So war der „Echo“ 2012: Ein schöner Donnerstag?

Marilyn Manson verneigt sich vor Rammstein, Wolfgang Niedecken kehrt auf die Bühne zurück, Campino empfiehlt sich als perfekter Laudator. Ein Blick auf die gestrige "Echo"-Show.

Es war nicht ganz der „schöne Donnerstag“, den die Moderatorinnen Ina Müller und Barbara Schöneberger anfangs in die Runde gauckten, und es war schon gar nicht „der beste Echo aller Zeiten“, der da in der Messe Berlin gefeiert wurde – aber, das muss man sagen, es war nicht ganz so schlimm, wie man es befürchtet hatte. Campino, der am späteren Abend mit seiner Laudatio auf Wolfgang Niedecken eine erstaunlich gute Figur machte, soll später auf der „Echo“-Party gesagt haben: „Der Echo ist wie Klassentreffen. Er wird mit jedem Glas besser.“ Das trifft die Sache eigentlich ganz gut.

So weiß man dann auch nicht so ganz, ob der Einstieg in die Verleihung des deutschen Musikpreises tatsächlich so daneben war, wie man ihn fand oder ob es einfach daran lag, dass man den Wein bis dahin noch nicht angerührt hatte. Der Schöneberger-Müller-Knutscher – eine Referenz an den berühmten Madonna-Britney-Kuss bei den VMAs 2003 – war eher peinlich als erotisch, und die Idee Tim Bendzko, Andreas Bourani, Frida Gold, Jupiter Jones und Revolverheld (feat. Marta Jandová) in ein Medley zu quetschen, war von Anfang an keine gute. Was gar nicht mal am versammelten Pop-Nachwuchs liegt, sondern an der Überladung einer rund vier Minuten langen Performance, in der man dann auch noch einen Spielmannszug unterbringen musste. Dass Jupiter Jones den „Radio Echo“ gewonnen haben, war eigentlich recht erfreulich, hat man bei ihnen doch immerhin eine Band, der man nicht unterstellen kann, ein Marketinggezücht zu sein. Selbst wenn man noch immer rätselt, was für ein Weichspüler sie inzwischen nehmen, dass da so Songs wie „Still“ rauskommen, die nicht so recht zu ihren Tätowierungen und Anfängen passen wollen. Bei der Dankesrede gab es dann den schönsten Zwischenruf des Abends: „Mett-Igel für alle!“

Der vielleicht beste Witz des Abends war dann eher ein ungewollter – nämlich die Nominierungsliste der Rubrik „Künstler Rock / Pop National“: Herbert Grönemeyer, Peter Maffay, Pietro Lombardi, Tim Bendzko, Udo Lindenberg. Mal ehrlich: Das ist doch ein Brüller! Gewonnen hat, sehr zur Freude des übergebenden Clueso, Udo Lindenberg. Da tat einem der kleine Lombardi fast schon leid: Als die Kameras die Nominierten nacheinander ins Visier nahmen, sah er eine Sekunde so aus, als hoffte er tatsächlich auf den Preis. Lindenberg gab dann einen typischen Lindenberg-Auftritt samt Kurzmonolog: „Ein Hammer, totaler Hammer…, geiles Jahr, die Tour geht ab. Auch der Abend, wo wir uns sagten: ‚Stecker raus, ohne Strom, ohne Atomstrom‘, das war ne geile Sache… muss aber los… da warten noch 15.000 in der O2 World auf mich… da muss ich mit dem Ufo rüber…“. Auf dem Weg von der Bühne gab es jedoch eine Begegnung mit Peter Maffay, der Udo noch den zweiten Echo für die besagte Unplugged-Ohne-Atomstrom-Stecker-Raus-DVD überreichte – die ja in der Tat recht gelungen ist. Lindenberg stoppte noch kurz auf der Bühne, wo er den Song „Reeperbahn“ mit Jan Delay performte, der ja immer noch eine der coolsten Säue im deutschen Popstall ist, dessen Stimme aber von Show zu Show mehr durch die Nase gesungen klingt. Schöner Gag von ihm: „Wir kommen jetzt zur Kategorie ‚Best Regional Dubstep‘.“

