So war das „Pearl Jam Destination Weekend“
US-Kollege Simon Vozick-Levinson war am vergangenen Wochenende auf dem "Pearl Jam Destination Weekend"-Festival im Rahmen des PJ20-Jubiläums. Lesen Sie hier die ausführliche Nachberichterstattung.
Gegen Ende der gewaltigen Feier, anlässlich des 20. Jubiläum von Pearl Jam, kehrte Eddie Vedder alleine mit einer akustischen Gitarre in der Hand auf die Bühne zurück und begann, einen Song zu singen, den er erst Stunden zuvor geschrieben hatte. “ Couldn’t have told me back then that it would someday be allowed to be so in love with life, as deeply as we are now„, sang er, seine Stimme war durchzogen von aufrichtiger Dankbarkeit. “ Never thought we would, never thought we could/So glad we made it/I’m so glad we made it/I’m so glad we made it to when it all got good.„
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Diese Worte fassten die gutgelaunte Atmosphäre bei PJ20, der zweitägigen Liebeserklärung an Pearl Jam in Festivalform, zusammen. Auf dem Festival wurde alles zelebriert, was Pearl Jam in den letzten zwei Dekaden erreicht haben. Zehntausende Anhänger pilgerten zum Alpine Valley Music Theatre in East Troy, Wisconsin um mit der Band ihr Labor-Day-Wochenende zu verbringen. Sie kamen aus der ganzen Welt und schwenkten im gigantischen Freiluft-Amphitheater die Fahnen Japans, Mexikos, Perus, Italiens und anderer weit entferner Länder über ihren Köpfen. Sie haben den ganzen Tag Schlange gestanden, um Artefakte der Band, die in einem Pearl Jam Museum auf dem Gelände aufbewahrt waren, zu betrachten und jubelten bis sie heiser waren, als ihre Helden die Bühne betraten.
Pearl Jam belohnten die treuen Fans mit zwei Tagen und Nächten voll mit erstklassigem Gitarrenrock. Das Line-up am Samstag und Sonntag war dasselbe: Eigens ausgewählte Künstler wie Glen Hansard, Joseph Arthur, Liam Finn, John Doe und thenewno2 spielten am Nachmittag auf zwei kleinen Seitenbühnen, gefolgt von den Auftritten von Mudhoney, Queens of the Stone Age und den Strokes, die das Publikum aufheizten. All das führte jeden Abend schlussendlich zu einem unglaublichen, dreistündigen Pearl Jam-Set.
Jeden Abend gab es außerdem während des Pearl Jam-Konzerts einen zuvor nicht angekündigten Auftritt von Temple of the Dog. Zuvor war schon auf Twitter das Gerücht kursiert, dass Chris Cornell zur Band stoßen könnte, um ihr geliebtes Pre-Pearl-Jam-Projekt wiederaufleben zu lassen. Cornell bekam fast den lautesten Applaus des Wochenendes, als er auf die Bühne stolzierte und etwas staubige Klassiker aus dem Jahr 1991 wie „Hunger Strike“, „Say Hello 2 Heaven“, „Call Me a Dog“ und „Reach Down“ zum Besten gab. Dennoch hatten Pearl Jam dem Publikum am Wochenende zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen geboten und wie üblich zwei komplett verschiedene Setlists gespielt.
