Schon der erste Kurzfilm von Sofia Coppola war ein Paukenschlag
„Lick The Star“ (1998) enthält fast alle Themen und Motive und den typischen Stil der Regisseurin.
Die meisten Regisseurinnen und Regisseure inszenieren Kurzfilme, bevor sie sich an das Langfilmdebüt wagen. Manchen gelingen dabei schon erste Meisterwerke, andere sind noch auf der Suche nach einer künstlerischen Richtung. Selten ist in diesen kurzen Versuchen bereits zu sehen, was später in fast jedem Film angelegt scheint. Bei „Priscilla“-Regisseurin Sofia Coppola ist das anders. „Lick The Star“, der erste selbstgeschriebene und inszenierter Short Film der Tochter von Francis Ford Coppola, legte auf erstaunliche Weise nahezu alle stilistischen Gepflogenheiten offen, die inzwischen mit ihren Filmen verbunden werden.
Der 14-minütige Schwarz-Weiß-Film zeigt Porträts von jungen Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, er beeindruckt mit melancholischen Zeitlupenaufnahmen und einem sorgfältig zusammengestellten Soundtrack. Ausgewählt wurden für die Darstellerinnen ausschließlich Laien. „Lick The Star“ spielt an einer High School und handelt von einer Gruppe von Schülerinnen, die einen Plan aushecken, um die Jungen ihrer Schule zu vergiften. Sie beschließen, ein Pulver herzustellen und es den Jungen zu verabreichen, um sie so schwach und gefügig zu machen.
In der Jugend können sich die Dinge schnell ändern
Im Zentrum der Handlung steht Kate, die wegen eines gebrochenen Fußes eine Zeit lang aus der Schule raus musste und nun bei ihrer Rückkehr Sorgen hat, dass sich etwas in ihrer Abwesenheit verändert haben könnte. Bei ihrer Ankunft erfährt sie, dass ihre Freundesclique, angeführt von der (sexuell) selbstbewussten Chloe, ein geheimes Codewort entwickelt hat. „Lick The Star“ rückwärts gelesen macht den heimtückischen Plan offensichtlich: „Kill The Rats“. Die Ratten sind die garstigen Jungs, die mit Arsen vergiftet werden sollen. Die Idee dafür hat Chloe aus einem Buch, das für sie zum Kultgegenstand wird: „Blumen der Nacht“ (Flowers In The Attic) von von V. C. Andrews. Eine Mischung aus Jugendbuch und Schauerroman.
Während eines solchen Treffens wird Kate von einem Lehrer dabei erwischt, wie sie Chloes Zigarette in der Hand hält, was dazu führt, dass sie für eine Zeitlang von der Schule suspendiert wird. Was sie schon bei ihrer ersten Abwesenheit ahnte, wird nun Gewissheit: Die Dinge können sich in der Teenagerzeit schneller ändern, als man es sich vorstellen kann. Und als Kate wieder zur Schule kommt, ist Chloe eine geschasste Außenseiterin, vor der sich niemand mehr fürchtet und die selbst geschnitten wird. Der Film endet mit einer weiteren literarischen Anspielung, die auch ein Bewusstsein tragischer Weiblichkeit offenlegt.
Schon anhand des Plots wird offensichtlich, dass Coppola hier mehr oder minder auch eine Blaupause für die flirrende Atmosphäre in „The Virgin Suicides“ geschaffen hat, der nur ein Jahr später in die Kinos kam. Die Befindlichkeiten junger Frauen und Mädchen werden in allen Filmen der Regisseurin ins Scheinwerferlicht gerückt, wobei existenzielle Isloation, Ennui, Schwermut und Schwärmerei genauso ausgestellt werden wie ein kämpferisches Bewusstsein dafür, dass alles auch ganz anders sein könnte, wenn man nur wollte. Das Blatt wendet sich – und das Leben geht weiter. Dieses Leitmotiv findet sich in allen ihren Filmen, natürlich auch in „Priscilla“.
Neben der Vorliebe für einen sehr präsenten, durchkomponierten Score (in „Lick The Star“ sind dies Songs von The Amp, Free Kitten, The Go-Go’s und Land Of The Loops) enthält der Kurzfilm noch eine stilistische Pointe, die sich bei anderen Kinoproduktionen Coppolas wiederholt: Wie „The Virgin Suicides“, „Lost in Translation“ und „Somewhere“ beginnt er mit einer Autofahrt. Wie all die anderen ist er ein unberechenbarer Joy Ride hin zu einem neuen Selbstbewusstsein für ihre Heldinnen.
Für Cineasten gibt es in „Lick The Star“ einen Kurzauftritt von „Is was, Doc?“-Regisseur Peter Bogdanovich als Schuldirektor. Und Sofia Coppolas Augen sind in einer kurzen Traumsequenz zu sehen.
„Lick The Star“ ist derzeit genauso wie „Priscilla“ bei MUBI im Stream zu sehen. Das Streamingportal versteht sich als Plattform für alle Formen von Filmen zwischen Klassikern und Avantgarde-Film. Man kann es sieben Tage kostenlos testen. Danach kostet MUBI 13.99 Euro pro Monat oder 107.88 Euro für ein Jahr.