So war der Bundesvision Song Contest: Engelchen und Teufelchen
Lena Ackermann berichtet vom Bundesvision Song Contest aus der Berliner Max-Schmeling-Halle: Xavier Naidoo und Kool Savas gewinnen unter Buhrufen. Dazu gibt es eine exklusive Fotogalerie mit der wir auch hinter die Kulissen blicken.
Die Zeremonie zum achten Bundesvision Song Contest dauerte um die fünf Stunden. Im Presseraum der Berliner Max-Schmeling-Halle können sich Medienvertreter an Bohnensuppe mit Fleischeinlage laben – der Pöbel draußen kauft sich Bier und Schmalzstulle oder Currywurst. Auch musikalisch ist für alle was dabei. Das Xavas – die schwäbische Kreuzung zwischen Engelchen (Vollzeitprediger Xavier Naidoo) und Teufelchen (Kool Savas, der Rap König aus der Stuttgarter Vorstadt, dem die Entdeckung von anderen harten Typen wie Eko Fresh zu verdanken ist) gewinnen würden, ist bereits seit deren Nominierung klar. Sowieso geht Baden-Württemberg mit unfairem Heimvorteil an den Start – schließlich sind mindestens fünf andere Teilnehmer hier geboren und haben sich mit der fadenscheinigen Begründung eines neuen Lebensmittelpunks zu anderen Bundesländern geschmuggelt.
Kleidungsordnungstechnisch gilt beim Bundesvision Song Contest 2012 die Losung: Schwarz ist das neue Schwarz. Die Orsons sind mit die einzigen, die sich gegen diese Vorgabe auflehnen. Sie versprühen fast ein bisschen Eurovisions-Flair, versammeln Kinder und bronzen glänzende Bodybuilderinnen und Herren in Tangas und bombastisch brasilianischem Federschmuck auf der Bühne – dazu brechen sie ein Tabu und singen ganz laut das Wort „Hodensack“. Und als wäre das nicht schon genug, darf sogar Cro während des Auftritts einmal die Stage entlang gehen. Wahnsinn!
Zwischendurch moderiert Raab abgeklärt wie immer. Während man seine letztjährige Co-Moderatorin Johanna Klum wenigstens mit Leidenschaft schlecht finden konnte, ist Maria Riesch – ach nee, die fährt Ski: Sandra Rieß im roten Kleid zumindest nicht zu übersehen. Eigene Akzente setzt sie nicht – in Erinnerung bleibt, wie Raab sie zwingt, mit in den Mund gesteckten Fingern „Pickers“ zu sagen. Den Pickers hilft das nicht, die werden – äh – Elfter.
Laing aus Sachsen belegen den zweiten Platz des Wettbewerbs mit einer Idee, die Deichkind vor sieben Jahren noch den vorletzten Platz eingefahren hatte. Die Zeiten ändern sich! Außerdem waren Deichkind damals in schwarze Müllsäcke und nicht in schwarze Minikleidchen gehüllt – und Hüftschwung gab es auch nicht. Merke: Einen Trude-Herr-Klassiker mit Elektro und aufreizendem Tanz anzureichern, kann sich lohnen. „Morgens bin ich immer müde, aber abends bin ich wach“ – hier blickt jeder durch.
Der König tanzt tanzt nicht – dafür klaut auch er, und zwar von allem viel zu viel. Auch multipliziertes Minus bleibt im negativen Bereich. Des Königs Nummer hat keiner in der Halle verstanden – wahrscheinlich soll es nicht mal eine Persiflage sein – dem armen Boris Lauterbach alias der König tanzt ist wohl tatsächlich nicht mehr eingefallen, als Hipster mit Schurrbärten zwischen ein Bonaparte- und ein Deichkind-Double zu stecken.
Wer beim Bundesvision Song Contest vorn mitmischen will, muss keine Extrawurst bringen: Obwohl er die „Blue Man Group“ auftreten lässt, wird der Berliner B-Tight mit den Flammen auf dem Adamsapfel nur Siebter. Und Vierkanttretlager landen trotz Shanty-Chor auf dem sechsten Platz.
