kindern in Liberia
halb lauernd, halb schläfrig hatte uns der bewaffnete Halbwüchsige an einer der Straßensperren im Zentrum von Monrovia kurz gemustert, bevor er uns mit einem flüchtigen Kopfnicken zum Weitergehen aufforderte. Wir taten einige Schritte, als sich uns ein zweiter junger Mann in den Weg stellte. Er trug eine Art HipHop-Outfit mit Nike-Kopftuch, Britney-Spears-T-Shirt, weiten Hosen und riesigen Turnschuhen, und er begann sofort, wütend auf mich einzureden. Er sprach das hiesige Englisch, eine Form von Pidgin, und es dauerte einige Zeit, bis ich ihn verstand. Die Holzlatte der Straßensperre reichte nicht ganz bis zum Gehsteig, und ich hatte die Sperre durch diese Lücke passiert anstatt auf dem Gehsteig selbst. Und das war seiner Meinung nach ein großer Fehler gewesen, ein gefährlicher sogar.
„Das“, schnauzte der HipHop-Mann, „ist nämlich strikt verboten.“ „Wieso verboten?“, wollte ich wissen. „Weil es verboten ist.“ Er starrte mich drohend aus ungesunden, gelblich-roten Augen an. Er hatte offensichtlich Befehlserfahrung und wollte mich demütigen. Eine Weile standen wir uns schweigend gegenüber, wie zwei kampfbereite Hunde. Die Soldaten der Straßensperre beobachteten uns, einige Passanten blieben in sicherer Entfernung stehen. Es war eine lächerliche und gleichzeitig sehr ungemütliche Situation. Wir hatten kaum zehn Minuten zuvor das Hotel „Mamba Point“ verlassen, es war unser erster Morgen in Liberia, ich wusste nicht, wie die Lage einzuschätzen war. Schließlich wandte ich den Blick ab™ Die englische Zeitschrift „Economist“ verlieh Liberia für das Jahr 2003 den Titel des „schlimmsten Landes der Welt“. Auf der Negativ-Skala rangiert es noch hinter den Bürgerkriegs-Ruinen Afghanistan oder Somalia. Was Wirtschaft, Sicherheit, Lebensqualität betreffe, sei es der Schandfleck unter den Nationen. Dabei hatte das kleine westafrikanische Land hoffnungsvoll wie ein milder Frühlingsmorgen begonnen. Amerikanische Philanthropen hatten im Jahre 1821 an der damaligen Pfefferküste für ein paar Fässer Rum, Tabak und Schießpulver von den ansässigen Häuptlingen ein Stück Land erworben. Dort siedelten sie freigekaufte amerikanische Sklaven an, die 1847 stolz die unabhängige Republik Liberia ausriefen. Den Staat schmückte eine der modernsten ferfassungen der damaligen Welt Die ehemaligen Sklaven beeilten sich jedoch, das System ihrer ehemaligen Herren zu imitieren. Die Americo-Liberianer, Congos genannt, flanierten in Südstaatlertracht durch die Hauptstadt, verachteten die Eingeborenen und bildeten für die nächsten 137 Jahre eine abgeschottete Aristokratie, die die politische und wirtschaftliche Macht unter sich aufteilte.
„Ich werde dir Disziplin beibringen“, schrie mich der HipHopper triumphierend an. „Ach ja. Und wie?“ Ich versuchte den Gelassenen zu spielen. „50 Kniebeugen, hier auf der Stelle“, fuhr er fort und demonstrierte umgehend, wie die Übung auszusehen habe. Er ging vor mir in die Hocke, federte wieder hoch, winkelte dabei die Arme auf Kopfhöhe ab und steckte die Zeigefinger in die Ohren. Dies kam mir plötzlich derart absurd vor, dass ich in lautes Lachen ausbrach. „Ich wäre schon nach 20 tot“, prustete ich.
Der HipHopper hielt inne. „Nur 20?“. fragte er und schaute mich an. „Und dein Freund?“ Er zeigte auf Nathan, den Fotografen.“Der schafft die 50 natürlich ohne Probleme.“ „Und du nur 20“, wiederholte er kopfschüttelnd, „nein wirklich“.
Die Stimmung war auf einen Schlag gekippt, und er hatte sich in einen völlig anderen Menschen verwandelt Er begann ebenfalls zu lachen. „Wir wollen nicht dass du stirbst Du hast noch einiges Leben vor dir.“ Er klopfte mir freundlich auf die Schultern. Alles Gewalttätige war von ihm abgefallen. Er heiße übrigens Sla, zwinkerte er charmant, Sla George Geely Jr., und er sei ein Angehöriger der Security, der Sicherheitskräfte des Präsidenten Taylor. Er zog einen in Plastik eingeschweißten Ausweis hervor, den er an einem Kettchen um den Hals trug. Aber eigentlich sei er ein Rapper, „a rapa“, und er rappe jeden Abend. Zum Beweis sang er ein paar Verse und fuchtelte dazu mit den Armen. Es klang nicht schlecht in Putsch des 28-jährigen Samuel K. Doe beendete 1980 die schwarze Apartheid. Der Feldwebel überraschte Präsident Tblbert im Schlafzimmer, stach ihm ein Auge aus, vierteilte ihn, ließ dessen Minister am Strand von Monrovia erschießen, ernannte sich zum Fünf-Sterne-General und rief sich als erster NichtCongo zum Präsidenten aus. Die frei gewordenen Posten ersetzte er mit 25-jährigen Unteroffizieren aus dem eigenen Stamm.