Die Preisvergaben waren bisweilen etwas dröge, selbst wenn Lena Meyer-Landrut erfreulich nett war und Marylin Manson erstaunlich devot. Für „Rrrrrraaaaammmmsteinn“, wie er sie mit Freude nannte, ging er sogar auf die Knie. Schlimm waren auch die beiden Mando Diao-Schönlinge Björn Hans-Erik Dixgård und Gustaf Erik Norén, die ebenfalls an Rammstein einen Echo überreichten und in ihren Caligula-Mänteln auf die Bühne gingen, wo sie vom bösen Internet faselten, in dem eine Band wie Rammstein übler Nachlese ausgesetzt sei. Sido und Bushido, die für das von Specter gedrehte Video zu „So mach ich es“ von ihrem gemeinsamen Projekt 23 den „Echo“ für das „beste Video“ bekamen, sorgten für ein gesundes Maß an Pöbelei. Bushido dankte seiner Plattenfirma, indem er sagte: „Danke, dass ich mein Album nicht bei Universal rausbringen musste.“ Auch in Richtung MyVideo, deren Voting die Grundlage für den Preis war, ätzte Bushido: „Danke auch an Myvideo.de, die eine Menge Traffic und Kohle damit gemacht haben. War ein echt nerviges Voting!“ Ob man sich dort den PR-Effekt so vorgestellt hatte? Schön auch die Konstellation, dass Shaggy in der Kategorie „HipHop / Urban“ den Echo an Casper überreicht und in seiner Ansprache gleich zweimal seine einzigen Hits aus den Neunzigern unterbringt. Das war ebenso deplatziert wie sein Gastauftritt bei Bendzkos „Nur noch kurz die Welt retten“. Aber wenigstens scheint sich Shaggy nicht die Bohne ernst zu nehmen, was in dieser Branche ja ganz erfrischen ist…

Dafür gerieten die Live-Performances in diesem Jahr recht kurzweilig. Kraftklub, die mit Casper zusammen „Songs für Liam“ spielten, dissten charmant Rammstein, indem sie ihre Show mit allerlei übertrieben unspektakulären Pyro-Effekten, inklusive brennender Monitorboxen, aufhübschten. Die Toten Hosen stellten ihre neue Single „Tage wie diese“ vor – mit Ina Müller als Fangirl in der ersten Reihe. Und, das muss man ihr lassen: Endlich bekam der Schlachthof in Bremen mal den Fame, den er als Konzertlocation verdient. Dort hatte Müller nämlich einen der frühen Auftritte der Toten Hosen gesehen, die damals noch als Die Toten Hasen angekündigt wurden. Amy Winehouse wurde später noch einmal geehrt, indem eine recht willkürlich zusammengemischte Girlgroup einen Song von den Zutons sang. Dabei handelte es sich natürlich um „Valerie“, das ja erst in der Winehouse-Version so richtig zum Hit wurde. Es sangen: Winehouse-Patenkind Dionne Bromfield, „The Voice“-Gewinnerin Ivy Quainoo, Aura Dione, Caro Emerald und Ina Müller, die sich in einem traurigen Anfall von Jugendwahn noch unbedingt neben die 16-jährige Bromfield scharwenzeln musste.

Ein Sorgenkind bleibt auch, obwohl wir ihre Platte ja sehr schätzen, Lana Del Rey. Sie sang, nur von einem Pianisten begleitet, „Video Games“ und wirkte dabei einerseits völlig statisch, andererseits innerlich geradezu brodelnd vor Nervosität, was zur Folge hatte, dass die sonst so sexy klingende tiefe Stimme bisweilen geradezu brüchig durch den Raum waberte. Erst als der Song vorbei war, atmete Del Rey auf und lachte so erfrischend, dass man glatt glauben mochte, ihre Lippen seien tatsächlich echt. Man fragt sich immer noch, wie das aussehen soll, wenn sie spätestens im Sommer auf dem Melt! eine große Bühne mit einer Show füllen will. Und es bleibt die Frage: Hat man sie vielleicht doch zu früh ins Rampenlicht geschubst?