Nach einem langen regnerischen Samstag eröffneten Pearl Jam ihr Set mit „Release“, ihre enthusiastischen Fans sangen jedes Wort mit. Danach verbrachten sie den Abend eher damit, selten gespielte Songs wie „Push Me, Pull Me“ aus dem Jahr 1998 und „In the Moonlight“ aus dem Jahr 2000 zu spielen. Wer am Samstag nach Alpine Valley gekommen war, um die großen Hits zu hören, hatte vermutlich den falschen Tag ausgewählt. Dennoch war die Setlist sicherlich ein Schmankerl für die wahren Fans, die jede B-Side und Outtake auswendig konnten – und diese Beschreibung schien auf den Großteil der Anwesenden zuzutreffen. Das Publikum drehte schlichtweg durch, als sie das Eröffnungslick von dem 1994-Hit „Better Man“ hörten und brüllten die gesamte erste Strophe und Refrain, während Vedder das Publikum mit großen, wundernden Augen ansah. „Die Leute haben gesagt, dass so was nie passieren wird“, sagte er später über den Meilenstein der Band. „Dass es ein Traum sei, und alle Zeichen dagegen stehen. Ich bin froh, dass wir nicht darauf gehört haben.“
Mit Pearl Jam kamen auch Gäste auf die Bühne – Strokes-Frontmann Julian Casablancas jaulte bei „Not for You“, Josh Homme von Queens of the Stone Age sang bei „In the Moonlight“, Dhani Harrison von thenewno2 rockte bei „State of Love and Trust“ und viele mehr. Der größte Cameo-Auftritt war natürlich der von Cornell. Nach dem Samstags-Set von Temple of the Dog – dessen Highlights ein Cover von Mother Love Bones „Stardog Champion“ und ein monumentales Vedder-Cornell Duett von „Hunger Strike“ waren – kehrten Pearl Jam für eine mit Coverversionen vollgepackte Zugabe inklusive den The-Who-Song „Love Reign O’er Me“ und eine kämpferische Version von „Kick Out the Jams“ von MC5 mithilfe einiger Mitglieder von Mudhoney. „Lass uns das morgen wieder machen!“, meinte Vedder, um den Abend abzuschließen.
Die Mitglieder von Pearl Jam schienen am Sonntagnachmittag überall zu sein, als das sonnigere Wetter für großes Publikum an den Seitenbühnen sorgte. Pearl-Jam-Bassis Jeff Ament, Drummer Matt Cameron und Gitarrist Mike McCready kamen alle zu Joseph Arthur auf die Bühne, um ihn bei einigen Stücken zu begleiten. Dazu gehörte ein starker neuer Ament-beeinflusster Rocksong mit dem Namen „When the Fire Burns“ und Arthurs Standard „In the Sun“. Ein grinsender Vedder tauchte auf, um bei Liam Finn Schlagzeug zu spielen und später bei Glen Hansard, um mit ihm ein Duett bei „Falling Slowly“ zu spielen, was ein großes Publikum anzog.
An beiden Tagen bewegten sich die Massen dann gegen 18.00 Uhr zur Mainstage, wo erst Mudhoney und dann Queens of the Stone Age die schweren Geschütze auffuhren. Die zwei Bands fühlten sich im Nachhinein wie Zeitgenossen und Erben von Pearl Jams ersten wütenden Angriffen an. Die straffen Riffs der Strokes scheinen zwar weniger mit der Musik Pearl Jams zu tun zu haben, aber es gibt definitiv eine Verbindung zwischen den beiden Bands. Vedder betrat die Bühne an beiden Abenden um, bis er seine Stimme verlor, den Strokes-Song „Juiceboxxx“ zu singen. Casablancas, der am Sonntagabend besonders lustlos und gelangweilt wirkte, lebte etwas auf, als Vedder erschien. „Das ist super“, sagte er, „weil er den Song viel besser singt als ich.“ Er hat nicht gelogen.
Um 21.15 Uhr traten Pearl Jam am Sonntag zum zweiten Mal auf. Es wurde sofort klar, dass die Band aus allen Rohren feuerte. Vedder, der leicht als einer der zwei oder drei dynamischsten Frontmänner des Rock durchgeht, war ein manisches Energiebündel und rannte und sprang aus purer Freude an den ersten Tönen des Songs „Wash“ auf der Bühne umher, während die Menge ihre Fäuste in die Luft reckten. „Wir haben das Gefühl, dass wir alles spielen könnten“, sagte er nach ein paar Songs. „Und ihr Spinner würdet es kennen.“ Fans jubelten, als sie das nächste unerwartete Stück – „Pilate“ aus dem Jahr 1998 – erkannten.