Die neue Regentschaft zeichnete sich aus durch einen horrenden Verschleiß an Staatskarossen, gigantische Korruption, Voodoo-Politik und das unablässige Aufdecken von Verschwörungen. Samuel Doe, Liebhaber großer Brillen, halber Analphabet, Ehrendoktor der politischen Philosophie einer südkoreanischen Universität, konnte aber trotz der Hilfe der mächtigsten Fetischpriester des Landes nicht verhindern, dass er 1990 von bewaffneten Rebellen gefasst und abgeschlachtet wurde. Liberia versank in einem mehrjährigen Bürgerkrieg, der auch auf Nachbarstaaten wie Sierra Leone übergriff. Der von den Staaten der Region entsandten Friedenstruppe „Ecomog“ (Economic Community Monitoring Group) gelang es kaum, Stabilität herzustellen. Unter der Führung Nigerias wurde sie selber Partei in einem Gemetzel, in dem bis zu sieben Großbanden gegeneinander kämpften. Von den 2,5 Millionen Einwohnern sollten zwei Drittel zu Flüchtlingen gemacht und an die 150000 umgebracht werden.
Mehr als die Hälfte der Krieger waren Kinder. Die „small boys units“, in denen auch Mädchen kämpften, galten als besonders grausam. Sie zelebrierten einen gespenstischen Karneval, einen apokalyptischen Albtraum wie aus der Vtfelt von Hieronymus Bosch. In Frauenkleidern, Satin-Anzügen, Lumpen, Kirchen-Roben, nackt, mit blonden Perücken, sonderbaren Amuletten und Schweißerbrillen töteten, plünderten, vergewaltigten und verstümmelten sie. Sie gaben sich Kampfnamen wie Earth Quake Baby, Captain Cobra, Rebel King, General Saddam. Die Straßen Monrovias hießen Crack Alley, Death Row, Highway to Hell, die Checkpoints wurden mit abgeschlagenen Köpfen verziert, und als Absperrseil dienten menschliche Därme.
Von einem „enthemmten Blutrausch“ schrieb die nüchterne „Neue Zürcher Zeitung“ 1990, dieses Land sei „tiefer gefallen als je denkbar“. Und später, Ende ’94, erwähnte sie auch jenes Phänomen, über das meistens nur hinter vorgehaltener Hand berichtet wurde, und das die härteste Herausforderung für ein aufgeklärtes, humanistisches Menschenbild darstellte: „…es kursieren Gerüchte von Ritualen des Kannibalismus und ähnlichem.“ Sla wurde unser Guide in Monrovia. Er schien jeden in der Stadt zu kennen oder mit jemandem bekannt zu sein, der die betreffende Person kannte. Als erstes hatten wir ihn gefragt, ob er uns mit ehemaligen Kindersoldaten zusammen bringen könne. Kein Problem, hatte er geantwortet und uns direkt von der Straßensperre in den Osten der Stadt geführt, in den ehemals noblen Vorort Oldest Congo Tbwn. Dort, in einer kleinen, heruntergekommenen Siedlung, lebte eine Gruppe Bürgerkriegsveteranen, Männer um die 20, alleine oder mit ihren Freundinnen, Kindern, Verwandten.
Die Leute kannten Sla offensichdich, und später stellte sich heraus, dass er selber dort wohnte. Aber trotzdem löste unser Besuch tumultöse Reaktionen aus, und schon bald umringten uns schreiende, gestikulierende Männer. Wir waren in eine groteske, unwirkliche, erschreckende Szenerie geraten, in eine heillos aus den Fugen gerutschte Welt. Die ehemaligen Kindersoldaten wirkten wie defekte Roboter, denen man aus Versehen ein menschliches Herz eingebaut hatte.
Ein Hüne mit einer Wollmütze brüllte mir den Befehl zu, meinen Ausweis zu zeigen und ihm Turnschuhe zu kaufen. Er deutete dabei auf seine Beinprothese, an der eine Plastiksandale steckte. Ein anderer zeigte eine offene, eiternde Beinwunde und wiederholte unablässig: „no treatment“. Es klang nicht wie eine Klage, sondern wie eine Drohung. Ein schwankender Rastamann zwang Nathan, vor ihm zu salutieren, während ein Junge in einem schmutzigen Hemdchen sich durch die Menge pflügte, mir einen Ausweis auf die Brille drückte, sein wutverzerrtes Gesicht so nahe an mein Gesicht schob, dass ich seinen kranken Atem riechen konnte, und immer wieder schrie: „Ich bin ein berühmter Kommandant. Du bist verhaftet.“
Ich schaute mich nach Sla um, doch der war verschwunden. Es war zehn Uhr morgens, der Jungkommandant war sturzbetrunken oder sonstwie verladen, so wie etliche seiner Kollegen. Vielen fehlte ein Bein oder ein Arm oder ein paar Finger, einige hatten ein zerfetztes Ohr, eine eingedrückte Stirn oder ein totes Auge, jeder hatte Narben verschiedenster Art und Größe. Und ständig humpelten oder eilten neue Leute herbei, bellten sinnlose Kommandos, stierten uns mit verstörtem Ausdruck an oder fingen mit dem Nächsten grundlos einen furchtbaren Streit an, um ihn ebenso schnell wieder zu beenden, wie sie ihn angefangen hatten, und dann in eine Art Lethargie zu verfallen.