Die Live-Premiere von „Himmel auf“, dem Titeltrack der neuen Silbermond, konnte man getrost vernachlässigen, was daran lag, dass diesem Lied jegliche hymnische Qualität abgeht und das Bühnenbild – eine Metallkugel mit Glitzerlicht – eher Depressionen als „Himmel auf“-Gefühle auslöste. Schade auch, das Jason Mraz dazu verdonnert war, sein Duett „Distance“ mit Christina Perry  zu singen. Der Songwriter, der mit „Love Is A Four Letter Word“ ein sehr tolles Album in der Pipeline hat und mit „I Won’t Give Up“ eine überzeugende Single daraus, wurde hier zur bloßen Chorstimme degradiert, was besonders schade ist, wenn man weiß, dass sein warmes Organ die Heulbojenqualität Perrys locker aussticht. Auch der Konfirmantenanzug stand dem sonst gerne barfuß auftretenden Surfer-Shirt-Träger nicht so wirklich und machte ihn langweiliger als er im Grunde ist. Überraschend sympathisch war dann Roman Lob, bei dem man die ganze Zeit dachte, dass so einer ja eigentlich nicht zum Eurovision Song Contest gehört, sondern in eine gute, Britpop-sozialisierte Band, die es mit Coldplay aufnehmen will.

Knallig hingegen der Auftritt von Rammstein und Marilyn Manson, der ja schon im Vorfeld für Schlagzeilen sorgte. Wobei es sich dabei ja eigentlich um eine Mogelpackung handelte: Till Lindemann war anscheinend gar nicht anwesend und somit wurden Rammstein kaum mehr als eine etwas buntere Backingband für Manson, der das machte, was er immer macht: in die Kamera grimassieren, ins Publikum pöbeln und flirten und über die Bühne stampfen.

Das bewegende Finale stand dann ganz im Zeichen von Wolfgang Niedecken. Die Laudatio hielt Campino, der dabei wie schon erwähnt, eine sehr gute Figur machte. Wie er eine frühe Begegnung der beiden so gegensätzlichen Bands BAP und Die Toten Hosen beschrieb, wie er ganz und gar unpeinlich das beachtliche ehrenamtliche Engagement Niedeckens lobte, wie er es vermied, den Schlaganfall zu sehr zu dramatisieren, wie er mit seiner charmanten Düsseldorf-vs-Köln-Neckerei das Gesicht auch in seiner Heimatstadt wahrte – das war eine Klasse für sich. Den Preis selbst übergab schließlich Wim Wenders, der es gut auf den Punkt brachte, als er sagte: „Wolfgang, du hast uns da letztes Jahr einen ganz schönen Schreck eingejagt. Ich glaube, viele haben da erst gemerkt, was sie an dir haben, was für einen Schatz sie da haben.“ Niedecken, der sichtlich bewegt war, bedankte sich bei seiner Frau und seiner Familie und erinnerte sich noch einmal laut daran, wie gerührt er war, als ihm Clueso ein Handyvideo schickte, in dem er „Halv Su Wild“ sang. Die logische Konsequenz: BAPs „Rückmeldung“, wie Niedecken den Auftritt nannte, begann mit einer Performance von „All die Augenblicke“, in der Clueso, stolz wie Bolle, mitsingen durfte. Natürlich hatte das alles ein gewissesl – auch eingeplantes – Pathos, aber die geerdeten Protagonisten dieses Finales sorgten dafür, dass man tatsächlich mitfühlte und sich für den gesundeten Niedecken mitfreute. Bei „Verdamp Lang Her“ hätte dann vielleicht nicht jeder Gast der wollte, mitsingen müssen, aber das machte den Moment dann auch nicht mehr kaputt.

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