Dennoch: Dieser Kommentar stellte sich als massive Irreführung heraus. Nach der Hälfte des Sets, direkt nach einem Lagerfeuer-artigen „Love Boat Captain“ von 2002, bei dem das ganze Publikum mitsang, und einer rasenden Version der 1996-B-Seite „Habit“ mit der Hilfe von Liam Finn, verwandelten sich Pearl Jam auf einmal in eine Hitparade. In kurzer Zeit pflügten sie durch lodernde Versionen alter Favoriten wie „Even Flow“ von 1991 (mit einem unglaublich inspirierenden McCready-Solo in Überlänge), „Daughters“ aus dem Jahr 1993 (mit Aments geradlinigen Bassspiel) und „Elderly Woman Behind the Counter in a Small Town“ (ein Wunsch vom Gast Dhani Harrison). „Es ist wie ein guter Tropfen Wein“, sagte Vedder nach „Even Flow“. „Er wird im Alter besser und stärker und reiner und kraftvoller.“
Später hielt der Sänger eine Rede über die Zeit, in der er sich für die fälschlicherweise verurteilten West Memphis Three, die endlich im letzten Monat aus der Haft entlassen wurden, ausgesprochen hatte. „Danke, dass ihr uns vertraut habt“, so Vedder. „Und falls ihr uns nicht vertraut habt, fuck you. Ihr hättet es besser wissen müssen.“ Mit diesen Worten lud er dann John Doe zu einem gewaltigen Cover des X-Song „The New World“ ein. Danach hielt man sich wieder an die Hits, spielte ein souliges „Black“ und eine glühende Live-Version von „Jeremy“, dass das Sonntags-Set abschloss.
„Das macht uns überhaupt nicht älter“, sagte Vedder, als er zur ersten Zugabe zurückkehrte. „Es hat uns einen Sinn für Wiedergeburt gegeben. Es fühlt sich an wie ein Neuanfang.“ Nachdem er den bereits zuvor erwähnten neuen Song beendet hatte, kam auch der Rest der Band auf die Bühne zurück und spielten gefühlvolle halb-akustische Versionen von „Just Breathe“ aus dem Jahr 2009 und dem 1994er-Stück „Nothingman“. Nach einem düsteren, Mundharmonica-betonten Lauf durch den 1996-Song „Smile“ mit einem herrlichen Gastauftritt von Glen Hansard und einer wilden Wiedergabe von „Spin the Black Circle“ aus dem Jahr 1994, währenddessen McCready buchstäblich Bahnen um seine Bandkollegen rannte, war die Zeit für die zweite Temple of the Dog-Reunion gekommen. Wieder gab es ein massives „Hunger Strike“-Duett, eine größtenteils akustische Version von „All Night Thing“ und eine sumpfig-funkige Version von „Reach Down“. „Eine Band zwanzig Jahre lang zusammen zu halten“, meinte Cornell trocken und übertönte den wilden Applaus des Publikums, „das ist nicht einfach.“
Cornell verließ die Bühne und wurde mit Mark Arm und Steve Turner von Mudhoney ersetzt. „Das ist ein Song, den wir früher gespielt haben, als ungefähr zehn Leute zu unseren Konzerten gekommen sind“, sagte Vedder, und leitete so ein lärmendes Cover der Dead Boys-Perle „Sonic Reducer“ ein. Die Bühne leerte sich hinterher, aber die Nacht war trotzdem noch nicht zu Ende -nicht ohne, dass Pearl Jam für eine dritte und letzte Zugabe auf die Bühne kamen. Die begeisternde Setlist: „Alive“ aus dem Jahr 1991, Neil Youngs „Rocking in the Free World“ und die 1992-B-Seite „Yellow Ledbetter“. Es war lange nach Mitternacht, als das Konzert vorbei war. Es ist schwer vorstellbar, dass irgendjemand die Alpine Valley unzufrieden verlassen hat.