Endlich tauchte Sla wieder auf. „Wir gehen“, meinte er nur und tönte diesmal wie ein Regierungsbeamter. „Ihr braucht eine Bewilligung des Informationsministeriums, um mit den Leuten zu reden.“ Kaum traten wir einige Schritte aus dem Kreis heraus, erlosch das Interesse des Jungkommandanten und der anderen an uns augenblicklich, als hätten wir nie existiert. Nur eine kleine Gruppe folgte uns bis zur Straße, darunter ein aufgeregter Kahlrasierter mit einer schlecht verheilten Kopfwunde und geröteten Augen. Er versuchte die ganze Zeit mir etwas zu erklären, um sich plötzlich abzuwenden und auf eine junge Frau zuzusteuern, die hinter uns den Compound verließ. Wortlos krallte er eine Hand in ihr Haar, riss ihren Kopf nach unten und fing an, die andere, geschlossene Hand in ihrem Gesicht auf und ab zu reiben.
Das Mädchen schrie, wehrte sich, schlug um sich, versuchte, seine Hand wegzustoßen. Er aber hatte sich in ihr geradezu festgebissen und war nicht abzuschütteln. Niemand schritt ein, und erst nach einer Ewigkeit ließ er unvermittelt wieder von ihr ab. Sie wimmerte und drehte sich stampfend um sich selbst. Von der Stirn bis zur Wange leuchtete eine frische Wunde, rosa-violett und breit. Der Kahlrasierte hatte ihr mit einer Rasierklinge, die er die ganze Zeit schon in der Hand gehalten hatte, das Gesicht zerschnitten.
,“Rache“, sagte Sla, „dies war Rache. Das Mädchen hatte zuerst den Mann mit einer Flasche verletzt“ Sla redete völlig ungerührt, als sei die Angelegenheit bedeutungslos und alltäglich.
Was passiert jetzt?
„Man bringt ihn ins Gefängnis, und dort wird er verprügelt und eingesperrt.“ Auch für die übrigen schien die Sache beendet Die junge Frau verschwand nach einer Weile leise schluchzend, ohne dass einer sich um sie gekümmert hätte, während der Angreifer, der jetzt einen ruhigen Eindruck machte, sich widerstandslos von zwei Kollegen wegführen ließ. Es sah friedlich aus – so als seien die drei gerade unterwegs zu einer Bar.
es war der damals 42-jährige Charles Taylor, der die Rebellion gegen Doe angezettelt hatte. Der weltgewandte Absolvent eines Wirtschaftsstudiums in Boston erwies sich als stärkster der Kombattanten. Nachdem alle vorherigen Friedensabkommen gebrochen worden waren, wurde dasjenige von Abuja 1996 eingehalten. Taylors Truppen waren mittlerweile militärisch klar dominierend. Die Präsidentschaftswahlen vom folgenden Jahr gewann Rebellenfiihrer Taylor überwältigend mit 75 Prozent aller Stimmen.
Friedensvermittler und Ex-US-Präsident Jimmy Carter sprach angesichts des friedlichen Verlaufs von einem demokratischen „Wunder“. Etwas realistischer sahen es die Liberianer. „bu killed my pa. bu killed my ma. I’U vote for you“. skandierten sie auf den Wahlveranstaltungen Taylors. Alle wussten nur zu gut, dass er eine Nichtwahl nie akzeptieren würde. Sie würde den sofortigen Krieg bedeuten.
Präsident Taylor herrscht wie ein Gangsterboss über das Land. Liberia ist reich, im Boden liegen Diamanten, Gold, Eisenerz, es hat Wasser im Überfluss, in den Wäldern wachsen wertvolle Hölzer, unter seiner Flagge segelt die zweitgrößte Hochseeflotte der Welt. Aber es existiert nicht einmal ein offizielles Budget Der nationale Reichtum wird von Taylor als persönlicher Besitz behandelt. Sein Lebensstil ist aufwändig, und die vielen Freundinnen erwarten ebenso großzügige Geschenke wie die Richter und Minister, damit sie weiterhin so tun, als gäbe es eine Justiz. Und auch die Killer und Schläger seiner Geheimdienste müssen bei Laune gehalten werden, sonst können sie sein Leben nicht mehr schützen. Da bleibt nichts mehr übrig für den Rest der Bevölkerung, von der 85 Prozent keine Arbeit hat. Und Monrovia bleibt eine Müllhalde ohne Wasser und Strom.
