So weit für Schönheit
Der Film "I'm Your Man" taucht Leonard Cohen in Melodrama und Zuckerguß
Den Vorschußlorbeer verteilt Wim Weders in flüssigem Englisch, nicht in dieser schüchtern-stockenden Art des ewigen großen Jungen, mit der er in deutschen Talk-Shows auf Sympathiefang geht. Er habe geweint, erfährt das Premieren-Publikum bei der Berlinale, als ihm Regisseurin Lian Lunson diesen Film über seinen Freund Leonard Cohen gezeigt habe, und auch nach der Vorführung beim Sundance-Festival seien Tränen geflossen. Kein geringes Verdienst, so Wenders, denn eine Dokumentation über Cohen zu drehen sei bestimmt „the toughest assignment in rock’n’roll“. Hundert Minuten später glaubt man ihm, fragt sich aber, ob es Tränen der Rührung waren oder des Zorns und der Enttäuschung. Legte man nur die Schluß-Sequenz zugrunde, eher letzteres: Leonard Cohens 71jähriges AntIitz in porentiefer, indiskreter Nahaufnahme, die Lippen asynchron bewegend zu „Tower Of Song“. Dann zieht die Kamera auf, und Ua werden sichtbar, vor rot glitzerndem Lametta, mit heiligem Ernst und opportnem Rock. Ein musiklische Mesalliance, die uweigerlich die Frage aufwirft, in welchem Tiefgeschoß des Songturms wohl Bono hausen muß, wenn sich Cohen in nobler Bescheidenheit „a hundred floors“ unterhalb von Hank Williams ansiedelt.
Wann immer Lunson den Dichter selbst zu Wort kommen läßt, gewinnt „Leonard Cohen: I’m Your Man“ an Tiefe, Wärme und Witz. Es sind Cohens ganz uneitle, unverblümte Reminiszenzen, vorgetragen mit einer Sprechstimme, die noch sonorer resoniert als sein Gesangsorgan, die im Gedächtnis haften bleiben. Auch weil sie bisweilen sehr komisch sind. Wenn er etwa über seinen Erfolg bei Frauen sinniert, der kaum der Rede gewesen sei, wenn er seine Unfähigkeit gesteht, sich in Jeans wohlzufühlen, oder wenn ihm ein Wort auf der Zunge liegt und sich ihm, dem Sprachgewaltigen, einfach nicht offenbaren will. „This musical movement“, spielt er auf Zeit, denkt nach, schüttelt den Kopf, bevor es ihm einfällt und er es lächelnd kundtut: „Punk.“
Schön eingefangen, ungeschnitten. Lian Lunson kannte den Helden ihrer Hommage schon einige Monate, besuchte ihn häufig, ließ sich von ihm bekochen. „Ich hatte zwar von Anfang an den Plan, einen Film über Leonard zu machen“, gesteht sie, „wußte aber nicht, wie ich es ihm beibringen sollte. Irgendwann fiel ich dann mit der Tür ins Haus und fragte ihn, ob ich beim nächsten Besuch eine Kamera mitbringen dürfte. Er antwortete nur: ,Klar‘. Alles Weitere ergab sich wie von selbst.“ Lunsons Objektiv folgte Cohen im Alltag, bis ins Kloster auf dem Mount Baldy, wo der Poet ein paar Jahre lang seinem Zen-Meister gedient hatte. Zwischen die aktuellen Streiflichter und Interview-Schnipsel schnitt Lian Lunson altes Material aus Cohens Familienarchiv: Klein-Lenny auf dem Dreirad, die Eltern, die gutbürgerliche Wohngegend in Montreal. Dann juveniler Sturm und Drang, der Lyriker in Hipster-Kreisen. Auf Fotos nur, die Lunson gern verfremdet, oder auf Super-8. „Meine anfängliche Befürchtung, nicht genug Archivmaterial zu finden, erwies sich bald als unbegründet“, erklärt sie, „für vieles Schöne war am Ende kein Platz mehr.“
Ein Jammer, denn statt des authentischen Footage aus Leonards Lehr- und Wanderjahren, statt weiterer biographischer Details oder stets willkommener Anekdoten und Aphorismen aus des Meisters Mund Kulturgut
werden wir Zeugen von wenig erbaulichen Interpretationen großer Cohen-Songs. Hai Willner hatte im Januar 2005 sein bereits in Brooklyn und Brighton veranstaltetes Tribute-Concert unter dem Titel „Came So Far For Beauty“ im Sydney Opera House inszeniert, Lian Lunsons Crew war zugegen, und nun nehmen die Auftritte mehrheitlich mediokrer Künstler einen so breiten Raum ein, daß sowohl der Flow des Films darunter leidet als auch seine Wirkung. Dabei machen einige der Cohen-Interpreten eine gute Figur: The Handsome Family, Kate & Anna McGarrigle und Teddy Thompson überzeugen, Jarvis Cocker und Beth Orton begeistern gar mit einer bizarr-verspielten Version von „Death Of A Ladies Man“, dem Titelsong jenes Fabelwerks, das unter der Fuchtel von Phil Spector zu einer „Groteske“ (Cohen) gedieh.
Den Rest mag goutieren können, wer glaubt, dem Cohenschen Ouevre fehle es an Melodrama und Zuckerguß. Martha Wainwrights aufgesetzte, aufdringliche Emphase und das Spreizen und ständige Kopf-in-den-Nacken-Werfen ihres narzißtischen Bruders Rufus gingen gerade noch an, obwohl sein „Hallelujah“ in hohlem Pathos erstickt. Aber dann kommt Antony. Ohne die Johnsons. Ganz allein mit „If It Be Your Will“ und seiner emotionalen Inkontinenz. Lunsons Kamera fährt fast in den bibbernden Mund, der arme Kerl ist völlig überwältigt von der eigenen Courage. Heul doch, möchte man ihm zurufen.
Leonard Cohen hat nie gewinselt, nicht in der Öffentlichkeit. Wer schützt ihn und seine Songs vor solchen Selbstmitleidsattacken, wer verteidigt ihn gegen die Vereinnahmung durch Kleinkünstler? In diesem Film niemand. Vielleicht hat Wim Wenders deshalb ein paar Tränen verdrückt.