Xavas haben eine etwas kompliziertere Message als die feschen Sächsinnen. „Schau nicht mehr zurück“ klingt nur vordergründig, als wolle Naidoo nicht mehr zurückblicken auf das, was er bislang geleistet hat. „Und ich schau nicht mehr zurück, aber wenn ich zurück schau, seh ich nur mein Glück.“ Unter bestimmten Umständen ist das mit dem Zurückschauen also doch irgendwie okay.
Kein Wunder, dass das Publikum anruft. Hier ist schließlich für jeden was dabei – und das schöne Bergpanorama auf der LED-Wand ist auch nicht zu verachten. Was im letzten Jahr noch gewann, garantiert diesmal immerhin noch den dritten Platz. Der geht an Ich kann fliegen: Die Jungs aus Niedersachsen machen soliden deutschen Indie-Schlager – der Sänger spielt Klavier, trägt Lippenpiercing und singt davon, dass ihn nur Liebe retten kann. Der Hipster-Chor agiert inbrünstig im Background – und als Sänger Nicolas Stege dann noch „Wir sind nicht allein“ jauchzt, ist es fast so emotional wie beim Auftritt von Tim Bendzko.
Die Radiomoderatoren, die jährlich die Punkte verteilen dürfen, hinterlassen das gewohnte Bild deutscher Tristesse, die erst auf der riesigen LED-Leinwand in der Halle ihre gesamte Wirkung entfalten kann. Dass sich Peter Immhoff mittlerweile als Punktedurchsager beim Bundesvision Song Contest verdingen muss, überrascht nicht, leid tut es einem aber irgendwie doch. Denn für alle anderen Moderatoren (und die grundsätzlich deplaziert wirkende Schar, die sich um die Radiofritzen rotten muss) kann die quälende Punktevergabe ja zumindest fünf Minuten Ruhm bedeuten. Bei Radio Hannover saugt sich ein Cowboyhut an der schwitzenden Stirn des Punkte-Vergebers fest. Weil Saarbrücken die „verrücktesten“ Kandidaten hat, wird einer der Fähnchenschwenker zum Stagedive gezwungen. Und das omnipräsente Radio Energy hat unzählige Morphsuits verteilt – davon, dass diese nicht nur im Fernsehen eine unvorteilhafte Figur machen, kann man sich hier in der Halle ausgiebig überzeugen. Mindestens 20 junge Männer stolzieren ungeniert (und wahrscheinlich freiwillig) in den weißen Ganzkörperkondomen durch die Reihen.
Als Raab und Rieß einen Zwischenstand ausrufen, bei dem Xavas als Sieger hervorgehen, wird in der Schmeling-Halle gebuht, dass es eine wahre Freude ist. Raab greift ein, bekräftigt immer wieder, wie verdient Naidoo und Kool gewonnen haben. Davon, dass es sich hier schließlich um Raabs Show handelt, zeigt sich das Berliner Publikum unbeeindruckt und buht laut weiter. Neben dem entnervten Raab steht die stumme Rieß und lächelt in die Kameras.
Als sicher ist, dass Xavas der Sieg nicht mehr genommen werden kann, steht Naidoo mit ungläubigem Gesicht neben der Bühne: Dass er ausgebuht wird, scheint neu für ihn zu sein – Kumpan Savas dagegen bleibt Kool, er ist rauen Umgang und Diss gewohnt. Ihren Siegersong singen die beiden dann recht souverän, durch die Antistimmung kriegt der Song fast eine ernsthafte Rap-Komponente. Kool ist angespornt, Naidoo erleichtert – beide strecken das Victory-Zeichen in die Kameras. Die Regie dreht die Mucke hoch, die Buhrufe werden weniger, und als Xavas stolz die Trophäe in die Kamera halten, wird die missgünstige Stimmung unter goldenem Lametta begraben. Die mitwirkenden Künstler stürmen die Bühne und liegen sich brüderlich in den Armen: Friede, Freude, Eierkuchen.