Nachdem wir uns mit Hilfe von Sla und einigen Dollarscheinen ein Papier mit Stempel des Informationsministerium besorgt hatten, besuchten wir in den kommenden Tagen noch ein paar Mal den Compound. Obwohl sich jedesmal die chaotischen Szenen wiederholten, gelang es doch, sich mit einigen der einstigen Krieger zu unterhalten. Ihre Geschichten hörten sich alle ähnlich an, lapidar und furchtbar.
Roland, ein 18-Jähriger mit weichen, mädchenhaft hübschen Zügen, war neun, als er sich im Landesinnern einer „small boys unit“ des Kriegsfürsten Charles Taylor anschloss. „Wurdest du gezwungen?“ Er schaute einen Augenblick lang verdutzt, als habe er darüber noch nie nachgedacht, Jch war auf mich gestellt“, meinte er schließlich. „Die Eltern waren wegen dem Krieg in den Busch gerannt Und bei den Soldaten gab es zu essen.“
Nach vier Monaten wurde er von seinem Kommandanten, Colonel „Bad Bad Thing“, einem 15-Jährigen aus Monrovia, zum ersten Mal in den Kampf geschickt. Wenn man gehorche, sagte Roland, habe man ein gutes Leben, dann werde man nicht geschlagen. Sie schlichen sich so nahe an den Feind heran, bis sie ihn sehen konnten, es waren ebenfalls Kinder, sie stürmten schreiend los, Rolands Finger krümmte sich um den Abzug seiner Kalaschnikow, die er von einem getöteten Kollegen übernommen hatte, und er hielt den Abzug noch gedrückt, ab das Magazin längst leer geschossen war. Kurz vor dem Angriff
habe er Angst gehabt, sagte er, im Kampf selber nicht und auch danach nie mehr. „Du denkst nichts, du bewegst dich einfach vorwärts.“ Er lachte, und auch die Kollegen ringsum stimmten ins Lachen ein.
Wie alle anderen hatte auch Roland einen Kriegernamen bekommen: „Dirty Way“. Auf die Frage, wie er sich diesen Namen verdient habe, zögerte er, worauf ein einhändiger Kollege intervenierte. „Schau her“, sagte dieser und zog mit der intakten Hand Rolands T-Shirt hoch. Auf dessen Brust, aber auch auf den Armen und Händen sah man viele vernarbte Schnitte. „Dies sind Messerstiche“, fuhr er fort, „aber alle von den eigenen Soldaten. Man nannte ihn Dirty Way wegen seinen schlechten Manieren, er hatte oft Streit und wurde dafür bestraft.“ Wieder fanden dies alle lustig, und Roland lächelte verlegen wie ein Junge, der eben zum besten Torschützen der Klasse erklärt worden war.
„Was heißt bestraft?“ fragte ich. „Hör zu“, antwortete der Einhändige, „unser Kommandant hieß ,Lepu Father‘, genau wie ein alter berühmter Stammeskrieger. Er war 15, ein Drei-Sterne-General und er machte mit den Leuten keine Witze. Du gingst an die Front, oder er tötete dich auf der Stelle. Und wenn er dich schlug, dann löste sich deine Haut ab, noch bevor die Zigarette in seinem Mund zu Ende geraucht war. Du konntest drei Tage lang keinen Schritt mehr tun. Er war sehr stark.“ Die anderen nickten zustimmend. „Oder du kamst ins Loch.“ „Ins Loch?“ „Du musstest eine Grube graben, dich reinhocken, sie deckten das Loch mit Ästen zu, und für zwei, drei Tage durftest du nicht raus.“ Erneut lachten alle.
Der einhändige Erzähler hieß Jeffrey, Kriegername Jungle Lion“, und er war zehn Jahre alt, als er eines Nachmittags von der Schule kam und ein verlassenes Haus vorfand. Seine Familie war geflüchtet. Dafür waren Taylors Soldaten da, und Jeffrey ging mit ihnen mit. „Viele andere Kinder aus dem Dorf schlössen sich an. Das ermutigte mich sehr.“ Dies war 1991, und er hat die Eltern seit damals nicht mehr gesehen. Er fühle, dass sie noch leben, meinte er, im Nachbarland Cöte d’Ivoire. Aber er hat noch nie ernsthaft daran gedacht, sie zu suchen.,,Hier ist meine Familie“, sagte er mit einer Kopf bewegung zu seinen Kollegen hin.
nd wir passen auf, dass er nicht durchdreht“, rief jetzt Darlingston alias Lucifer, ein schlauer, früh gealterter 21-Jähriger, der wie eine Mischung aus Eddy Murphy und Speedy Gonzales aussah. Darlingston hielt das erste Gewehr in den Händen, als er acht war, seine Einheit sollte Monrovia stürmen, und er weinte -ob aus Angst, töten zu müssen, oder aus Angst, getötet zu werden, wusste er später nicht mehr. Bald konnte er überhaupt nichts mehr fühlen. Vor einem Angriff tranken sie Zuckerrohrschnaps, rauchten Marihuana, schluckten Pillen – nach einem Angriff ebenfalls und in der Zeit dazwischen sowieso. „Krieg ist Dschungeljustiz“, fuhr Darlingston fort, „Gesetz ist FF1, Failure to Fotlow Imtruction. Wer nicht gehorcht, wird auf der Stelle hingerichtet. Manchmal schießt der Kommandant, manchmal musst du den Mann erschießen. Töten ist so normal wie Reis essen.“
Und was habt ihr mit den Zivilisten gemacht?
Er schaute mich einen Moment lang durchdringend an. „Wenn ich dir begegne und ich wütend bin, prügle ich dich mit meinem Gewehr. Wenn ich nicht wütend bin, prügle ich dich ebenfalls. Für mich bist du ein Niemand, ein Baby. Kapierst du? Du bist kein Ziel, kein Feind. Ich bin Soldat. Den Feind töte ich. Den Zivilisten nicht“ Er rieb sich den Stumpf seines amputierten Beines und grinste.
Dann erzählte er, dass er neun ältere Geschwister habe, dass alle in Amerika leben und dass sie es nicht gerne haben, dass er Soldat war. „Sie haben Angst vor mir. Als hätte ich Lepra. Als könnte ich jederzeit explodieren und jemanden umbringen.“ Er verzog das Gesicht und brüllte los wie ein Raubtier. „Sie wollen, dass ich rüber komme zu ihnen. Aber sie verstehen nicht, was hier passiert ist. Wenn ich in Amerika bin und mich der Zweite fragt, warum ich gekämpft habe, dann hacke ich ihm den Kopf ab.“ Unter den Kollegen brach Heiterkeit aus. Offensichtlich schienen sie genau zu wissen, was er meinte.
„Ich bleibe da. Mir gefallt es. Jetzt ist es ruhig. Wenn ich Reis will, habe ich Reis. Wenn ich Bier will, habe ich Bier. Ich will nichts verändern, verstehst du, es wäre zu hart für mich.“ Ich schaute ihn fragend an. „Ich bin nicht ganz richtig da drin“, er zeigte auf seinen Kopf, „mein Geist ist gestört Aber hier sind alle wie ich. Sie verstehen mich.“ Die Runde nickte.
Bei einem anderen Besuch fragte ich, was das Gute am Krieg gewesen sei. Sie überlegten nicht lange. „Alles war erlaubt“, sagte Jeffrey Jungle Lion, „wir waren frei und konnten tun, was wir wollten.“
Zum Beispiel?
Ein Glitzern leuchtete in den Augen auf. „Alles“, sagte Darlingston Lucifer. „Waren wir hungrig, holten wir uns beim Bauern eine Kuh. Wollten wir Reggaemusik von Loki Doobie hören, holten wir aus dem Geschäft einen Recorder und Kassetten. Wir brauchten kein Geld. Wir waren mächtig, alle fürchteten uns und jeder gab, was wir verlangten.“
Lucifer und Co. berichteten von ihren Erlebnissen, als ob es sich um normale Dinge handelte, um Jugendstreiche. Ich merkte, wie ich innerlich diese Selbstverständlichkeit übernahm. Nur eine Kleinigkeit irritierte. In bestimmten Situationen und wie auf ein stilles Kommando tauschten die jungen Männer kurz Blicke, feixten einander zu, als würden sie sich gegenseitig in einer Abmachung bestätigen. Es war klar. Sie verschwiegen uns vieles und sie hüteten Gruppengeheimnisse, neben denen sich das bisher Gehörte nett und harmlos ausnehmen musste.
HipHopper Sla hatte sich an den Gesprächen auf dem Compound nie beteiligt Erst nach Tagen rückte er bei einem Bier damit heraus, dass er ebenfalls ein Kämpfer gewesen sei. Ein sehr guter, sagte er, wegen seiner Unverwundbarkeit „Bullet Bouncer“ getauft und schon mit 14 Kommandant bei der Artillerie. Zum Beweis buchstabierte er auf einen Zettel: „Attillary“, darunter: „B-Z.T.“, was der Name seiner Truppe sei, und zeichnete mit kindlicher Genauigkeit ein Flugabwehrgeschütz. Im Gegensatz zu den meisten seiner Mitkämpfer konnte Sla ein wenig lesen und schreiben und nutzte stolz jede Gelegenheit dies zu demonstrieren.
Als ich wissen wollte, was er von den Erzählungen seiner Kollegen halte, ging er nicht direkt darauf ein. Stattdessen kritzelte er auf den Zettel: „DoDoBoy“, und fragte mich, was dies sei. Ich hatte keine Ahnung, worauf er ein überlegenes Gesicht schnitt und meinte, dies sei natürlich ein Flugzeug. Dann schrieb er: „WAR“, und schaute mich auffordernd an.,,Nun, was bedeutet das?“ Erneut zuckte ich mit den Schultern. „Mann“, lachte er und schaute mich mitleidig an, „wie kann jemand so ignorant sein. Nichts weißt du, nichts.“ Kopfschüttelnd schrieb er die Lösung hin: „WAR – Wave All Rules“ (Vergiss alle Regeln).
eines Tages führte mich Sla zu Ernest Whisnet, einem etwa 45-jährigen Lehrer und Evangelisten. Der Mann war 1990 Zeuge, als Rebellenfiihrer Prince Johnson den damaligen Präsidenten Liberias, Samuel Doe, durch eine List im Hafen Monrovias gefangen genommen und zu Tode gequält hatte. Die mehrstündige Tortur wurde von einem Palästinenser, der Johnsons Truppe begleitete, auf Video aufgenommen; Ernest war der Assistent des Palästinensers. Das Video wurde ein Renner in Liberia und im benachbarten Sierra Leone. 13 Jahre danach empfing uns Ernest in seiner Schule, einem armseligen, aber sauber aufgeräumten ehemaligen Lagergebäude, wo er auch seine Gottesdienste abhält. Er war ein schüchterner, liebenswürdiger Mann, der aussah wie Homer Simpson mit traurigen Augen.
Zuerst habe man Präsident Doe in die Knie geschossen, erinnerte er sich, darauf nackt ausgezogen, die Arme hinter dem Rücken zusammen geschnürt und immer wieder geschlagen und getreten. Mit Stiefeln, Stöcken, Gewehrkolben. Dann habe man ihm das eine Ohr abgeschnitten, er musste es essen, dann das zweite. Er röchelte nach Wasser, und man schüttete ihm Bier über den Kopf. „Um Mitternacht, nach sieben Stunden, haben sie Doe mit einem Dolch kastriert Zwei Stunden später starb er“, sagte Ernest „Ich war die ganze Zeit dabei. Ich hatte Mideid, aber das durfte man nicht zeigen.“
Sla meinte: „Das ist Krieg“, und Ernest pflichtete ihm bei. Ich fragte: „Ohren essen? Kastrieren? Das war üblich?“ Beide nickten, als wäre ich etwas schwer von Begriff und hätte endlich etwas verstanden. „Alk Kriegsparteien taten es“, fügte Sla hinzu, „und nicht nur das.“ Ernest berichtete von einem Treffen wichtiger Taylor- und Prince-Johnson-Kommandanten, die damals, 1991, für kurze Zeit wieder einmal zusammenarbeiten wollten. Die Taylor-Fighter hätten sechs Soldaten der Ecomog, der westafrikanischen Friedenstruppe, gefangen genommen, alles Nigerianer, ihnen die Herzen herausgeschnitten und den Kommandanten serviert. Als Geste der neuen Zusammenarbeit. Er, Ernest Whisnet, sei dabei gewesen.
Er kenne Kommandanten, fuhr Sla fort, die trugen immer einen Sack voller frischer Menschenherzen mit sich herum. Einer habe sie jeweils in genau gleich große Stücke geschnitten, Gin darüber gegossen und gerecht an seine Leute verteilt. Und ein anderer, „Colonel Fuck Care“, habe gesagt, er esse – wann immer möglich – gleich zwei ganze Herzen zum Frühstück.
am Leben lassen, damit er länger leide. Die Hoden würden zwei, drei Tage im Ofen geräuchert – richtig, wie Fische -, bis sie klein und hart seien, und würden anschließend um den Hals oder die Hüften gehängt In seiner Einheit habe damals ein Mädchen gekämpft „Ma Nut Bear“, eine 14-jährige, die vor den Einsätzen männliche Genitalien gekocht habe.
Auch weibliche Geschlechtsteile, setzte Ernest hinzu, gälten als wirksam. Man hole sich eine Frau – egal, ob schön oder hässlich -, halte sie an Armen und Beinen fest und schneide ihre Klitoris heraus. Getrocknet, trage der Kämpfer diese an einer Schnur um den Bauch. Die Schreie der Frau gingen so auf ihn über und machten ihn mächtig. Wenn er auf den Feind treffe, befehle er ihm, die Waffe niederzulegen, Schuhe und Kleider auszuziehen und niederzuknien. Dieser gehorche wie unter Zwang. Und der Kämpfer könne ihn erschießen. Ernest meinte, dies sei halt der Glaube der Leute aus dem Hinterland, den er als Americo-Liberianer natürlich nicht teile. Seiner Stimme fehlte aber jeglicher Unterton der Distanzierung. Lediglich seine Augen schauten etwas bekümmerter als ohnehin schon.
Als Sla noch eine Geschichte über das Trinken von Menschenblut vorbringen wollte, winkte ich ab. In Nun wollte ich es genau wissen. Werden die Herzen bei lebendigem Leib rausgeschnitten und dann gegessen?
,Ja“, sagte Sla. Er schaute mich plötzlich mit jenem seltsamen Blick an, der mir schon bei seinen Kumpanen vom Compound aufgefallen war. „Ich bin kein Koch“, sagte er schließlich ruhig, „ich bin Artillerist. Aber ich will ehrlich sein. Ich kann dich zerlegen wie ein Huhn oder eine Ziege.“ Dazu machte er eine schnelle, routiniert wirkende Schnittbewegung um mein Herz herum. „Warum essen die Leute das?“ „Um mutig und stark zu sein.“ Ernest ergänzte: „Das Herz ist der Motor.“ „Wirkt es?“ Wieder bekam Sla diesen sonderbaren Ausdruck. „Es beschützt Du siehst, ich lebe noch.“
Ob dies wirklich alle getan hätten, vergewisserte ich mich. Alle, versicherten die beiden ernsthaft. Sie schienen einen unerschöpflichen Fundus an Geschichten zu haben. Die meisten Kämpfer, fuhr Sla fort, trügen Amulette aus Testikeln. Seien sie einem Bauern abgeschnitten worden, erschieße man ihn nachher. Einen feindlichen Kämpfer aber würde man I Offenbar haben es aber viele getan. „So was tun Normale nicht Sie waren Kinder und sie waren unter Einfluss. Das sind Drogenideen. Sie glitten auf einer Welle und fühlten sich als Herren der Welt und hatten keinerlei Gefühle mehr für irgendjemanden. Die anderen waren für sie bloss Spielzeug.“
Er machte eine kleine Pause, schüttelte angewidert den Kopf und sprach leise weiter. „Es verschlägt dir den Appetit, wenn du darüber nachdenkst. Es macht dich krank, wenn du diese Leute siehst. Sie sind jetzt bei der Polizei und Armee und nehmen immer noch Drogen. Man möchte sie schlagen und verjagen, aber man darf ihnen nicht mal in die Augen schauen.“
Er verfiel wieder in einen kühlen, distanzierten Ton: „In Monrovia gab es diese Dinge nicht. Die Leute dort im Busch leben in einer anderen Welt Wer gebildet ist, sieht den Unterschied zur Tradition. Wir in Monrovia sind gebildet, wir tun diese Dinge nicht.“
Aber Charles Taylor ist ein kultivierter Mann mit einem US-Hochschulabschluss; andere Warlords haben ebenso an Universitäten studiert Trotzdem haben sie mit ihren halbwüchsigen Fightern diese Dinge getan.
Wallace schaute mich entschuldigend an: „Wenn es dir recht ist, werde ich nicht über unseren Präsidenten sprechen.“ Er dachte einen Moment nach. „Unsere Situation ist nicht einfach. Die Regierung ist misstrauisch gegenüber Hilfswerken. Unsere Büros wurden schon zweimal geschlossen, und die Militärs schleppten alles ab, Stühle, Tische, Computer. Wir haben nichts mehr davon gesehen.“
Eine andere Frage: Was macht eine Gesellschaft mit einer ganzen Generation verwilderter Kinder? Jetzt schien er geradezu aufzublühen. In einem perfekten Vortrag skizzierte er ein Strategiekonzept für die Lösung der ökonomischen, politischen, sozialen Probleme seines todkranken Landes. Die Schlüsselworte waren Transparenz, dezentrale Strukturen, Aufklärung, Partizipation, Gender-Politik, Graswurder letzten halben Stunde hatte ich immer häufiger auf seine Zähne starren müssen. Mir war bisher gar nicht aufgefallen, dass sie tatsächlich spitz und gelblich waren. Ich wollte nichts mehr hören.
m nächsten Morgen erzählte ich Wallace Mutada (Name geändert) von unseren Gesprächen über magische Kampftechniken und Kannibalismus. Wallace ist der Chef einer von europäischen Spendern finanzierten Hilfsorganisation, die sich unter anderem um die Wiedereingliederung von ehemaligen Kindersoldaten bemüht. Dem blitzgescheiten 30-jährigen Liberianer, der in England studiert hatte, war das Thema sichtlich unangenehm. Jeder im Lande wisse um diese Dinge, erwiderte er kühl, und sie seien eine Schande für Afrika. Warum sie wohl passiert seien, fragte ich ihn. Er wurde plötzlich aufgebracht. „Ein normaler Mensch“, sagte er laut, „ein normaler Mensch kann kein Menschenfleisch essen. Dies trennt den Menschen vom Tier.“
zel-Revolution, und hinter diesen Begriffen zeichnete sich der sanfte Schattenwurf einer bukolischen Gemeinschaft ab. Je länger er sprach, desto unwirklicher wurden Killerkinder und Blut-Voodoo, und umso realer wurde das Projekt der friedlich vernetzten Dörfer, der Gesellschaft als fröhlichem Workshop.
Wallace war mit seinen Ausfuhrungen fast zu Ende, als Nathan und Sla hinzustießen. Sie waren in der Stadt unterwegs gewesen, Nathan hatte fotografiert Kaum hatten sich die beiden hingesetzt, wurde die Tür aufgestoßen, und eine Truppe Soldaten stampfte in den Raum. „Mitkommen“, bafften sie, und meinten damit Sla und uns zwei Weisse, und ihre Gewehre und feindseligen Mienen machten klar, dass jeder Widerspruch eine Dummheit wäre. Während Wallace wie versteinert sitzen blieb, wurden wir im Eiltempo durch zwei Straßen gehetzt, um schließlich ein schäbiges Gebäude zu betreten. Sla wurde in irgendein Hinterzimmer, Nathan und ich in ein trostloses Büro geführt. Die Bewaffneten hinter uns schlugen die Stiefel zusammen, als ein älterer Uniformierter mit hagerem Gesicht eintrat, sich hinters Pult setzte und uns grimmig musterte.
„Wo sind wir?“, fragten wir. Er gab keine Antwort, sondern musterte misstrauisch die Pässe und Papiere. Wir versuchten es erneut „Wo sind wir?“ Er schaute auf. „Im Militärministerium. Ihr habt militärische Anlagen fotografiert. Strengstens verboten.“
Es war unsere dritte Verhaftung in Monrovia innerhalb einer Woche. Die früheren Festnahmen hatten Männer in Zivil vorgenommen, Angehörige des SSS, einer des gefürchtetsten der diversen Geheimdienste. Sie konfiszierten die Kamera, ließen die Filme entwickeln, gaben alles wieder zurück, mit Ausnahme einiger Negative von Ex-Fightern, und ließen uns nach ein paar Stunden wieder laufen. Es waren unangenehme Begegnungen. Zusätzlich waren wir bestimmt 20 Mal auf der Straße kontrolliert worden.
Der Hagere fragte, welche Route Nathan und Sla genommen hätten. Bei der Kirche runter, mmh, beim Friedhof rechts, gut, wieder hoch über die Gurley Street. „Aha“, kreischte der Hagere, skizzierte rasch einen Plan auf einen Zettel und hielt ihn triumphierend hoch. „Genau um das Ministeriumsviertel herum. Er hat die Koordinaten fotografiert.“ Der Raum war unterdessen voll mit Soldaten, im Türrahmen drängten sich Muskelprotze mit Walkie-Talkies und verräterisch glänzenden Augen, und sogar der Stabschef, ein besoffener Dicker mit dumpfem Gesicht, war gekommen, um die Spione zu begutachten.
Wir schüttelten den Kopf, aber der Hagere witterte seinen großen Tag. „Wir wissen, wie man so was macht“, schrie er und griff Nathans Kamera. „Eine smarte Kamera. Weiter Winkel.“ Er befahl Nathan, den Film heraus zu nehmen, gab einem Soldaten den Auftrag, diesen ins Labor zu bringen und blickte kurz zu uns:“Ich hoffe für euch, ihr habt nicht gelogen.“
Zwei Soldaten brachten Sla. Sie hatten ihm Kopftuch, T-Shirt und Schuhe abgenommen. Er setzte sich auf den Boden, ergeben, kraftlos, Gesicht nach unten, in der Unterwerfungshaltung des Kriegsgefangenen. „Er ist Liberianer. Er kennt die Regeln. Er wäre verpflichtet gewesen, euch zu warnen“, sagte der Hagere verächuich. Sla deutete den Versuch an, etwas zu sagen. Er wurde sofort zusammen gebrüllt.
Der Raum hatte sich wieder geleert, und Nathan und ich traten auf einen kleinen Balkon. Nathan schaute düster. Er wusste, dass auf einigen Bildern Teile des Ministeriums zu sehen waren. Auch ein berüchtigtes Gefängnis. Sla hatte ihn darauf aufmerksam gemacht Er hatte auch erzählt, was die Sicherheitsleute mit den Verhafteten anstellen. Routinemäßig würden sie zusammengeschlagen, dann einfach liegengelassen. Oft stürben sie danach. Aber niemand würde nach ihnen fragen. Die Angehörigen hätten Angst, ebenfalls spurlos zu verschwinden. Viele Sicherheitsleute seien einstige Kindersoldaten, die meisten von ihnen auf Crack, Kokain, Heroin, Amphetamin. Sie seien auch süchtig nach Schlägen, sagte er, denn wenn man erst einmal eine gewisse Grenze überschritten habe, brauche man den Kick, den Rausch, den Blutrausch vor allem, wenn keine Drogen da seien.
Plötzlich lächelte Narhan. „Ich vergaß total, dass ich in der Stadt den Film gewechselt habe“, sagte er leise, als ob ihn jemand verstehen könnte. „Sie haben den neuen Film, aber die verbotenen Bilder sind alle auf dem alten. Und der alte ist in meiner Hosentasche.“ Wir gingen ins Zimmer zurück, er schob mir die Filmspule zu, und ich ließ sie in meine Hosentasche gleiten. Meine Hände zitterten.
Der Hagere war sichtlich enttäuscht, als die Fotos auf dem Tisch lagen. Nicht mal eine Mauer eines militärischen Objekts, nur Menschen. Man untersuchte nochmals unsere Taschen, dann durften wir gehen.
Kaum waren wir draußen, verwandelte sich Sla wieder in einen HipHopper. Er bewegte sich in seinem federnden Gang, als käme er gerade von einem Snoop Doggy Dog-Auftritt, und nichts erinnerte daran, dass dieser Mann vor wenigen Minuten noch damit hatte rechnen müssen, dass man seinen Kopf zu Brei schlägt. „Ihr Jungs wart cool“, sagte er nur.
Zwei Wochen später schob ich zuhause die Kassette von Präsident Does Abschlachtung in den Videorecorder. Sla hatte sie auf dem Schwarzmarkt aufgetrieben. Ich hatte das Anschauen immer vertagt, nun drückte ich auf den Knopf. Auf dem Bildschirm erschien die Aufzeichnung eines Baseballspieles. Man hatte mich reingelegt Ich war erleichtert. ¿